Klage gegen SRF: «Wieso immer dieses Treten nach unten und gegen aussen?»
Der Berner Schriftsteller und Theatermacher Raphael Urweider hat gegen den umstrittenen Fernsehsketch Anzeige erstattet. Ein Gespräch über Kunstfreiheit, Blackfacing und Geschichtsbewusstsein.
WOZ: Herr Urweider, Sie bereiten eine Anzeige gegen das Schweizer Fernsehen vor, Auslöser war der Blackfacing-Sketch mit Birgit Steinegger. Schiessen Sie nicht über das Ziel hinaus?
Raphael Urweider: Ich denke nicht. Am Schweizer Fernsehen wird seit Jahren trotz Bildungsauftrag «Seich» als künstlerische Freiheit verkauft. Das hat doch nichts mit Kunst zu tun. Beim Sketch handelte es sich um einen bösartigen Beitrag, der unter verschiedenen Aspekten als rassistisch betrachtet werden kann.
Reicht dafür das Blackfacing, bei dem sich Weisse als Schwarze schminken und dabei ihre Überlegenheit betonen? Das hat ja nicht denselben Hintergrund wie in den USA, wo das Genre seit der Bürgerrechtsbewegung tabu ist.
Das entschuldigt die Unkenntnis nicht. Abgesehen davon: In Belgien gibt es die Noirauds, sogenannt «edle Neger», die Geld sammeln, in Holland den «Zwarte Piet», ein Pendant zum Schmutzli. Dort laufen sehr aktuell Debatten, ob «Tradition» als Ausrede für Rassismus herhalten darf. In Deutschland löste wenige Wochen zuvor eine «Wetten dass …?»-Saalwette mit Jim Knopf eine heftige Blackfacing-Debatte aus. Aber anscheinend ist das SRF zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um über den Tellerrand zu schauen.
Heisst das, Sie würden dem Kurt-Tucholsky-Zitat, dass Satire alles darf, nicht zustimmen?
Doch, sie darf schon, solange sie weiss, was sie tut. Der Sketch von Birgit Steinegger war entweder absolut unreflektiert oder bösartig. Beides liegt nicht drin.
Im zweiten Fall wäre eine Anzeige sicher angebracht, aber soll man Menschen für Dilettantismus bestrafen? Das ist Wasser auf die Mühlen der Gegner der Antirassismusstrafnorm …
Es ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas beim SRF vorkommt. Das hat System. Ich erinnere mich an einen Beitrag über die verschiedenen rätoromanischen Dialekte in der Sendung «Giacobbo/Müller». Da wurde ein Zulu eingeblendet, und kommentiert wurde das Bild mit: «Das wäre dann Kafferrumantsch.» Kaffer! Gehts noch? Ich habe mich beim Fernsehen beschwert und bis heute nie eine Reaktion bekommen.
Aber Sie können doch nicht im Ernst Birgit Steinegger unterstellen, sie sei rassistisch?
Ich kenne sie nicht und habe sie noch nie «unverkleidet» gesehen, immer nur als Figur, hinter der sie sich verstecken kann. Ihre Comedy ist viel feiger als zum Beispiel die von Lorenz Keiser, der sein eigenes kleinbürgerliches, links-grünes Leben entlarvt. Da ertappt sich das Publikum beim Lachen über sich selbst. Über wen haben die Leute denn beim Steinegger-Sketch gelacht? Über eine schwarze Frau? Übers Verkaufspersonal? Wieso immer dieses Treten nach unten und gegen aussen? Zudem geht es ja nicht um Birgit Steinegger als Person, sondern um das SRF als Institution, die Rassismus mit Meinungsfreiheit verwechselt.
Wie meinen Sie das?
In der Schweiz kommt das Bedrohliche, das Gefährliche immer von aussen: die USA, die uns das Bankgeheimnis wegnehmen. Die Masseneinwanderung. Da schliessen sich ganz schnell die Reihen, und da ist kein Platz mehr für Selbstironie.
Wieso nicht?
Weil wir ja nichts über uns wissen wollen! Es gibt kaum ein Land, das mit so einem verfälschten Selbstbild dasteht. Dass einzelne Schweizer Städte wie Neuenburg am internationalen Sklavenhandel reich wurden, will niemand hören. Genauso wenig, dass die Schweiz eben nicht auf dem Rütli, sondern bei Napoleons Einmarsch entstanden ist – wir sind der Irak oder vielleicht das Afghanistan Europas, wir wurden zwangsdemokratisiert. Oder dass die Credit Suisse, Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz an der Apartheid in Südafrika Geld verdient haben. Stattdessen will man glauben, dass die Schweiz reich sei, weil man bei uns so hart «chrampfet». Da ist es kein Wunder, dass man mit Selbstironie nicht sehr weit kommt. Deutschland ist uns da weit voraus. Dort laufen viel mehr innere Debatten über das Kabarett.
Inzwischen wurde auch der Komiker Massimo Rocchi angezeigt, weil er sich antisemitisch geäussert haben soll.
Es scheint eine Mode zu werden, aber ich möchte keine Verallgemeinerungen. Ich hatte andere Motive für meine Anzeige. Mir ging es in erster Linie um das Blackfacing, das als Satiretechnik 2013 höchstens verwendet werden dürfte, wenn es selbstentlarvend ist. Jemand, der kein Deutsch versteht oder nicht zur schweizerdeutschen Mehrheit gehört, sah bei diesem Sketch puren Rassismus. In einer Gesellschaft sollte nicht die Mehrheit bestimmen, was rassistisch und was gerade noch okay ist.
Hilft da eine Anzeige weiter?
Das SRF bestimmt, was und wen es zu sehen gibt. Das sind dann seit dreissig Jahren immer die gleichen paar Nasen, Steinegger, Walter Andreas Müller, Viktor Giacobbo. Wenn die das Maul aufmachen, wird gelacht. Und niemand hinterfragt, ob das gut ist. Das kann ich so nicht länger hinnehmen. Und eine Anzeige zwingt sie dazu, das nicht länger totzuschweigen. Es ist doch toll, dass Giacobbo gezwungen wird, endlich ein wenig Selbstreflexion zu betreiben.
Was erwarten Sie vom Schweizer Fernsehen? Dass Birgit Steinegger auf die Strasse gestellt wird?
Natürlich nicht, das würde ja nichts verändern. Aber sie sollen sich bewusster sein, was sie machen und was ihr Auftrag ist. Worüber gelacht wird, wenn die Leute lachen. Und Blackfacing will ich so nie mehr sehen. Wenn sie schwarze Figuren zeigen wollen, dann sollen sie gefälligst schwarze SchauspielerInnen suchen. Ein bisschen ethnische Kompetenz würde diesem sterilen weissen Sender guttun, das könnte überraschende Inputs bringen.
Siehe zum Thema auch «Staatsfernsehen für die weissen Herrschaften».