Frankreich: «Gewerkschaftspolitik mit anderen Mitteln»
In den Kommunalwahlen in Frankreich wird wohl der rechtsextreme Front National grosser Sieger. Auch dank ÜberläuferInnen von Gewerkschaften.
Die politische Stimmung in Frankreich ist von Missmut geprägt. Der regierenden Sozialistischen Partei (PS) droht bei den Kommunalwahlen vom kommenden Sonntag ein Debakel. Die Popularität von Staatspräsident François Hollande und seiner Regierung liegt im Rekordtief. Aber auch die stärkste Oppositionspartei, die konservativ-wirtschaftsliberale UMP, ist schlecht aufgestellt: Seit zwei Wochen reissen die Enthüllungen über Korruptions- und Abhörskandale nicht mehr ab.
Einzig der Front National (FN) ist im Aufwind. Die rechtsextreme Formation profitiert davon, noch nie an einer Regierung beteiligt gewesen zu sein. Mit Marine Le Pen an der Spitze präsentiert sich der FN erfolgreich als «soziale Alternative» zur PS-Regierung. Damit gelingt es dem FN sogar, GewerkschafterInnen für sich zu gewinnen, die sich auf FN-Listen für Gemeindeämter aufstellen lassen.
Die linken Gewerkschaftsverbände sind darüber alarmiert. Am 29. Januar fand unter dem Titel «Nein zur extremen Rechten, ihren Ideen und ihren Praktiken» eine grosse Veranstaltung in Paris statt. Aber auch in vielen regionalen und lokalen Initiativen kämpfen derzeit GewerkschafterInnen gegen den rechtsextremen Einfluss auf die ArbeiterInnenbewegung.
In Elbeuf etwa, einer Industriestadt im Norden, rund 25 Kilometer von Rouen entfernt, tritt der Gewerkschafter und Metallarbeiter Nicolas Goury für den FN an. Seine Gewerkschaft CGT hat ihn als Reaktion darauf inzwischen ausgeschlossen: Das Eintreten für den FN sei mit der Gewerkschaftszugehörigkeit unvereinbar, argumentierte sie. Die Rechtsaussenpartei postuliere in ihrem Programm die «Inländerbevorzugung», was ausländische Arbeitskräfte diskriminiere.
Goury hat seinen Ausschluss aus der Gewerkschaft in der Lokalpresse als politische Gängelung dargestellt. Seine Kandidatur für den FN verstehe er als «Fortsetzung des gewerkschaftlichen Engagements mit anderen Mitteln». Denn der FN setze sich für die Interessen der Bevölkerung und gegen «die soziale Ungerechtigkeit der PS-Politik» ein.
Die Affäre habe auch ihre guten Seiten, meint Régis Louail, CGT-Aktivist in Elbeuf: «Nun können wir im Ortsverband eine offene Diskussion über Rassismus in der Arbeiterschaft führen.» Denn viele Beschäftigte sympathisierten mit der Parole, dass Arbeitsplätze erst einmal für die eigenen Landsleute reserviert werden sollten. Louail findet, man müsse aufzeigen, dass der FN eine Partei mit neofaschistischer Geschichte ist.
Kein Ausschluss wegen Gesinnung
Anders als die CGT verhält sich der Gewerkschaftsdachverband Force Ouvrière (FO). Dieser spaltete sich 1947 von der damals kommunistisch geführten CGT ab und ist heute hinter der CGT und der sozialdemokratischen CFDT die drittstärkste Kraft. Die FO hat sich in ihrer Geschichte wiederholt dezidiert antikommunistisch positioniert.
In Hayange, einer ehemaligen StahlarbeiterInnenstadt nahe der luxemburgischen Grenze, nehmen gleich zwei FO-GewerkschafterInnen Spitzenplätze auf der FN-Liste ein. Im Namen der «politischen Unabhängigkeit der Gewerkschaften» weigert sich die FO, die KandidatInnen auszuschliessen. Die FO fordert lediglich, dass sie nicht mit ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft Wahlkampf betreiben. «Die FO tut so, als sei es einerlei, ob sie für die Sozialisten oder den Front National kandidieren», ärgert sich der CGT-Sekretär Pascal Debay aus Nancy.
Viele GewerkschafterInnen, die sich Ende Februar in Nancy für eine Tagung über das rechte Problem versammelten, berichten von der «Versuchung» der Mitglieder, aus vermeintlichem Sozialprotest rechtsextrem zu stimmen. Es sei «die Alternative, die noch übrig bleibt», nachdem die Rechte unter Sarkozy eine offen antisoziale Politik betrieben und die PS-Regierung abgrundtief enttäuscht hat.
Die GewerkschafterInnen setzen dem die positiven Erfahrungen von Solidarität mit eingewanderten KollegInnen im Arbeitsleben entgegen. Und sie arbeiten am Zerpflücken der Programme der Rechtsextremen, die auf viel Demagogie und widersprüchlichen Versprechen aufbauen. So will der FN gleichzeitig Steuern in den Kommunen radikal senken und dennoch öffentliche Dienstleistungen ausbauen.
Darüber hinaus geben die Gewerkschaften aber auch ihre Opposition gegen die Politik der sozialistischen Regierung nicht auf. Am Dienstag demonstrierten rund 200 000 Gewerkschaftsmitglieder in 140 Städten gegen den sogenannten Pakt der Vernunft von François Hollande. Unternehmen sollen künftig rund dreissig Milliarden Euro an Sozialversicherungsbeiträgen einsparen können – ohne nachprüfbare Gegenleistung.