Automation: Den Roboter feuern?

Nr. 21 –

Der japanische Autohersteller Toyota setzt auf «kamisama»: So nannte man früher die erfahrenen Handwerksmeister. Darin könnte das Projekt einer neuen Aufklärung stecken.

Toyota sorgte kürzlich mit dem Massenrückruf mangelhafter Autos in die Werkstätte für Schlagzeilen. Aufschlussreicher – wie so oft – ist jedoch eine andere Bekanntmachung im Schatten dieser Massnahme. Sie betrifft nicht die Fahrzeuge, sondern vielmehr die Leute, die sie bauen, genauer: deren Fertigkeiten.

Toyota gibt weltweit das Tempo der automatisierten Produktion vor. Und wie es scheint, beginnen die Verantwortlichen, im Zuge einer innerbetrieblichen Rückbesinnung auf die Qualitätssicherung auch alte Tugenden des Handwerks wiederzuentdecken. «Re-Skilling» nennt sich das. Veteranen des Autobaus wie Mitsuru Kawai, der seit fünfzig Jahren für Toyota arbeitet, werden damit beauftragt, die Herstellung manueller zu gestalten. «Wir müssen solider werden und zu den Grundlagen zurückkehren», sagt er, «das heisst unsere manuellen Fähigkeiten schärfen und entwickeln. Als ich ein Neuling war, nannte man erfahrene Meister ‹kamisama› – ‹Götter› –, weil sie alles machen konnten.»

Und so hämmern, verbiegen und drehen Arbeiter in der Schmiedeabteilung von Toyotas Honsha-Betrieb Metall von Hand zu Kurbelwellen statt mit den üblichen automatisierten Vorrichtungen. In Toyotas japanischen Werkstätten sind in den letzten drei Jahren um die hundert handwerksintensive Arbeitsplätze geschaffen worden – mit dem Ziel zu lernen, wie man Maschinen so programmieren kann, dass sie weniger Abfall erzeugen und die Arbeitsprozesse verbessert werden. Wenn nicht alles täuscht, erleben die Handwerks-«Götter» ein Comeback, und das ironischerweise am Ort der am weitesten vorangetriebenen Automation.

Im digitalen Sweatshop

Als Markenzeichen der technisch-industriellen Entwicklung gilt das Delegieren menschlicher Fähigkeiten an Maschinen. Oder umgekehrt: die Substitution menschlicher Kompetenz durch Software. In den Prognosen der Computerwissenschaftler und Ökonominnen herrscht dabei der typische, oft schon fast religiöse Ton der Unabwendbarkeit vor.

Nun ist es durchaus erstaunlich, was alles wir an Software delegieren können – auch intellektuelle, zum Beispiel wissenschaftliche oder journalistische Arbeit. Aber Prognosen der Automation funktionieren nach der Logik des Pars pro Toto: Eine Teilentwicklung wird hochstilisiert zur Entwicklung des Ganzen. Zwei Punkte sind dabei aufschlussreich: die Unterschätzung menschlicher und die Überschätzung maschineller Fähigkeiten. Man kann dies geradezu als Charakteristikum der ganzen Softwarebranche seit ihren Anfängen betrachten.

Und man kann sich zudem fragen, ob und inwieweit diese Branche intellektuell auf alternative Entwicklungen zur endlosen Leiter der Automation vorbereitet ist. Immerhin fällt die Einäugigkeit des Substitutionsszenarios heute auch klügeren SoftwaredesignerInnen auf. Vielleicht lernen sie die Weisheit eines alten Griechen wie Heraklit: Jede Entwicklung, alternativlos verfolgt, schlägt schliesslich um in ihre Gegenbewegung. Stehen also bei Toyota die Zeichen auf Umkehr, von der Automatik zum Manuellen?

Ein voreiliger Schluss, gewiss. Dennoch werden hier Symptome einer Dialektik der Automation erkennbar, einer Umkehr des Delegierens: statt vom Menschen an die Maschine nun von der Maschine an den Menschen. Was bei Toyota zu beobachten ist, erinnert zumindest auf den ersten Blick an Amazons «mechanischen Türken».

Vor zehn Jahren kamen die SoftwareentwicklerInnen des Internetwarenhauses auf die zündende Idee, Aufgaben, für deren Lösung die Algorithmen zu viel Zeit brauchten, durch Outsourcing an Menschen zu delegieren: Gesichter erkennen, übersetzen, ein paar Sätze zu Stichwörtern schreiben, Spam verbreiten, kleine Programme schreiben et cetera. Der «mechanische Türke» ist eine Plattform, auf der AuftraggeberInnen Arbeiten, sogenannte «human intelligence tasks» (HITs), in Auftrag geben, die mit einem geringen Betrag abgegolten werden. Arbeit auf niedrigster Lohnstufe, (zumindest bislang) rechtlos und einem erbarmungslosen Ratingsystem ausgesetzt.

