Ukraine: Völkische Kämpfer im Sold der Oligarchen
Die Protestbewegung in der Ukraine ist stark von Rechtsradikalen geprägt. Die Anführer der parlamentarischen Opposition haben es bisher verpasst, sich von ihnen abzugrenzen – sie lavieren.
Auch an diesem Januarabend herrscht in der Gruschewskistrasse von Kiew eine gespenstische Atmosphäre. Im Dämmerlicht stehen junge Männer mit Masken, Knüppeln und russgeschwärzten Gesichtern auf den drei Meter hohen Barrikaden, andere schlagen im Takt auf ausgebrannte Polizeiautos und zeigen so ihre Bereitschaft zu kämpfen. Ihr Ziel ist es, zum Parlament vorzustossen, das etwas weiter hinten an der umkämpften Strasse liegt.
Nachdem am 19. Januar Sondereinheiten der Polizei die Barrikaden auf der Gruschewskistrasse gestürmt hatten, brannten die Militanten tagelang auf der ganzen Strassenbreite Autoreifen ab. Die Flammenwand war so hoch und der Rauch derart heftig, dass für die Polizei der Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen unmöglich wurde. Nun ist wegen des schwarzen Qualms alles verrusst; die vereiste Strasse, die Säulen des im neoklassischen Stil gebauten Eingangs des angrenzenden Dynamo-Fussballstadions und die Fassaden der Häuser in der Umgebung.
Militärische Organisation
Ein grosser Teil der militanten KämpferInnen gehört zum Rechten Sektor (RS), einem Bündnis rechtsradikaler Gruppen und Fussballfans. Wie der RS in einer Erklärung Ende Januar mitteilte, ist das Bündnis gegen den Beitritt der Ukraine zur EU. Die EU, so heisst es, sei eine Struktur «zur Unterdrückung der europäischen Völker». Dabei löste ausgerechnet die Entscheidung von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch, ein Abkommen mit der EU doch nicht zu unterzeichnen, die grossen Proteste überhaupt erst aus, die seit Monaten die Ukraine lähmen.
Die KämpferInnen sind straff in Fünfergruppen organisiert. Jede Gruppe hat eine Nummer. KoordinatorInnen regeln die Schichtwechsel auf den Barrikaden. An den Durchgängen zwischen den Wällen aus aufgeschichteten Säcken mit Steinen und Eis stehen OrdnerInnen, die die Ströme von Schaulustigen und KämpferInnen lenken. Es gibt Durchgänge Richtung Frontlinie und Durchgänge zurück. Hinter die vorderste Barrikade dürfen nur Kämpfer und Journalistinnen. Letztere müssen den vermummten KontrolleurInnen ihre Ausweise vorzeigen.
Auf dem Platz hinter den Barrikaden stehen normale BürgerInnen. Sie halten zum Gedenken an die von unbekannten Schützen getöteten Demonstranten brennende Kerzen in der Hand. Immer wieder stimmen Priester religiöse Gebete und Gesänge an, immer wieder ertönen zwischen dem rhythmische Schlagen auf Metall die Kampfrufe «Ehre der Ukraine – Ehre den Helden» und «Ukraine über alles».
Die Barrikade an der Gruschewskistrasse ist Teil einer grösseren Besetzung der Strassen um den Maidanplatz. So wird der Druck auf das angrenzende Regierungsviertel aufrechterhalten. Dessen Bewachung bindet viele Polizeikräfte. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum es den ProtestlerInnen in der Provinz – vor allem im Westen der Ukraine – gelungen ist, elf Gebietsverwaltungen zu besetzen. Die Armee, so verlautet aus dem Verteidigungsministerium, soll nicht eingesetzt werden. Am Montag beschloss die Regierung jedoch, die Zahl der PolizistInnen in den Sondereinheiten Berkut und Grifon von 5000 auf 30 000 zu erhöhen.
