Kost und Logis: Oregon beim Bodensee

Nr. 3 –

Alternativen zum Gala-Apfel

Meine Grosseltern lebten oberhalb des Bodensees. Sie führten einen Hof, wie es damals viele gab: Milchkühe und Bäume, Bäume, Bäume. Nachdem sich der Getreideanbau Ende des 19. Jahrhunderts wegen Importen nicht mehr lohnte, stellten die BäuerInnen in weiten Teilen des Mittellands auf Milch und Obst um. Die Dörfer verschwanden in lockeren, blühenden Wäldern.

Das alte Bauernhaus steht heute noch – neben einer Autobahn. Geblieben ist mir die Obsession mit Äpfeln. Als könnte ich damit die Zerstörung der Landschaft kompensieren, ass ich sie jahrelang in rauen Mengen – manchmal mehr als ein Kilo pro Tag. Bis mir der Arzt irgendwann riet, mich zu mässigen: Ich sei übersäuert und unterkühlt.

Ich folgte seinem Rat und reduzierte meinen Konsum auf ein halbes Kilo pro Tag. Damit esse ich immer noch fünfzehnmal mehr Äpfel als die Schweizer Durchschnittskonsumentin mit ihren zwölf Kilo pro Jahr. Der erste Apfel des Tages bedeutet mir ähnlich viel wie anderen die erste Zigarette oder der erste Kaffee.

Einen meiner Lieblingsäpfel kennt kein Mensch. Er schmeckt nicht nur toll, er ist auch schön: dunkelrot mit einer glänzenden Schale, am Stielansatz braun-ledrig. Es heisst, aus Amerika zurückgekehrte SchweizerInnen hätten ihn in den Weiler meiner Grosseltern gebracht. Sie nannten ihn nach seiner Herkunft: Oregon. Natürlich nicht elegant englisch, sondern im breiten Ostschweizer Dialekt: «Oregooon». Nicht einmal im Buch «Rosenapfel und Goldparmäne», das 365 Sorten vorstellt, ist er vertreten. Wer ihn kennt, soll sich bitte melden.

Eine andere Sorte, von der ich jeden Herbst mehrere Kisten im Keller einlagere, ist der Berlepsch, äxgüsi: Freiherr von Berlepsch, gezüchtet im 19. Jahrhundert und benannt nach einem Düsseldorfer Politiker. Eine jener Sorten, die ihr Aroma erst nach wochenlanger Lagerung in einem guten Keller entwickeln. Allerdings ist er nicht sehr robust. Feuerbrand und andere Übel befallen auch alte Sorten. Ohne Neuzüchtungen wie Resi, Rewena oder Ariwa wäre biologischer Apfelanbau im grossen Stil kaum möglich.

Leider überzeugen mich die meisten Neuen geschmacklich nicht ganz. Ich bin ja sonst nicht so. Aber beim Apfelgeschmack finde ich es schwer, Kompromisse einzugehen. Zum Glück gibt es auch alte Sorten, die sich im Biolandbau bewähren, etwa Sauergrauech, Spartan und Boskoop.

Verglichen mit diesen Delikatessen, sind die üblichen Supermarktäpfel Fastfood. Golden Delicious ist schlimm genug, richtig grauenhaft wird es bei Gala, dem beliebtesten Apfel der Schweiz: rot, süss und gähnend langweilig. Er schneidet übrigens in Blindtests regelmässig miserabel ab. Offensichtlich kaufen ihn die Leute nicht wegen des Geschmacks.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.