Pete Seeger (1919–2014): Musik aus dem Giftschrank
Am 27. Januar verstarb Protestsänger und Politaktivist Pete Seeger drei Monate vor seinem 95. Geburtstag in New York. Mit seiner Musik war er den Friedens-, Gewerkschafts- und Freiheitsbewegungen eng verbunden und blieb bis ins hohe Alter höchst engagiert.
Das Foto stammt von 1962: Es zeigt Pete Seeger auf dem Weg zu einem Auftritt. Einen Banjokasten umgeschnallt, einen anderen in den Hand, stapft er mit Frau und Kind in der abendlichen Dunkelheit durch den knöcheltiefen Schnee. Die Seegers gehen die Phila Street in Saratoga Springs (in Upstate New York) hinauf, vorbei an einer hell beleuchteten Verkaufshalle für Autos. Bei Heleene’s Curio Shop werden sie die Treppe zum Caffè Lena hochsteigen, einem Folkclub, der damals gerade neu eröffnet worden war und der immer noch in Betrieb ist.
In solchen Coffee Houses fand Seeger sein Publikum – junge Leute, StudentInnen, Bohemiens, dazu linksliberales Bürgertum, auch das eine oder andere Gewerkschaftsmitglied war darunter. Begeistert beklatschten sie seine Songs, die von den Härten des Lebens erzählten, von Unterdrückung und Not, und hoffnungsvoll die Zukunft beschworen, wenn die Wohlmeinenden nur zusammenstehen würden. «Which side are you on?», fragte Seeger sein Publikum in einem Song, den er von Florence Reece übernommen hatte. Die Zwölfjährige hatte sich das Lied 1937 ausgedacht, als ihr Vater, der in den Kohleminen von Tennessee arbeitete, auf Streikposten stand.
Vom Song zur Hymne
Pete Seeger sammelte solche «Labor Songs» und verwandelte sie in Gewerkschaftshymnen, wie er aus «We Shall Overcome» eine Bürgerrechts- und aus «Where Are All the Flowers Gone?» eine Friedenshymne machte. Er hatte schon Arbeiterlieder angestimmt, als er mit Woody Guthrie und den Almanac Singers Ende der dreissiger Jahre in einer «alten Klapperkiste» (Seeger) unterwegs war, um bei Streiks, Gewerkschaftstreffen, vor Suppenküchen und bei Demonstrationen zu singen. «Wir haben eine Platte mit Gewerkschaftsliedern aufgenommen und diese Songs im ganzen Land gesungen», erinnerte er sich. «Innerhalb von drei Jahren hatte die Gewerkschaftsbewegung ungefähr sieben Millionen neue Mitglieder geworben, und das machte den grossen Bossen eine Heidenangst.» Der hochgewachsene hagere Banjospieler mit der glockenhellen Stimme machte keinen Unterschied: Als Musiker war er politischer Aktivist.
Pete Seegers politisches Engagement brachte ihn öfter in die Bredouille, besonders gravierend in den fünfziger Jahren, als er im Zuge der antikommunistischen Hysterie der McCarthy-Ära vom «Komitee für unamerikanische Umtriebe» der Subversion für schuldig befunden wurde. Zehn Jahre Gefängnis drohten, bevor der Schuldspruch revidiert wurde. Doch Seegers Name tauchte jetzt auf schwarzen Listen auf, was es ihm fast unmöglich machte, Auftrittsgelegenheiten zu finden. Gleichzeitig herrschte für seine Lieder Sendeverbot im Radio. Folkways, das winzige Label, das Seegers Platten veröffentlichte, wurde im «Red Channels»-Buch geführt, das in den Rundfunkstationen zirkulierte. Seine Schallplatten landeten prompt im Giftschrank.