Zulauf aus den Büros
Die Besetzungen von Regierungsgebäuden sind bislang die spektakulärsten Aktionen der Protestbewegung gegen die Politik der ukrainischen Regierung unter Führung von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch. Die Masse der UkrainerInnen beteiligt sich allerdings nicht am Konflikt. Die angespannte wirtschaftliche Lage, in der sich viele BürgerInnen befinden, wirkt disziplinierend. Dies ist auch einer der Gründe, warum bisher keiner der zahlreichen Aufrufe des Oppositionsführers Witali Klitschko zum Generalstreik befolgt wurde. Arbeitsausstände gab es bislang ausschliesslich von Beschäftigten im öffentlichen Dienst in der Westukraine.
Allerdings haben die Militanten von der Gruschewskistrasse seit der Eskalation der Strassenkämpfe inzwischen Zulauf von der gut ausgebildeten städtischen Jugend bekommen sowie von Leuten, die tagsüber als Angestellte mit Schlips und Jackett in Büros arbeiten. Abends erhalten diese Neulinge auf dem angrenzenden Kreschatikboulevard Kampftraining. Sie lernen unter Anleitung erfahrener Nationalisten, wie man feste Reihen bildet und mit dem Knüppel richtig zuschlägt.
Sowohl unter den friedlichen DemonstrantInnen wie unter den Militanten ist der Hass auf Präsident Janukowitsch gross. Ihm wird besonders angekreidet, dass er seiner Verwandtschaft lukrative Posten in Staat und Wirtschaft verschafft hat. Eine fünfzigjährige Dame in braunem Pelz, die die Barrikaden inspiziert, meint, Tote liessen sich im Kampf für die ukrainische Nation leider nicht verhindern. Ähnlich äussern sich zwei Männer, die gerade aus der nordukrainischen Stadt Tschernigow angereist sind. Sie seien bereit, im Kampf zu sterben, erklären sie.
«Einer wie Hitler»
So viel ist klar: Sollte die Regierung den Maidan räumen, würden die Rechtsradikalen wohl in Kiew mit einem Partisanenkampf beginnen. Ihr historisches Vorbild ist die Ukrainische Aufstandsarmee (UPA), die im Zweiten Weltkrieg in der Westukraine gegen die Rote Armee und zeitweise auch gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte sowie an Massakern gegen die jüdische und die polnische Bevölkerung beteiligt war. Einzelne Gruppen der UPA kämpften bis 1956 in den Wäldern Ostgaliziens.
Viel über die Stimmung auf dem Maidan sagen etwa die Äusserungen von Andrej aus, einem jungen Mann, der sich eine ukrainische Flagge über den Rücken gehängt hat. Oleg Tjagnibok, der Führer der Partei Swoboda (Freiheit), sei von der Macht «gekauft», meint der 23-Jährige, der aus Lwiw (Lemberg) kommt. Andrej wirft Tjagnibok vor, nicht entschlossen genug zu handeln. Was die Ukraine brauche, sei ein «richtiger Führer, der die Nation eint, so einer wie Hitler». Und die Vernichtung von Juden, sei das auch in Ordnung? «Nein», wehrt Andrej ab. Das Judenthema scheint ihm unangenehm.
Swoboda ist eine der drei grossen Oppositionsparteien, die die Proteste unterstützen. Sie ging 2004 aus der Sozialnationalen Partei der Ukraine (SNU) hervor. Symbol der SNU war eine modifizierte Wolfsangel, wie sie auch von der SS-Division «Das Reich» verwendet wurde. Im Juli 2004 hetzte Swoboda-Chef Tjagnibok auf einer Versammlung vor AnhängerInnen seiner Partei gegen die «jüdische Moskauer Mafia», die angeblich die Ukraine regiert. Seit der Namensänderung bemüht sich Swoboda um ein soziales und gemässigteres Image, verzichtet auf Nazisymbole und betreibt aktiv Jugendarbeit. Im Frühjahr 2013 besuchte eine Delegation von Swoboda allerdings die rechtsextreme deutsche NDP in Sachsen. Seit langem unterhält Swoboda ausserdem Kontakte zu faschistischen und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien wie Jobbik, Front National und Forza Nuova.
