Medientagebuch: Argumente statt Mauern
Eine nicht verhinderte Debatte.
«Buhrufe gegen Toni Brunner» titelte die NZZ letzten Dienstag und berichtete über eine Podiumsdiskussion vom Vorabend im Zürcher Volkshaus. Die Gewerkschaft Syndicom hatte zur Debatte über die «Masseneinwanderungsinitiative» der SVP eingeladen.
Unter der Leitung von WOZ-Redaktor Stefan Keller diskutierten der grüne Nationalrat und Migrationsexperte Balthasar Glättli, der Luzerner Kantonsrat und Syndicom-Sektorleiter Giorgio Pardini sowie der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, Daniel Lampart, mit der Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog und dem gedanklichen Vater der Abstimmungsvorlage, SVP-Präsident Toni Brunner.
Den Buhrufen gegen den Rechtspolitiker waren turbulente Diskussionen vorausgegangen, die vor allem in den Mailboxen der GewerkschaftssekretärInnen und auf verschiedenen Facebook-Profilen ausgetragen wurden. Ihr Thema: Darf, soll oder muss man sogar mit Toni Brunner und Konsorten reden – oder dürfen, sollen, ja müssen aufrechte Linke und Gewerkschaftsmitglieder jegliches Gespräch mit rechtsbürgerlichen ExponentInnen verweigern, da es von diesen dazu missbraucht werden kann, ihre abominablen Parolen noch breiter zu streuen? Ja, es sei womöglich sogar so, liessen einige verlauten, dass die veranstaltende Gewerkschaft den InitiantInnen eine Plattform biete, auf der Fremdenhass und reaktionäre Propaganda Urständ feierten.
Beide Seiten bezichtigten die andere der Naivität – und die Gefahr bestand, dass ausgerechnet die SVP am Ende als lachende Dritte dastehen würde. Immerhin hatten die erbittert geführten Wortgefechte auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen sogar die «alte Tante» NZZ auf den Plan gerufen, weil sie befürchten liessen, dass die Veranstaltung von militanten VerfechterInnen der Verweigerungstheorie gestürmt werden könnte.
Schliesslich blieb es aber bei den zitierten Buhrufen, einer kurzfristig errichteten Mauer aus Ikea-Pappkartons und ein, zwei Arbeiterliedern via Megafon. Danach konnte das Gespräch wie geplant stattfinden. Die Initiativgegner auf dem Podium erhielten die Gelegenheit, mit gewerkschaftlichen Argumenten – flankierende Massnahmen und verbesserter Kündigungsschutz gegen menschenverachtende Kontingente, Ausbeutung und Lohndumping – gegen die bekannten Plattitüden der InitiativverfechterInnen anzutreten.
Die Frage, ob mit dem politischen Gegner diskutiert werden darf, soll oder muss oder ob einem weiteren Rechtsrutsch besser begegnet werden kann, indem man sich der Diskussion verweigert, wird in den gewerkschaftlichen Gremien, auf der Syndicom-Website und vielleicht auch in den Leserbriefspalten der Mitgliederzeitung weiter diskutiert werden. Das bindet Kräfte, die im Kampf gegen die Initiative bitter nötig wären. Denn gleichzeitig flutet die SVP die Schweizer Haushalte mit Extrablättern, in denen ihre fremdenfeindliche und rückwärtsgewandte Propaganda unwidersprochen bleibt. Ihre Worthülsen werden die vielen Verunsicherten in ihrem Unbehagen bestärken, denn sie sind so verführerisch einfach wie der gern skandierte Slogan von der kaum gelebten «internationalen Solidarität».
Es braucht Argumente, Antworten – wer am 20. Januar 2014 im Volkshaus war, hat sie gehört – über die romantischen Lieder, symbolischen Mauerwerke und Buhrufe hinweg.
Nina Scheu ist Chefredaktorin der Zeitung «syndicom».