Machtkampf im Sudan: «Auf ihr Wort ist nie Verlass»

Nr. 16 –

Lange standen die militärischen Machthaber Seite an Seite gegen die Revolutionsbewegung, nun bekriegen sie einander. Wer den Sudan kenne, sei davon kaum überrascht, sagt Autorin und Aktivistin Raga Makawi.

«Ich sitze praktisch fest», sagt Raga Makawi am Telefon. Seit Oktober studiert Makawi an der Universität Oxford, derzeit hält sie sich zu Forschungszwecken in Khartum auf, wo sie aufgewachsen ist. Nun ist der Flughafen der Millionenmetropole geschlossen, es mangelt an Strom, an Wasser, an allem. «Trotzdem bin ich sehr froh, hier zu sein», sagt Makawi. Ihre betagten Eltern wohnen in der Stadt, und sie hätte es nicht ausgehalten, den Geschehnissen aus der Ferne folgen zu müssen.

Seit Samstag herrschen in Teilen des Sudan kriegerische Zustände. Videos auf Social Media zeigen Helikopter und Kampfjets im Tiefflug über den Dächern der Hauptstadt, zu hören sind Explosionen und Gefechtslärm. Nachts fliegen Flugabwehrgeschosse als glühende Punkte in Richtung Himmel. Inmitten von Wohnquartieren entlädt sich ein blutiger Machtkampf zwischen zwei skrupellosen Militärchefs: Es bekriegen sich die regulären Streitkräfte von General Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) von General Mohammed Hamdan Daglo, bekannt unter dem Namen Hemeti.

Militarisiertes Land

Als in Khartum am Samstag die Kämpfe ausbrachen, befand sich Makawi bei einer Freundin im Stadtteil al-Amarat, ganz in der Nähe des Flughafens und anderer wichtiger Ziele von Luftangriffen. «Während dreier Tage und Nächte spielte sich der Krieg praktisch über unseren Köpfen ab», erzählt die 41-Jährige. Es waren Tage heftiger Gefechte, denen viele Zivilpersonen zum Opfer fielen. «Manche von ihnen sind langsam verblutet, weil sie während Stunden nicht medizinisch behandelt werden konnten», sagt Makawi. Am Dienstagabend schätzte die WHO die Anzahl der Todesopfer im Sudan auf mindestens 270, jene der Verletzten auf über 2600.

Und die Notlage der Menschen geht weit darüber hinaus: Die Lieferketten für lebenswichtige Güter sind unterbrochen, und dies in einem Land, das ohnehin schon lange unter einer grossen Wirtschaftskrise und internationalen Sanktionen leidet. Für viele ist die Nahrung bereits knapp, auch in Khartum. Dort ist der Bewegungsradius der Menschen stark eingeschränkt: Überall befänden sich Checkpoints, sagt Raga Makawi, mittlerweile könne sie die Soldaten voneinander unterscheiden. Jene der Armee hätten etwas dunklere Uniformen, jene der RSF die moderneren Waffen.

Khartum ist jedoch nicht erst seit gestern militarisiert. Wie in so vielen postkolonialen Ländern seien die staatlichen militärischen Institutionen mitten in den Hauptstädten angesiedelt, sagt Makawi. Und neben den aufeinanderfolgenden Militärregierungen existierten im Sudan weitere Akteure, die sich in den Stadtteilen und Quartieren Khartums eingenistet hätten: Milizen, die sich im urbanen Raum ausbreiteten, wo sie nicht so einfach angreifbar seien.

Die mächtigste von ihnen, die paramilitärischen RSF, habe nun den offenen Konflikt mit der Armee gewagt. General Hemeti hat sie einst aus den Dschandschawid geformt, den mörderischen Kämpfern im Darfurkrieg; reich und schlagkräftig wurden sie unter anderem deshalb, weil sie Teile des sudanesischen Goldhandels kontrollieren. Und Einfluss gewann Hemeti, weil er es im Zuge der sudanesischen Revolution vor vier Jahren, als Diktator Umar al-Baschir abgesetzt wurde, gemeinsam mit Armeegeneral Burhan an die Spitze schaffte (siehe WOZ Nr. 49/21).

Ein ewiges Seilziehen

Raga Makawi hat die Jahre der Revolution in Khartum eng verfolgt. Sie hat sich auch selbst aktivistisch für die Widerstandskomitees betätigt, jene informellen nachbarschaftlichen Graswurzelorganisationen, die seit zehn Jahren zivilen Ungehorsam gegen die militärische Übermacht im Land üben. Und gemeinsam mit drei weiteren Autor:innen hat sie das Buch «Sudan’s Unfinished Democracy» geschrieben, das 2022 erschienen ist: eine Nacherzählung der sudanesischen Revolution und eine Einordnung der vielen Erfolge und genauso vielen Rückschläge der sudanesischen Protestbewegung. Eine der zentralen Erkenntnisse des Buches lautet: Solange mächtige Militärchefs und Milizenführer am Verhandlungstisch mitreden, wird die Befreiung nicht gelingen. Denn auf deren Wort ist kein Verlass.

Die letzten Jahre und vor allem auch die jüngsten Entwicklungen geben Raga Makawi recht. Noch im Dezember wurde zwar eine neue Übereinkunft zwischen Militärs, Milizen und zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen getroffen, die den Weg hin zu einer zivilen Regierung ebnen sollte. Aber viele jener Kräfte, die einst den Kern der Revolution ausmachten, haben sich vom Verhandlungsprozess längst abgewandt: neben den Widerstandskomitees auch Gewerkschaften, Berufsverbände, Frauenvereinigungen.

«Wer den Sudan und das ewige Seilziehen um die Staatsmacht zwischen Militärs, Milizen und Rebellengruppen kennt, ist über den jüngsten Kriegsausbruch nicht überrascht.» Natürlich habe man immer gehofft, dass es vielleicht doch nicht so weit komme. «Aber es war klar: Sobald diese Leute in eine machtpolitische Sackgasse geraten, werden sie die Gewehre aufeinander richten», so Makawi. Und die sudanesische Zivilbevölkerung lande einmal mehr zwischen den Fronten.