Zögerliche Oppositionsführer
Der Politologe Juri Romanenko bestätigt den Eindruck von der Strasse, dass die Mehrheit auf der Strasse oft radikalere Forderungen aufstellt als die Sprecher der Bewegung. Die drei Führer der Opposition – neben Oleg Tjagnibok der bekannte Boxer Witali Klitschko von der Partei Schlag und Arseni Jazenjuk von Julia Timoschenkos Partei Vaterland – hätten in den letzten zwei Monaten bei den Menschen auf dem Maidan erheblich an Vertrauen verloren.
Sie würden zwischen den zornigen Massen auf dem Maidan und der Macht lavieren, meint der Politologe. Anstatt die von Radikalen durchgeführten Besetzungen und die Forderung nach einem Rücktritt des Präsidenten zu unterstützen, neigten die Oppositionsführer dazu, sich auf Kompromisse einzulassen, die dann von den DemonstrantInnen nicht akzeptiert werden. Das Angebot von Janukowitsch an den Oppositionsführer Arseni Jazenjuk, Ministerpräsident zu werden, wollte dieser wohl gerne annehmen. Auf dem Maidan stiess das Ansinnen am vergangenen Samstag jedoch auf grossen Protest.
Romanenko erklärt das Lavieren der Oppositionsführer damit, dass sie «Teil des Systems» seien. Sie würden genauso wie auch Janukowitsch von Oligarchen finanziert und seien deshalb an der Erhaltung des Status quo interessiert. So unterstütze der reichste ukrainische Oligarch Rinat Achmetow nicht nur den ukrainischen Staatspräsidenten, sondern auch die Partei Vaterland. Der wolle sich damit alle Optionen offen halten. Achmetow verfügt laut der US-Wirtschaftszeitung «Forbes» über ein Vermögen von vierzehn Milliarden US-Dollar. Einen Teil seiner Geschäfte wickelt er in Genf ab. Ihm werden Verbindungen zur russisch-ukrainischen Mafia nachgesagt.
Wer finanziert Klitschko?
Ein weiterer wichtiger Oligarch der Ukraine, mutmasslich ebenfalls im Dunstkreis der Mafia, ist der im Gas- und Chemiesektor tätige Dmitri Firtasch. Auch Firtasch ist in der Schweiz aktiv und betreibt unter anderem mit der russischen Gazprom zusammen die Firma Rosukrenergo in Zug. Auch Firtasch gehört zu den Unterstützern von Janukowitsch, soll aber laut Politologe Romanenko auch hinter Klitschko stehen. Klitschko bestreitet das, wie auch Meldungen, dass der ehemalige Leiter der Präsidialverwaltung und Unternehmer Sergej Ljowotschkin sowie die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung ihn finanzieren. Er behauptet, seine Partei finanziere sich allein aus Mitgliedsbeiträgen.
Die Partei Swoboda bekommt ihr Geld gemäss Recherchen Romanenkos vom Chef der «Privatbank», dem Milliardär Igor Kolomojski. Darüber, dass ein jüdischer Bankier eine antisemitische Partei finanziert, erregte sich auch schon die Zeitung «Jüdisches Kiew». Kolomojski, so das Blatt, habe sich damit gerechtfertigt, dass Swoboda von der ultrarechten Position ins Zentrum gerückt sei. In der Ukraine – so Romanenko – sei eben alles miteinander verbunden. «Es gibt hier nicht das absolut Gute und das absolut Böse.»
