CH Media in der Krise: Hauptsache Entertainment

Nr. 47 –

CH Media ist in den letzten Jahren zur potenten Privatfernsehgruppe gewachsen. Und muss nun Leute entlassen. Ist das der Preis für das rasante Wachstum? Oder langfristige Strategie?

Fotokollage: Ausschnitte von Videobeiträgen und Sendungen
Ein Potpourri aus Rosen, Schnee und Käse: Willkommen in der Welt des Schweizer Privatfernsehens!
 
Stills: TV3+, TVO, Tele M1, Tele Züri

Wer sich am frühen Abend durch die Sender von CH Media zappt – Tele 1, Tele Bärn, TVO, Tele Züri, Tele M1 –, landet zum Beispiel bei «Fokus KMU – Alle sind Wirtschaft», einem als Nachrichtenmagazin verkleideten Native Ad des Schweizerischen Gewerbeverbands. Zur selben Zeit läuft auf dem Unterhaltungssender 3+ «Achtung, Zoll! Willkommen in Australien» oder «U. S. Border Patrol – Einsatz an der Grenze». Am späteren Abend begleitet das Reportagemagazin «+41» «Schweizerinnen und Schweizer mit aussergewöhnlichen Lebensgeschichten». Willkommen in der Welt des Schweizer Privatfernsehens, der Welt des Aargauer Verlegers Peter Wanner, der in nur drei Jahrzehnten seinen Badener Zeitungsverlag zum zweitgrössten Medienunternehmen der Schweiz geformt hat. Und zur nationalen Privatfernsehgruppe, die imstande sein könnte, einst die SRG zu konkurrenzieren.

Eine aussergewöhnliche Geschichte, könnte man sagen, und sie wird gern als Geschichte des Wachstums erzählt. Als Geschichte der Eroberung der Deutschschweizer Medienlandschaft von Baden über die Nordwestschweiz nach Basel und schliesslich nach Bern und Zürich. In Print, online, im TV und Radio. Doch es ist auch eine Geschichte des Sparens, der Umstrukturierungen, der «Effizienzprogramme». Heute führt die fünfte Generation der Familie Wanner das operative Geschäft, und CEO Michael Wanner sprach Anfang Jahr gegenüber dem Branchenmagazin «Persönlich» von einem «Wendepunkt», an dem sich CH Media befinde. Im Interview mit seinen ebenfalls im Unternehmen tätigen Geschwistern klang es nach lustvollem Aufbruch. Vor zwei Wochen folgte die Ernüchterung; CH Media kündigte Sparmassnahmen an, 150 Stellen sollen im ersten Quartal 2024 über alle Bereiche der Deutschschweiz gestrichen werden, davon etwa 90 durch Kündigungen.

Der Abbau, der besonders die Regionen hellhörig werden lässt, wo CH Media mit seinen Printablegern eine dominante publizistische Rolle spielt, überrascht auf den ersten Blick. Denn das Unternehmen erzielte im vergangenen Jahr trotz ausbleibender Werbegelder einen Gewinn von 20,7 Millionen Franken (laut eigenen Angaben ein «solides Unternehmensergebnis»). Auf den zweiten Blick ist es demnach ein Abbau mit Ansage. Ein Abbau, der auf ein neuerliches Wachstum, besonders auf die Expansion im TV- und Entertainmentbereich, folgt. Und der vielleicht auch etwas mit Peter Wanners Traum zu tun hat, im Fernsehgeschäft gross mitzumischen. Die WOZ hätte gern mit dem heutigen CEO des Unternehmens, Michael Wanner, über die aktuelle Lage von CH Media gesprochen. Die Kommunikationsstelle lässt auf Anfrage verlauten, man gebe «aufgrund des laufenden Konsultationsverfahrens» derzeit keine Interviews.

Eine Grösse mit Preis

Um zu verstehen, warum Wanners Unternehmen da steht, wo es steht, kann man aber auch einen Blick in die Geschichte werfen, ins Jahr 1996 etwa, als Peter Wanner das «Badener Tagblatt» und das «Aargauer Tagblatt» zur «Aargauer Zeitung» fusionierte und bald auch über die Kantonsgrenze schielte. Immer mehr lokale TV-Stationen und Radiosender holte er in sein Imperium – «Limmat-Berlusconi» nannte man ihn. Wo die Übernahme einzelner Medientitel, wie jene der «Solothurner Zeitung», anfänglich noch auf Widerstand stiess, blieb dieser am Ende gegen den mächtigen Konkurrenten doch chancenlos. «Wann immer sich die Möglichkeit zur Expansion seines Medienunternehmens bot, griff Peter Wanner zu. Mit beiden Händen», schrieb das «Magazin» in einem Porträt. Als der Verleger Anfang der zehner Jahre Radio 24 und Tele Züri kaufte, stand er bereits mit beiden Füssen im nationalen Medienteich.

