EU-Beitritt: Wenn wir schon dabei sind …

Nr. 11 –

Die Absicht ist das eine, die Folge etwas anderes: Wenn es denn bei der Abstimmung vom 9. Februar nicht nur um Fremdenfeindlichkeit gegangen sein soll, sondern auch um die Souveränität der Schweiz, dann ging der Schuss nach hinten los. Spätestens als der rechtsextreme Mario Borghezio im europäischen Parlament die Schweizer Fahne schwenkte, sollte auch dem letzten Nationalisten klar geworden sein, wohin sich die Schweiz gerade katapultiert hat: mitten in die europäische Gegenwart. Da könnten wir uns doch auch einmal umsehen.

Doch weil die Zeiten hart sind, zuerst rasch ein Witz: Ausgerechnet der nachweisliche Rassist und Schweizfreund Borghezio wurde 2011 in St. Moritz von der Bündner Polizei vom Kantonsgebiet gewiesen, weil er sich am Protest gegen die vermeintliche geheime Weltregierung der Bilderberger mit Sicherheitskräften angelegt hatte. Auf Youtube erschien später ein Video, auf dem sich SVP-Politiker Lukas Reimann mit einem US-Verschwörungssender über Borghezio und Bilderberg unterhält – wie gesagt, die Verwirrung ist gross.

Und darum ist es zur Klärung eben richtig, alle Perspektiven zu benennen. Wenn die SP-Nationalräte Roger Nordmann, Eric Nussbaumer und Cédric Wermuth nun fordern, dass ihre Partei endlich wieder zum EU-Beitritt stehen soll, haben sie in einem Punkt schon einmal recht: dass wir darüber reden müssen.

Linke KritikerInnen werden gleich einmahnen, diese Europäische Union sei ein ganz und gar neoliberales Konstrukt und sowieso dem Untergang geweiht. Abgesehen davon, dass die Schweiz mit ihrer Milliardärsdichte, ihren Rohstofffirmen und ihrer engherzigen Migrationspolitik kaum weniger neoliberal ist, kommen bezüglich der Fortexistenz der EU Theoretiker wie Toni Negri und Sandro Mezzadra zu einem anderen Schluss.

Vor der Europawahl haben die beiden Neomarxisten den Aufruf «Kampffeld Europa» verfasst. Die Wirtschaftskrise zeige gerade, dass der europäische Integrationsprozess nicht umzukehren sei, schreiben Negri und Mezzadra. Wohl sei es richtig, gegen die Gewalt zu protestieren, mit der sich die Europäische Zentralbank durchgesetzt habe. Wer hingegen die Rückkehr zu nationalen Währungen wünsche, übersehe, dass die ökonomischen Auseinandersetzungen auf der europäischen Ebene und darüber hinaus spielten.

Die Unumkehrbarkeit der europäischen Integration sei nicht mit der Unmöglichkeit zu verwechseln, dass sie sozialer ausgerichtet werde: erstritten in Auseinandersetzungen um gerechte Löhne, Renten und Steuern, durch Bewegungen von unten, für die Rechte von Prekarisierten und MigrantInnen. «Den neoliberalen Zauber zu brechen, heisst heute, den europäischen Raum als Feld des Kampfes und der politischen Erfindung wiederzuentdecken.»

Dazu passt die «Charta von Lampedusa», die im Februar von AktivistInnen und Flüchtlingen verabschiedet wurde: Sie fordert nicht nur eine globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit und eine Abrüstung der Schengen-Grenze, sondern auch eine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa.

Derzeit streiten sich drei Blöcke um Europa: die radikale Rechte, die bei allen Gemeinsamkeiten keine positive Zukunft zu bieten hat, sie will nur den Zerfall. Die bürgerliche Rechte, die, um es mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zu sagen, mit einer «marktkonformen Demokratie» gut leben kann. Und eine mal angepasste, mal offensive Linke, die nicht nur für Freiheit, sondern auch für Gerechtigkeit ist.

In dieser Auseinandersetzung hätte die Schweiz durchaus Ideen zu bieten: weniger ihre Volksinitiativen, die zuweilen den Rechtsstaat unterlaufen. Aber vielleicht ihre Gewerkschaften, die sich MigrantInnen geöffnet haben und streiken können. Den funktionierenden Service public, der Gemeinbesitz garantiert statt privates Eigentum. Oder föderalistische, dezentrale Strukturen, die nützlich sind für den ökologischen Umbau.

Ob am Ende ein EU-Beitritt wartet oder die Zugehörigkeit zu einem sozialen Europa: Stürzen wir uns in die Debatte.