EU-Assoziation spaltet die Linke
Nina Potarska ist eine viel beschäftigte linke Aktivistin in Kiew. Sie arbeitet im Zentrum für Sozial- und Arbeitsforschungen, eine nichtstaatliche Organisation (NGO), die vom Milliardär George Soros und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert wird. Gemäss einem neuen Gesetz, das fast wortwörtlich aus russischen Gesetzestexten übernommen wurde, muss Potarska die NGO als «ausländischer Agent» registrieren lassen und zwanzig Prozent der Fördergelder als Gewinn versteuern.
Über die Frage, ob man sich an den Protesten auf dem Maidanplatz beteiligen soll, sei die Linke in Kiew gespalten, berichtet die Aktivistin. Potarska ist Mitglied der Gruppe «Linke Opposition». Die Gruppe sei nicht gegen die EU. «Wir fordern für die Ukraine alles, was an der EU gut ist, so eine kostenlose medizinische Versorgung und Bildung sowie starke Gewerkschaften.» Allerdings sei es nicht einfach, auf dem Maidan Flugblätter zu verteilen. Es gebe dort zwar viele kritische BürgerInnen, die sich interessiert zeigten. Doch den Ton auf dem Platz gäben die NationalistInnen an.
Einschneidend für die Linke war ein Vorfall am 4. Dezember 2013, als der Gewerkschafter Denis Lewin beim Flugblattverteilen am Rand des Maidan von maskierten Rechtsradikalen geschlagen wurde. Ein Redner auf der Bühne des Platzes hatte dazu aufgerufen, gegen den «Kommunisten» Massnahmen zu ergreifen.
Auch über eine zunehmende Zahl antisemitischer Vorfälle in der Stadt, Hakenkreuzschmierereien und Angriffe auf Menschen in traditioneller jüdischer Kleidung, berichtet die Aktivistin. Und auf der Rednertribüne des Maidan wurde in der Neujahrsnacht das traditionelle ukrainische Weihnachtsmärchen aufgeführt, bei dem immer ein böser Jude (Schid) auftritt, der Intrigen gegen das Jesuskind schmiedet. Die Rolle des Schid spielte Bogdan Benjuk, Abgeordneter der Swoboda.
Regierung zurückgetreten: Der Mentor wünscht den Kompromiss
Zwei Monate nach Beginn der Proteste in der Ukraine signalisiert Präsident Wiktor Janukowitsch ein Einlenken. Am Samstag bot er dem Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk, Fraktionsführer der Partei Vaterland, den Posten des Ministerpräsidenten an. Am Dienstag trat dann überraschend die gesamte Regierung der Ukraine zurück. Ausserdem nahm am gleichen Tag das Parlament die am 16. Januar beschlossenen Gesetze zurück, mit denen das Versammlungsrecht verschärft und auch nichtstaatliche Organisationen gegängelt wurden (vgl. Haupttext «Völkische Kämpfer im Sold der Oligarchen»).
Mit den Zugeständnissen ist die Gefahr einer weiteren Eskalation der Krise allerdings nicht beseitigt. Die DemonstrantInnen wollen keine Ruhe geben, bis Janukowitsch zurückgetreten ist. Der Präsident denkt jedoch nicht daran aufzugeben. Eine Amnestie für die verhafteten und angeklagten DemonstrantInnen hat die Regierung an die Bedingung geknüpft, dass alle besetzten Strassen und Plätze innerhalb von zwei Wochen geräumt werden müssen.
Völlig unklar ist, wie eine neue Regierung unter Einbezug der Opposition gebildet werden soll. Auf Ministerposten würden nicht nur pragmatische, EU-freundliche PolitikerInnen aus der Protestbewegung Anspruch erheben, sondern auch VertreterInnen der nationalistischen und rechtsradikalen Kräfte um die Partei Swoboda und das Bündnis Rechter Sektor. Dass Janukowitsch doch noch zu Zugeständnissen bereit war, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sich sein wichtigster finanzieller Förderer, der Oligarch Rinat Achmetow, öffentlich für einen Kompromiss ausgesprochen hat.
Ulrich Heyden