«Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst»: Langeweile und Loyalität

Nr. 7 –

Shani Boianjiu leistete als Waffenausbilderin in der israelischen Armee Dienst. In ihrem Roman erzählt die junge Autorin aus dem verstörenden Alltag von Rekrutinnen, die sich von naiven Schülerinnen zu Parodien männlicher Kämpfer entwickeln.

Sie hausen irgendwo auf einem gottverlassenen Stützpunkt im Wüstenstaub und bilden Rekruten an der Waffe aus. Sie können sich auch unbeliebt machen und sich bei der Militärpolizei verdingen. Wenn sie Glück haben, werden sie sogar Offizierinnen. Ansonsten hocken sie Schicht für Schicht an Bildschirmen, wo sie einen bestimmten Abschnitt des Grenzzauns überwachen. Oder sie stehen sich am Checkpoint die Beine in den Bauch und kontrollieren PalästinenserInnen auf deren eigenem Boden. Manchmal versuchen sudanesische Flüchtlinge über die Grenze ins gelobte Land zu kommen. Hin und wieder zieht ein durchgedrehter Grenzgänger ein Messer. Aber in aller Regel herrscht unbeherrschbare Langeweile. Militäralltag, zu dem Israel als einziges westliches Land auch Frauen verpflichtet.

Die Paranoia bleibt

Shani Boianjiu, mit irakisch-rumänischen Wurzeln in Jerusalem geboren, war selbst Waffenausbilderin. Die 27-Jährige, die ihren zweijährigen Dienst in der israelischen Armee abgeleistet hatte, bevor sie in Harvard studierte, kennt sich aus mit Gewehren, mit der Anmache der Vorgesetzten, mit den blühenden Sexfantasien der sich langweilenden Mädchen, mit dem rüden Ton, den sie sich aneignen, um von den Männern akzeptiert zu werden. Und sie kennt sich aus mit der Angst, die in ihrem ersten Roman mit dem sprechenden Titel «Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst» allgegenwärtig ist. Obwohl es ganz unwahrscheinlich ist, dass Frauen in kriegerischen Verwicklungen sterben, denn in aller Regel werden sie nicht in Kampfeinheiten eingesetzt.

Yael, Avishag und Lea wachsen in einem Dorf an der libanesischen Grenze auf, in dem «Privatheit, öffentliche Verkehrsmittel und Milch mit 5 Prozent Fett» zu den «Raritäten» gehören. Die Siedlung ist das Produkt des «Einfalls, man sollte Galiläa judifizieren». In der Schule lernen die nicht immer eng zueinanderstehenden Freundinnen, dass man sein Land zu lieben hat und was Panzerfaustkinder sind. Bald ist die Schule vorbei, und sie müssen zur Armee. Alle, sogar «Prinzessin Lea», die dazu keine Lust hat, und Yael, die vor Angst fast vergeht. Kurz zuvor hat sich Avishags Bruder Dan, der seinen Militärdienst bereits abgeleistet hatte und in den Yael verknallt war, umgebracht.

Die drei Mädchen nehmen die Angebote an, die die israelische Armee für Frauen bereithält: Avishag stiert in einen Monitor und erfindet, um nicht verrückt zu werden, Geschichten. Lea, die einstige Anführerin, steht in ihrer viel zu grossen, grünen Uniform und dem blauen Barett am Checkpoint und beobachtet, wie das Leben zu Schleuderpreisen ausverkauft wird. Yael, das Alter Ego der Autorin, wird Waffenausbilderin. Sie spielt mit Gewehren herum und verführt aus schierer Langeweile Rekruten. Übrig davon bleibt nur «der kurze Moment, in dem wir den Sand verlegen gemacht haben».

Als Lea Augenzeugin eines Anschlags auf einen Soldaten am Checkpoint wird, schlägt sie die Offizierslaufbahn ein: Sie will kein «zurückgelassenes Mädchen» mehr sein. Aber sie wird mit den Erlebnissen so wenig fertig wie Avishag, die am Bildschirm beobachtet, wie eine sudanesische junge Frau von ägyptischen Soldaten angeschossen wird. Durch eine Unvorsichtigkeit löst sie einen diplomatischen Zwischenfall aus und katapultiert sich aus der Schusslinie ins Militärgefängnis. Auch Yael begleitet die Paranoia bis ins zivile Leben: Überall ist Erinnerung, überall wittert sie Selbstmordattentäter und Gefahr.

Ein Knickspiel

Nichts passt zusammen in diesem Land, «nichts war so, wie es sein sollte»: nicht das Gemisch der Völker, nicht Tel Aviv, das den Eindruck macht, «nie so richtig auf dieser Erde existieren zu sollen». Und folgerichtig ist der Roman auch nach dem Prinzip des Knickspiels konzipiert, das die Mädchen in der Schule spielten: Eine schreibt einen Satz, knickt das Blatt um, dann kommt die nächste und so weiter. Am Ende entstehen drei Geschichten, die untrennbar verbunden sind, denn sie speisen sich aus der Logik des gemeinsamen Traumas, das mit dem Exodus beginnt, den Holocaust in der Erinnerung und die gewaltsame Gegenwart immer vor Augen. In der Art und Weise, wie sich die Frauen selbst nach dem Ende ihrer Militärzeit noch «den Jungen» ausliefern oder wie Lea Rache nimmt für ihren ermordeten Kameraden, spiegelt sich das Drama des zur Wehrhaftigkeit gezwungenen, aber in stetiger unheiliger Furcht lebenden Volks. Wie für die Rekrutinnen besteht das Problem auch für Israel, dass seine Zukunft in der Vergangenheit liegt. «Sie existierte ausserhalb unserer Köpfe und war zu gross.»

Mit dem Romankonstrukt fordert die junge Autorin ihre LeserInnen gelegentlich heraus, insbesondere mit den beiden letzten Kapiteln. Doch dafür überzeugt sie mit einer sich an die Figuren anschmiegenden Sprache, die deren Entwicklung von naiven Schülerinnen zu Parodien männlicher Kämpfer vermittelt und den Grundton von Verstörung und Traumatisierung immer mitschwingen lässt. Was wir hier aus dem Innenleben der israelischen Armee erfahren, wird von keiner noch so differenzierten Studie, keiner noch so farbigen Reportage eingeholt. Der Roman eröffnet den schrecklichen Möglichkeitshorizont einer schon vollendeten Zukunft: «Ich weiss genau, was passieren wird, es muss also gar nicht erst passieren», erklärt die von Erinnerungen bedrängte Yael ihr unablässiges Déjà-vu. «Wird es aber. Ständig passieren Dinge, die nicht passieren müssen. Wir machen sie einfach immer wieder.»

Shani Boianjiu: Das Volk der 
Ewigkeit kennt keine Angst. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2013. 331 Seiten. Fr. 29.90