Seit der Gründung von CH Media schwimmt er darin. Als relativ neues Firmenkonstrukt ist CH Media 2018 aus einem sogenannten Joint Venture der NZZ-Mediengruppe und der AZ Medien entstanden. Beide Unternehmen warfen ihre Regionalzeitungen und die dazugehörigen Onlineportale sowie ihre Radio- und TV-Stationen in den neuen Firmentopf, die NZZ-Mediengruppe ihr gesamtes Regionalmediengeschäft.

2023 hat die AZ Medien mit 65 Prozent die Mehrheit an CH Media übernommen. Warnungen wurden laut: Es drohen negative Folgen für die – besonders regionale – Medienlandschaft, die ohnehin wegen der Monopolisierungen der letzten Jahrzehnte immer karger wird. Unternehmerisch ist Wanner jedoch ein Coup gelungen: Seine Firma wurde damit auf einen Schlag von einem überregionalen Zeitungsverlag zu einem nationalen, multimedialen Medienimperium. Der Verleger bezeichnete den «Drang zur Grösse» einst als «unternehmerische Notwendigkeit». Die Frage ist nur: Welchen Preis hat die Grösse?

Expansive Entertainmentstrategie

Auch im Fernsehbereich expandiert Wanner: Für einen tiefen dreistelligen Millionenbetrag kauft CH Media 2019 die TV-Gruppe 3+ und wird zum grössten Anbieter im Schweizer Privatfernsehgeschäft. Als der 3+-Deal unter Dach und Fach ist, schreibt der damalige CEO Axel Wüstmann in der eigenen «Aargauer Zeitung» feierlich: «Die Geschichte von CH Media hat gerade erst begonnen.» Man kann es auch anders sehen: Es ist einfach eine Fortsetzung im Eiltempo. Im selben Jahr beschliesst CH Media die Strategie «CH Media 2025», die die «digitale Transformation im Bereich Publishing» und den «Ausbau im Bereich Entertainment» vorantreiben will. Neben 3+ stossen die Radios 32 und Bern1 zum Unternehmen sowie der DAB+-Sender Flashback FM. CH Media lanciert den Sender Nickelodeon/7+, kauft Sportrechte der Uefa Champions League, Spiele der Schweizer Nationalmannschaft, die Rechte der National League (Eishockey) und geht Joint Ventures mit Ascot Elite, Paramount und Sunrise ein.

Es schien bei dem Unternehmen also zu laufen. Doch 3+ ist ein Brocken. Die WOZ hat mit vielen Branchenkenner:innen gesprochen, niemand will sich zitieren lassen, die Schweizer Medienbranche ist überschaubar. Viele sind noch immer erstaunt über die Höhe des Preises, zwischen 140 und 160 Millionen Franken soll die TV-Gruppe gekostet haben. Dabei geht das Werbevolumen im TV-Markt seit Jahren zurück, dank TV-Boxen können Zuschauer:innen Werbung überspulen, internationale Streamingdienste und Player wie Facebook, Google oder Netflix sind eine Herausforderung für das Geschäft. Kommt das gut? Die Prognosen sind, zumindest was die Entwicklung des TV-Werbemarktes betrifft, nicht gerade rosig.

Und was die Strategie «CH Media 2025» auch heisst, verkündete das Unternehmen im September 2020 mit der Lancierung eines neuen «Effizienzprogramms»: Jährlich sollten dreissig Millionen Franken eingespart werden. CH Media machte den Strukturwandel im Mediengeschäft und Umsatzverluste während der Coronakrise für die Sparmassnahmen verantwortlich. Sie seien eine grosse Herausforderung für die Umsetzung der Strategie, «denn die Digitalisierung der Bezahlzeitung und die Weiterentwicklung des Bereichs Entertainment erfordern weiterhin hohe Investitionen». Sparen, um zu wachsen? Schon damals war die Rede von einem Stellenabbau, konkreter wurde das Unternehmen nicht.

TV Wanner versus SRG?

Peter Wanner äusserte sich immer optimistisch zum privaten TV-Markt, er sah «Chancen», als Tamedia die TV- und Radiosender abstiess, und sprach von einer «Fernsehfamilie», mit der man «etwas machen» könne. 2016 sagte er in einem Interview, es liesse sich gut mit TV Geld verdienen, man müsse nur den Wettbewerb wollen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Dass das auch heisst, die SRG zurückzubinden, daraus machte Wanner nie einen Hehl. Der Verleger sprach besonders dann gern von Medienvielfalt, wenn er die Monopolstellung der SRG kritisierte. Immer wieder brachte Wanner Ideen in Umlauf: eine Werbebeschränkung für die SRG, ein Gebührensplitting oder eine SRG-Paywall. Auch für die Halbierungsinitiative zeigt er Sympathien, verweist aber auf «bessere Lösungen».

