Frankreich: Das Wursteln geht weiter

Nr. 22 –

Nach dem Wahlsieg des Front National bei der EU-Wahl in Frankreich scheinen die etablierten Parteien aus ihrer Niederlage nichts gelernt zu haben – im Gegenteil.

Der rechtsextreme Front National (FN) darf den etablierten Parteien Frankreichs aufrichtig dankbar sein. Nach dem monumentalen Fusstritt, den François Hollandes sozialdemokratische PS wie auch die oppositionelle konservativ-wirtschaftsliberale UMP am Sonntag bei der EU-Wahl erhielten, wursteln die Parteien nicht nur genauso weiter wie bisher. In vielerlei Hinsicht verschlimmern sie ihre Niederlage jetzt noch und bestätigen so diejenigen WählerInnen, die den historischen Rekord des FN mit 25 Prozent der abgegebenen Stimmen ermöglicht haben.

Politik für die Wohlhabenden

Die Ursachen für das Desaster von PS und UMP sind weitgehend hausgemacht. Seitens der Sozialdemokratie liegen sie in der kapitalfreundlichen Regierungspolitik. Diese kann nun wirklich niemanden begeistern: Wirtschaftsliberale WählerInnen stimmen gleich direkt für den Bürgerblock, und diejenigen, die unter der sozialen Misere des Landes leiden, werden in die Arme der Rechtsextremen getrieben, die mit billiger Demagogie den Wunsch nach sozialen Veränderungen bedienen.

Staatspräsident François Hollande hielt am Montag früh als Reaktion auf den Wahlausgang einen «Krisengipfel» im Elyséepalast ab. Sein Premierminister Manuel Valls kündigte zuvor an, inhaltliche Änderungen an der Regierungspolitik werde es «nicht geben». Als Einziges verkündete er eine «Fortsetzung und Ausweitung von Steuersenkungen».

Auch die unteren Einkommensklassen sollen jetzt von niedrigeren Steuern profitieren. Was als soziale Politik daherkommt, ist eine klassisch bürgerliche Antwort. Die Firmen müssen den Beschäftigten keine höheren Löhne zahlen, doch der Staat wird gleichzeitig geschwächt. Der Spielraum für eine soziale und ökologische Ankurbelung der Wirtschaft wird so weiter verengt. Am Montagabend dann erklärte Hollande in einer Fernsehansprache: «Meine Pflicht ist es, Frankreich zu reformieren.» Dabei war allen klar, dass er den Begriff der Reform nicht so benutzte wie früher die ArbeiterInnenbewegung: Nicht die schrittweise Verbesserung der sozialen Situation der Unterprivilegierten steht ihm im Sinn, sondern die Umgestaltung Frankreichs nach wirtschaftsliberalen Vorzeichen.

Die UMP wiederum kämpfte vor den Wahlen in den tiefen Gräben, die ihr Lager derzeit durchziehen. Da wäre ihre inhaltliche Spaltung bezüglich der Frage nach EU-Integration oder Rückkehr zum guten alten souveränen Nationalstaat. Ihr vormaliger Regierungssprecher Laurent Wauquiez etwa gab sich im April in einem Buch als EU-Feind zu erkennen und forderte eine von 28 auf nur noch 6 Mitglieder radikal geschrumpfte Union, weswegen ihn der ehemalige Aussenminister Alain Juppé umgehend zum Austritt aus der Partei aufforderte.

Streit und Korruptionsgeschichten

Und da wäre vor allem auch der innerparteiliche Streit um haarsträubende Korruptionsaffären. Die Kommunikationsfirma Bygmalion, angeleitet von persönlichen Freunden des amtierenden UMP-Vorsitzenden Jean-François Copé, hatte sich Summen in mehrfacher Millionenhöhe in die Tasche gesteckt – nur um dafür ein paar Stühle, Räume und Mikrofone für Parteiveranstaltungen zu mieten. Der Skandal war schon vergangene Woche publik geworden. Doch nach der EU-Wahl spitzte er sich zu. Die konservative, UMP-nahe Tageszeitung «Le Figaro» titelte am Montag auf ihrer Website: «UMP: Der Krieg ist erklärt». Am Dienstagmorgen erklärte Parteichef Copé unter erheblichem Druck seinen Rücktritt, drei Interimsvorsitzende – die drei ehemaligen Premiers Alain Juppé, François Fillon und Jean-Pierre Raffarin – leiten nun die Partei bis zu einem Kongress im Oktober. Währenddessen belasten die Anwälte Bygmalions ihrerseits Nicolas Sarkozy. Der ehemalige Staatspräsident und Wahlverlierer von 2012 sollte die UMP 2017 eigentlich erneut in die Wahl führen.

Der Front National, der sich nun lauthals als «stärkste Partei in Frankreich» bezeichnet, kann also noch eine ganze Weile lang triumphieren, zumal auch keine glaubwürdige linke Alternative in Sicht ist. Die Linksfront, ein Zusammenschluss aus französischer KP und linken SozialdemokratInnen, erhielt am Sonntag nur 6,3 Prozent und damit weniger Stimmen als 2009. Ihr Oppositionsprofil ist verwischt, seit sie bei den Kommunalwahlen im März dieses Jahrs eng mit der PS zusammenarbeitete. Auch die nicht etablierte radikale Linke konnte am Sonntag überhaupt nicht punkten: Auf mehrere Listen aufgesplittert, erhielt sie 1,6 Prozent der Stimmen gegenüber sechs Prozent bei der Europawahl 2009. Die radikale Linke hatte versucht, sich als «politischen Ausdruck der sozialen Kämpfe» zu profilieren – in einem Augenblick, wo soziale Kämpfe fast inexistent sind; nicht zuletzt deshalb, weil eine Mehrheit der Gewerkschaften keine Konflikte mit der PS-Regierung will. Die Perspektiven des FN für die nähere Zukunft sind wirklich glänzend.

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