Röntgenuntersuchungen: Wenn die Mammografie den Krebs erst auslöst

Nr. 10 –

Sollen Frauen an den Mammografie-Reihenuntersuchungen teilnehmen? Selbst kleine Strahlendosen können einen Krebs womöglich erst auslösen. Und die Medizin geht mit der Gefahr zum Teil fahrlässig um.

Kein Krebs tötet so viele Frauen wie der Brustkrebs. Elf Kantone bieten inzwischen ein sogenanntes Mammografiescreening an. Alle Frauen ab fünfzig werden aufgeboten, sich jedes zweite Jahr die Brüste röntgen zu lassen, um einen Krebs früh zu erkennen.

Das Screening ist jedoch umstritten. Anfang Februar publizierte das Swiss Medical Board – das von den kantonalen GesundheitsdirektorInnen und der FachärztInnenvereinigung FMH getragen wird – einen Bericht, der den Nutzen des Screenings hinterfragt.

Es führt darin verschiedene «unerwünschte Nebenwirkungen» an: Regelmässig komme es zu falschen Befunden, es werde Krebs diagnostiziert, auch wenn keiner da sei. Oder es werde überdiagnostiziert und -therapiert.

Einem weiteren kritischen Punkt widmet das Gremium nur wenige Zeilen: der Strahlenbelastung. Sie spiele eine untergeordnete Rolle, schreibt es und fügt an: «Allerdings kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden, dass eine radiologische Untersuchung zu einer geringfügigen Erhöhung der generellen Krebsinzidenz beiträgt.»

«Das ist nicht richtig», sagt der Grenchner Mediziner Martin Walter. Er ist Mitglied der ÄrztInnen für soziale Verantwortung (PSR/IPPNW) und beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen der sogenannten ionisierenden Strahlung.

«Korrekterweise müsste das Medical Board schreiben, dass die radiologischen Untersuchungen sicher zu einer Erhöhung der Krebserkrankungen beitragen», sagt Walter.

Hinter der Feststellung steht ein alter Disput, der sich langsam zu klären scheint. AKW-freundliche Kreise haben stets behauptet, kleine Strahlendosen seien ungefährlich. Sie gehen von einer Schwellenwerttheorie aus, nach der es ein sicheres Niveau an Strahlenbelastung gebe – wenn dieses nicht überschritten werde, entstehe kein Schaden, oder ein eventueller Schaden werde schnell repariert.

Auch kleine Dosen sind gefährlich

Die Frage, wie gefährlich niedrige Strahlendosen sind, ist existenziell. Hundert oder weniger Millisievert würden als niedrige Dosen bezeichnet, sagt Martin Walter: «Offizielle Strahlenschutzgremien haben bislang immer behauptet, unter dieser Dosis gebe es keine epidemiologischen Daten, die eine gesundheitliche Gefährdung beweisen.»

Deshalb habe nach dem Unfall in Fukushima der damalige Zuständige für Strahlenschutz, Shunichi Yamashita, der betroffenen Bevölkerung auch gesagt, unter hundert Millisievert müsse sich niemand Sorgen machen.

Später beschloss die japanische Regierung, ein Gebiet nur zu evakuieren, wenn es mit mehr als zwanzig Millisievert pro Jahr belastet ist. Der Grenzwert für beruflich Strahlenexponierte, also medizinisches Personal oder AKW-Angestellte, beträgt in der Schweiz zwanzig Millisievert pro Jahr, für die Bevölkerung ein Millisievert.

«Nun liegen erstmals Untersuchungen vor, die definitiv beweisen, dass auch kleine Strahlendosen gefährlich sind», sagt Walter. Zusammen mit dem Basler Onkologen Claudio Knüsli hat er zwei neue Studien aus Britannien und Australien ausgewertet und die Ergebnisse im Fachmagazin «Therapeutische Umschau» publiziert.

Die britische Studie zeigte, dass Personen, die in ihrer Jugend eine Computertomografie (CT) machen lassen mussten, markant häufiger an einem Hirntumor oder an Leukämie erkrankten. Die australische Studie untersuchte 680 000 Personen, die in ihrer Kindheit oder Jugend eine CT hatten, und konnte nachweisen, dass sie ebenfalls häufiger an Krebs erkrankten als unbelastete Personen.

Beide Studien kommen eindeutig zum Schluss, dass «auch niedrige Strahlendosen im Bereich von weniger als fünf Millisievert, wie sie bei der CT entstehen, zu einer in der Praxis relevanten Erhöhung des Krebserkrankungsrisikos führen», schreiben Walter und Knüsli.

Unnötige Strahlenbelastung

Martin Walter zitiert Karl Z. Morgan, der schon vor dreissig Jahren schrieb: «Der wahre Sündenbock bei der überflüssigen Strahlenbelastung der Bevölkerung ist nicht die Kerntechnik, sondern die Medizin.» Morgan war Direktor der Strahlenschutzabteilung des US-Forschungszentrums in Oak Ridge und sass jahrelang in renommierten Strahlenschutzkommissionen. Er hatte Ende der siebziger Jahre unter dem Titel «Ionisierende Strahlen im Bereich niedriger Dosis und die Erzeugung von Krebs» einen bahnbrechenden Beitrag zum Thema publiziert.

