Algerien: Europas Anker in Nordafrika
Der Westen hat grosses Interesse an einem stabilen Regime in Algerien. Da darf ein alter Autokrat ruhig weiter an der Macht bleiben.
Algerien hat einen neuen alten Präsidenten. Wie erwartet gewann Abdelasis Bouteflika die Präsidentschaftswahlen vom 17. April. Der Chef der Front de Libération National (FLN), der mächtigsten Partei des Landes, vereinte rund 81 Prozent der Stimmen auf sich.
Ein Bündnis säkularer und islamistischer Parteien rief zum Boykott der Wahl auf, spricht von Wahlbetrug und erkennt das offizielle Resultat nicht an. Die Abstimmung sei im Rahmen internationaler Standards abgelaufen, sagen die WahlbeobachterInnen von Afrikanischer Union und Arabischer Liga. Die EU schickte dieses Jahr keine eigene Beobachtermission ins Land.
«Zuverlässiger Partner»
Stattdessen leisteten westliche Spitzenpolitiker Wahlkampfhilfe für Bouteflika. Neben US-Aussenminister John Kerry war Spaniens Aussenminister Manuel García-Margallo kurz vor dem Wahltag zu Gast in Algier. Er betonte, Algerien sei ein «zuverlässiger Partner» und unersetzlich für die Stabilität in der Region. Madrid bezeichnete die Wahl als «transparent und pluralistisch».
Von den Regierungen in Europa und den USA waren keine kritischen Töne über den Ablauf der Abstimmung oder Bouteflikas umstrittene Kandidatur zu hören. Urnengänge gelten in Algerien als massiv gefälscht. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langem, dass die Meinungs- und die Demonstrationsfreiheit missachtet werden. Doch die EU hält sich mit lautstarker Kritik am Autoritarismus und der Menschenrechtslage zurück, um die Legitimität des Regimes in Algier nicht infrage zu stellen.
Mehr Erdgas aus Algerien
Schliesslich ist Algeriens Stabilität für die EU von enormer Bedeutung. Der nordafrikanische Staat ist nach Russland und Norwegen Europas drittgrösster Energielieferant. So machte García-Margallo im Zuge seines Algierbesuchs auch keinen Hehl aus seinen Ambitionen, künftig mehr Erdgas aus Algerien in die EU importieren zu wollen. Angesichts der Krise in der Ukraine warb er in Algier für eine Reduktion von Europas energiepolitischer Abhängigkeit von Russland, die durch zusätzliche Lieferungen aus Algerien kompensiert werden könnte.
Madrid will aus den jüngsten Spannungen zwischen Europa und Russland wirtschaftspolitisches Kapital schlagen. Algerien ist bereits mit zwei Gaspipelines mit Spaniens Festland verbunden, die auch Portugal mit algerischem Gas versorgen. Zwei Unterwasserleitungen führen nach Italien. Spaniens Regierung will jedoch vor allem mit der Ausweitung von Flüssiggaslieferungen den Erdgasimport nach Europa erhöhen, sind die sieben Flüssiggasanlagen in Spanien doch längst nicht ausgelastet. In den Anlagen wird das Gas durch Kühlung und Kompression verflüssigt, damit es unabhängig von Pipelines auf dem See- oder dem Landweg transportiert werden kann. Madrid hofft, mit entstehenden Transitgebühren eine dringend benötigte Einnahmequelle zu erschliessen. Während Algerien bereit sei, mehr Erdgas zu liefern, zögere Frankreich, die dafür notwendigen Leitungen nach Zentraleuropa auszubauen, sagte García-Margallo.
Massive Aufrüstung
Neben den unersetzlichen Gaslieferungen ist das Land der bedeutendste sicherheitspolitische Partner des Westens in der Region. Mit dem als zuverlässig geschätzten Bouteflika-Clan und seinen Verbündeten im Militär- und Geheimdienstapparat an der Macht wissen Europa und die USA ihre Interessen in der Region gewahrt.
Denn die verstärkte politische Instabilität in Nordafrika im Fahrwasser des Arabischen Frühlings stellt eine schwere Hypothek für die geopolitischen Interessen der Industrienationen dar. Libyen droht auseinanderzubrechen, und der Krieg in Mali führte Europa und den USA eindrucksvoll vor Augen, wie sehr man auch sicherheitspolitisch auf Algier angewiesen ist. Das Land rüstet mit Unterstützung der USA und Europas massiv auf und leistet sich 2014 mit rund zwanzig Milliarden US-Dollar Afrikas grösstes Rüstungsbudget.
Die Aufrüstung findet jedoch nicht nur im Kontext algerischer Erdgasreserven statt, sondern hängt auch mit der Trans-Saharan-Pipeline zusammen. Die 4128 Kilometer lange Gasleitung soll Nigerias Erdgasquellen direkt mit Europa verbinden und nach ihrer geplanten Fertigstellung 2015 jährlich dreissig Milliarden Kubikmeter Erdgas ins europäische Netz einspeisen. Algerien fungiert dabei als Transit- und Verteilknoten. Angesichts der Aktivitäten militanter IslamistInnen im Sahelraum kann Algeriens Regime die hohen Militärausgaben vor dem eigenen Volk und der Westen die Aufrüstung des autokratisch regierten Landes legitimieren.