Kommentar: Crypto-Leaks: PUK!
Nach der Untersuchung der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation bleiben viele Fragen offen – es braucht eine lückenlose Aufarbeitung.
Es ist die wichtigste Erkenntnis der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel): Der Schweizer Nachrichtendienst nutzte die Crypto AG mit Sitz in Steinhausen ZG zur Spionage rund um den Globus. Die Tarnfirma des US-Geheimdienstes CIA und des deutschen Nachrichtendienstes BND lieferte während Jahrzehnten manipulierte Verschlüsselungsgeräte mit Hintertüren aus. Schweizer Geheimagenten liessen sie dabei nicht nur gewähren, sondern profitierten ab Ende der neunziger Jahre selber von den Lücken. Das Ausmass ist weit grösser als bislang vermutet. Es braucht deshalb jetzt eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK), um die vielen offenen Fragen zu klären.
Die GPDel stützte sich bei ihren Untersuchungen auf einen Bericht des früheren Bundesrichters Niklaus Oberholzer. Dieser hatte Akten des Geheimdienstes ausgewertet, die sich in einem geheimen Bunker fanden. Ausser der GPDel konnte nur der Bundesrat den Bericht lesen. Eine Veröffentlichung würde «den Landesinteressen schwer schaden», sagt GPDel-Präsident Alfred Heer (SVP).
Doch es gibt auch ein anderes Interesse der Bevölkerung dieses Landes: zu wissen, was der eigene Geheimdienst angeblich ohne Wissen der Regierung treibt. Heer spricht von einem «Nachrichtendienst im Nachrichtendienst». Was genau ist damit gemeint? Gab es oder gibt es noch immer ein informelles Netzwerk? Zu welchem Zweck? Sind womöglich auch Politikerinnen oder Wirtschaftsvertreter darin verwickelt? Tatsache ist, dass im Verwaltungsrat der Crypto AG hochrangige und in der Wirtschaft bestens vernetzte bürgerliche Politiker fungierten. Auch die Rolle des früheren Bundesrats Kaspar Villiger (FDP) bleibt nach dem GPDel-Bericht offen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, was der Schweizer Geheimdienst mit den vielen Erkenntnissen machte, die er dank der Hintertüren der Crypto AG gewann. So hat er in den neunziger Jahren seine Kapazitäten in der Funkaufklärung systematisch ausgebaut. In Umgehung der Finanzkontrolle wurden für Dutzende Millionen Franken Überwachungsanlagen in Leuk und Heimenschwand errichtet. Diese Anlagen sind dank der Hintertüren der Crypto AG für den Schweizer Nachrichtendienst auch heute noch weit wertvoller als bislang gedacht. Doch wer genau innerhalb des Geheimdienstes erhält diese Informationen? Mit welchen anderen Geheimdiensten werden sie geteilt? Und wozu?
Recherchen der WOZ (siehe WOZ Nr. 10/2020 ) haben Anfang Jahr ergeben, dass der Schweizer Nachrichtendienst eine tragende Rolle im sogenannten Berner Club spielt, einem informellen Gremium verschiedener westlicher Geheimdienste, das keiner Aufsicht untersteht, jedoch über eine operative Plattform und eine personenbezogene Datenbank verfügt. Fliessen die Erkenntnisse dort ein? Wird damit möglicherweise gegen Schweizer Gesetze verstossen? Gibt es oder gab es Beihilfen zu Menschenrechtsverletzungen? Und nimmt der Schweizer Geheimdienst die Neutralität überhaupt ernst?
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob es weitere Tarnfirmen gab. Die WOZ hat mehrmals über eine direkte Konkurrentin der Crypto AG berichtet: Die Omnisec im zürcherischen Dällikon lieferte ebenfalls Verschlüsselungsgeräte an Regierungen und Armeen. Vieles deutet darauf hin, dass auch diese Firma unter Aufsicht von Geheimdiensten stand (siehe WOZ Nr. 8/2020 ). So ist im Bericht von einem weiteren «Schweizer Hersteller» die Rede, der «an den Bund und an zwei Grossfirmen unsichere Geräte geliefert hat». Handelte es sich bei der Firma um Omnisec? War Omnisec gar selber vom Schweizer Geheimdienst unterwandert, wie personelle Verflechtungen vermuten lassen?
Es ist zu befürchten, dass die bürgerliche Mehrheit im Schweizer Parlament mit dem Bericht der GPDel jetzt einen Schlussstrich ziehen will. Schliesslich wird mit Markus Seiler als früherem Chef des Geheimdienstes auch jemand benannt, dem man konkretes Versagen vorwerfen kann. Doch den Fall Crypto AG jetzt ad acta zu legen, wäre ein schwerer Fehler: Nichts spricht dafür, dass der «Geheimdienst im Geheimdienst» stillgelegt wurde.