Was er damals schrieb, hat nichts an Brisanz verloren: «Es hat sich eine überwältigende Menge von Befunden angesammelt, die zeigen, (…) dass es keine noch so niedrige Bestrahlungsmenge gibt, bei der das Krebsrisiko null wäre. Die Frage ist vielmehr: Wie gross darf ein bestimmtes Bestrahlungsrisiko sein, bevor es die erwarteten Vorteile wie die der medizinischen Radiologie oder der Kernenergie überwiegt?»

Morgans Erklärung, wie ionisierende Strahlung Krebs auslöst: Jeder Organismus reagiert anders; damit aber eine Krebsgeschwulst zu wachsen beginnt, braucht es verschiedene Ereignisse – wie wenn einer oder mehrere Schalter umgelegt würden – durch Chemikalien, Viren, Bakterien oder eben Strahlung. Diese «Auslöser» darf man nicht gegeneinander abwägen, weil sie sich gegenseitig potenzieren. Morgan zitiert eine Studie, die belegte, dass Kinder, die im Alter von eins bis vier an einer allergischen Krankheit litten, ein 300 bis 400 Prozent erhöhtes Risiko hatten, an Leukämie zu erkranken (die Allergie legt einen Schalter um); Kinder, die im Mutterleib geröntgt wurden, haben ein 40 bis 50 Prozent erhöhtes Risiko, Leukämie zu bekommen (das Röntgen legt ebenfalls einen Schalter um). Bei Kindern, die sowohl geröntgt wurden wie an einer Allergie litten, vergrösserte sich das Leukämierisiko um 5000 Prozent (weil zwei Schalter umgelegt wurden).

Morgans Kritik an der Medizin trifft auf die Schweiz immer noch zu. Ein Drittel der gesamten Strahlenbelastung ist heute auf die Medizin zurückzuführen (pro Jahr 1,2 Millisievert), der Rest vor allem auf das chemische Element Radon.

Die medizinische Strahlenbelastung ist zudem in den vergangenen fünfzehn Jahren um zwanzig Prozent angestiegen. Die Zunahme geht vor allem auf das Konto der Diagnostik. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) stellte 2011 in einem Bericht fest, dass sich innert zehn Jahren die Anzahl der Computertomografieuntersuchungen verdoppelte und die damit verabreichte Dosis pro EinwohnerIn sich fast verdreifachte. Neuere Daten werden erst Ende des Jahres vorliegen: «Die Anzahl CT-Untersuchungen nimmt aber weiterhin markant zu», schreibt BAG-Sprecher Daniel Dauwalder.

Computertomografen sind ein tolles Diagnoseinstrument, solange sie sorgsam eingesetzt werden. Das BAG kann nicht sagen, wie viele Geräte es bräuchte, um eine Bevölkerung gut zu versorgen. Es gibt aber offensichtlich zu viele in der Schweiz: 296 sind im Einsatz – das macht 37 Geräte pro Million EinwohnerInnen, nur Island hat noch mehr, Spanien kommt mit 15 Geräten aus.

Martin Walter sagt, man sehe gut, wer sie sinnvoll und zurückhaltend einsetze: «Bei den öffentlichen Spitälern gibt es eine Warteliste. Bei den Privaten kommt man sofort dran, die müssen ihre Geräte amortisieren.»

Wenn Mammografie mehr schadet

Zurück zur Brustkrebsvorsorge: Laut dem Swiss Medical Board bringt eine Mammografie eine Strahlenbelastung von 0,44 bis 0,56 Millisievert, laut radiologischer Gesellschaft dürften es bei optimaler Anwendung eigentlich nur 0,11 Millisievert sein.

Reihenuntersuchungen steht Walter skeptisch gegenüber. Es bräuchte mindestens – wie dies auch das Medical Board verlangt – eine gezielte Begleitung durch die HausärztInnen, was heute oft nicht passiert.

Walter rät den Frauen, Brustuntersuchungen zuerst mit Methoden machen zu lassen, die ganz ohne Strahlung auskommen (wie Magnetresonanz oder Ultraschall). Eine Mammografie sei nur zu rechtfertigen, wenn die strahlungsfreien Diagnosemethoden eine Krebserkrankung nicht eindeutig ausschliessen könnten.

Manche Frauen erben ein «Brustkrebsgen». Ihr Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ist massiv erhöht, weshalb sich zum Beispiel Angelina Jolie vorsorglich die Brüste amputieren liess. Doch ausgerechnet bei ihnen ist die Gefahr besonders gross, dass die Röntgenuntersuchung den Krebs erst auslöst. Deshalb raten Walter und Knüsli diesen Frauen unbedingt zu strahlenfreien Diagnosemethoden.