Pete Seeger hatte Musik mit der Muttermilch eingesogen: Der Vater war Komponist und Musikprofessor in Berkeley, die Mutter klassische Violinistin. «Das Leben bestand fast nur aus Musik», erzählte er in einem Interview. «Mein Vater fand, es gäbe sonst nichts, worüber nachzudenken sich lohnte.» Mit einer Ausnahme: Politik! Gemeinsam reiste die Familie mit einem Wohnwagen durchs US-amerikanische Hinterland, um LandarbeiterInnen Beethoven und Brahms nahezubringen. Die bedankten sich, indem sie ihre Banjos und Fideln auspackten, um den Seegers eins zu geigen.
Von Brahms zum Banjo
Das machte Eindruck und weckte das Interesse der grossstädtischen Missionare an der Musik der Hinterwäldler. Selbst der Junior profitierte vom Sinneswandel: Nicht mehr Klavier und Geige sollte er lernen. «Als ich acht war, hat mir meine Mutter eine Ukulele in die Hand gedrückt», erinnert sich Seeger. Später stieg er auf Banjo um. Als die Ehe der Eltern in die Brüche ging, heiratete der Vater erneut: Ruth Crawford Seeger wurde Petes Stiefmutter, die als eine der ersten Komponistinnen moderner Prägung in die US-amerikanische Musikgeschichte einging und auch durch ihre symphonischen Arrangements von Folksongs aufhorchen liess.
Zum Studium ging der junge Mann nach Harvard – und schmiss es hin! Alan Lomax, ein Freund des Hauses, verschaffte ihm einen Job in der Library of Congress. Seine Aufgabe: Berge von Schellackplatten durchzuhören und zu katalogisieren. So lernte Seeger die Lieder des alten Amerikas kennen. «Das war eine grossartige Ausbildung für mich», bemerkte er später.
Bald versah er bekannte Melodien mit neuen Texten, was das gemeinschaftliche Singen in Konzerten oder bei Streiks leichter machte. Dazu schrieb er eigene Lieder, auch wenn er sich damit quälte. «Songs zu schreiben, fällt mir nicht leicht», räumte er ein. «Manchmal brauche ich Wochen, um einen vernünftigen Song zu schreiben, oder andere Menschen, die ihn für mich umschreiben.» Doch ohne Lieder ging es nicht, sie gehörten für Seeger einfach dazu. Er glaubte an ihre gesellschaftsverändernde Kraft und liess sich seinen Optimismus nie ausreden.
Vom Stalinismus zum Umweltschutz
Für Generationen von Singer-SongwriterInnen wurde Seeger zum Vorbild. Bruce Springsteen verneigte sich vor dem Veteranen mit dem Album «We Shall Overcome. The Seeger Sessions», dessen gesamtes Repertoire dem Liederschatz des Pioniers entstammte. Und Springsteen war nicht der Einzige: Seeger öffnete zahlreichen jüngeren MusikerInnen die Ohren für die vielfältigen Traditionen der US-amerikanischen Folkmusik.
Im hohen Alter trat Seeger kürzer, doch blieb er weiterhin aktiv. Zum Stalinismus seiner frühen Jahre ging er auf Distanz. Gerne zitierte er die deutsche Sozialistin Rosa Luxemburg mit ihrer Kritik an der russischen Revolution und pochte auf die Bill of Rights: «Ohne Pressefreiheit, ohne Rundfunkfreiheit, ohne Redefreiheit wird alles immer schlimmer.» Davon war er überzeugt.
Seeger engagierte sich im Umweltschutz und kämpfte mit einer Initiative und seinem Segelboot Clearwater dafür, den Hudson River, an dem er seit 1949 in der Ortschaft Beacon zuerst in einem Wohnwagen, dann in einem Blockhaus mit seiner Frau Toshi lebte, wieder zu einem sauberen Fluss zu machen. Seeger sang bis zu seinem Tod Ende Januar in Kindergärten und absolvierte weiterhin Konzerte, nicht nur Megaevents wie die Amtseinführungsparty von Barack Obama. Und wenn seine Stimme gelegentlich brüchig wurde, dann sang das Publikum die Liedverse und Hymnen alleine zu Ende.