Auf dem Swiss Media Forum im Herbst 2022 schlug Wanner vor, der Bundesrat könnte Konzessionen für einzelne Sendungen ausschreiben, um die sich auch Privatsender bewerben könnten. Zwei Monate später platzierte Mitte-Präsident Gerhard Pfister im Hausblatt von CH Media die Forderung nach einer zweiten Konzession für ein nationales Fernsehen. Wer den Zuschlag erhalte, bekomme aus dem Gebührentopf rund 150 Millionen Franken für die Ausstrahlung eines Informationsprogramms in Radio und Fernsehen, und zwar in allen Landessprachen. «Bekommt das SRF bald Konkurrenz auf nationaler Ebene?», titelte die «Aargauer Zeitung». Wanner dementierte stets, einen nationalen Sender zu planen. Doch mit seinem TV-Arsenal würde er am ehesten die Voraussetzungen dafür mitbringen.

Wanner habe immer davon geträumt, im TV-Geschäft gross mitmischen zu können, sagte Marc Friedli, Geschäftsführer des Verbands Telesuisse, vor drei Jahren in einem Interview mit der «Medienwoche» und sah schon ein «Duopol» am Horizont. Die Bereiche, in denen die SRG am meisten unter Beschuss steht – Unterhaltung und Sport – sind schliesslich auch die, in die CH Media investiert. Vielleicht macht sich Wanner ja tatsächlich dafür bereit, dass die Halbierungsinitiative durchkommt, oder die SRG drastisch sparen muss. Dem Verleger wird zwar oft nachgesagt, er sei ein impulsiver Investor, rasch von einer Idee begeistert, kein kühler Stratege, der weitsichtige Entscheidungen treffe. Das Medienportal «Watson» wird dabei gern als Beispiel genannt, an dem Wanner trotz grossen unternehmerischen Risikos festhielt, aus Freude. Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, fern jeglichen Kalküls? Er selber sah das auch schon anders. Als er 1996 das «Aargauer Tagblatt» und das «Badener Tagblatt» fusionierte, sagte er: «Wer zu spät kommt, den bestraft die Liquidität.»

SRG unter Druck: Die Rechnung geht nicht auf

Ginge es nach Bundesrat Albert Rösti, wäre die Senkung der SRG-Gebühren bereits Tatsache. 300 statt 335 Franken sollen es bis 2029 sein, als Gegenmassnahme gegen die «Halbierungsinitiative» präsentiert, in dessen Initiativkomitee der SVP-Mann bekanntlich sass. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» sagte er, die SRG solle ihre Programme überprüfen und nach «Effizienzmassnahmen» suchen. Er räumte selber ein, dass Hunderte Stellen wegfallen dürften.

Nun hat die SRG genau das bestätigt. In einer Mitteilung warnt sie vor «massiven Auswirkungen» auf Programm und Personal. Mit dem Rückgang der Werbeeinnahmen und der Streichung des Teuerungsausgleichs würden der SRG ab 2027 bis zu 240 Millionen Franken fehlen, heisst es. Rund 900 Stellen müsste sie stufenweise «über alle Regionen» streichen. Damit ist auch klar, dass sich die Sparmassnahmen besonders auf den ohnehin schon geschwächten Regionaljournalismus (vgl. «Ein Gratisabo für Achtzehnjährige») auswirken dürften. Dazu kündigt SRG-Generaldirektor Gilles Marchand im «Tages-Anzeiger» eine Ausdünnung bei den Sportübertragungen und bei der Serien- und Filmproduktion an – also im populären Segment, dort, wo es den Zuschauer:innen besonders wehtun würde.

Nichts hält die SRG von Röstis Strategie, die Initiative mit einem eigenen Sparplan zu entkräften. Der Halbierungsinitiative könne man am besten mit einem starken Angebot begegnen, lässt sich SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina in der Mitteilung zitieren. Und natürlich würde die «Transformation des Unternehmens» auch ohne Spardruck weitergehen.

Was diese Transformation bedeutet, erlebt die Belegschaft seit Jahren. Trotz der Ablehnung der No-Billag-Initiative reagierte die SRG mit Einsparungen und Entlassungen und gab dezentrale Standorte preis. Seit klar ist, dass die Halbierungsinitiative zustande kommt, ist die Nervosität im Leutschenbach noch grösser; renommierte TV-Journalist:innen berichteten der WOZ von politischer Einflussnahme, die SVP ist inzwischen vor allem in den grossen Formaten dauerpräsent (siehe WOZ Nr. 25/23).

Das Personal stehe bereits heute stark unter Druck, warnt auch die SRG-Gewerkschaft SSM. «Und soll nun mit weniger Mitteln und Kapazitäten einen unveränderten Leistungsauftrag der SRG stemmen? Diese Rechnung geht nicht auf», sagt Gewerkschaftssekretärin Silvia Dell’Aquila. Während andere Medienhäuser Stellen streichen und Medientitel ganz einstellen würden, müsse der Medienplatz Schweiz geschützt und nicht ohne Notwendigkeit geschwächt werden.

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