Einer aus diesem Heer von unsichtbaren Online-«Türken» («turkers») berichtet, mit gut 2000 kleinen Jobs die stolze Summe von 157 Dollar verdient zu haben. ÖkonomInnen schätzen den durchschnittlichen Stundenlohn auf 1 bis 2 Dollar. Das offizielle Minimum beträgt 7,25 Dollar. «Digitaler Sweatshop» wurde die Exploitation richtigerweise genannt. Denn was hier auf den ersten Blick wie eine Rückeroberung menschlicher Tätigkeiten anmutet, erweist sich im Grunde als Entfremdung im Quadrat: Der Mensch macht sich zum Modul des Computers.

Automation funktioniert nicht nach dem Nullsummenprinzip: Was die Maschine gewinnt, verliert der Mensch. Bereits in späteren Stadien der ersten industriellen Revolution zeigte sich, dass das Fliessband zwar herkömmliche Tätigkeiten überflüssig machte, zugleich aber auch neue Arbeitsfelder schuf. Die ÖkonomInnen sprechen in diesem Zusammenhang von der «lump of labour fallacy», also vom Fehlschluss der fixen Arbeitsmenge. Er ist auch ein opportunes und beschwichtigendes Argument für die Automation. Die Furcht vor Unter- und Unbeschäftigung sei nicht begründet, denn Automation schaffe immer auch neue Jobs.

Vorsicht: Fliessbandlogik

Die Wirtschaftsjournalistin Annie Lowrey verstieg sich vor kurzem in der «New York Times» gar dazu, von einem «virtuosen Kreis» zu schreiben: Automation schraube uns unaufhaltsam auf Ebenen hinauf, wo wir zu höherwertigen Arbeiten und Aufgaben befreit würden. Vielleicht. Das ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Abgesehen von der Frage, wer denn eigentlich dieses «wir» ist, klingt ein solcher Optimismus gerade vor dem – gern versteckten – Hintergrund digitaler Arbeitsbedingungen reichlich höhnisch.

Wir stossen hier auf einen anderen, den «solutionistischen» Fehlschluss: Solche Prognosen verkaufen ein Problem als Lösung. Im Zusammenhang mit der Automation stellt sich ja gerade die Frage, woran man «höherwertige» Arbeit misst: an Produktionsrate und Profit des Unternehmers oder an den Fertigkeiten und der Befriedigung der ArbeiterInnen?

Ein grosser Teil der Industrialisierung beruht auf «De-Skilling», auf der Qualitätsreduktion der Arbeit. Sie – so lautet ein gängiges Axiom – steigert die Produktionsrate. Die Logik des Fliessbandes: mehr Qualität der Maschinenarbeit, weniger Qualität der Menschenarbeit. Wenn aber der Mensch immer weniger Fähigkeiten ausbilden muss, was macht er dann in der schönen neuen Freiheit, die ihm die Maschinen gewähren? Die wohl zynischste Antwort liefert heute die Freizeitindustrie: Sie verheizt die durch die Produktionsmaschinerie freigesetzte menschliche Energie gleich wieder in der Unterhaltungsmaschinerie.

Das Problem sind nicht die Roboter

In Kreisen der technologischen Avantgarde wird gern mit der Frage gespielt: Wozu brauchen wir überhaupt noch Menschen? Die Fähigkeiten der Computersysteme entwickeln sich in einem unglaublich rasanten Tempo, das uns immer mehr als hoffnungslos schwerfällig, langsam und fehleranfällig erscheinen lässt. Warum also nicht makellose automatisierte Systeme bauen, aus denen sich der Humanfaktor streichen lässt?

Solche Visionen überspielen das Problem, dass Software mit zunehmender Komplexität nicht nur unkontrollierbarer, sondern selbst auch wieder fehleranfälliger wird. In ironischer Umkehr macht Automation schliesslich genau das wieder notwendig, was sie auszuschliessen suchte: den Humanfaktor.

Man denke nur an den Autopiloten im Flugzeug oder das Kontrollsystem eines Reaktors. Hier sind manuelle Fertigkeiten wie das schnelle Eingreifenkönnen oder kognitive Fertigkeiten wie das Langzeitwissen der persönlichen Erfahrung gefordert. Die Automation menschlicher Kompetenzen ersetzt diese also nicht, sondern hinterlässt vielmehr humane «Restkompetenzen». Je automatischer ein System funktioniert, desto wichtiger wird das Umschalten vom automatischen zum manuellen Modus. Genau das also, was jetzt Toyota realisiert.

Bleiben wir realistisch. Zu viel an wirtschaftlichem, politischem und alltäglichem Leben ist bereits mit Automatentätigkeit verwoben, als dass «Re-Skilling» einfach Rückkehr zu vorautomatischen Praktiken bedeuten könnte. In diesem Sinn wird sich die Betriebspolitik von Toyota noch in der globalen Wirtschaft zu bewähren haben.

Aber die Signalfunktion liegt ohnehin nicht in der ökonomischen Perspektive. Das heisst, wir müssen die Lektion von Toyota als ein «Umschalten» in einem allgemeineren Sinn begreifen, als etwas sehr Elementares: JedeR überlegt für sich selber, was arbeiten auf dem eigenen Gebiet bedeutet.

Das Problem sind nicht die Roboter. Das Problem ist eine Ideologie, die uns permanent einredet, Arbeit sei Mühsal und Arbeitsparen die Erlösung davon. Es gilt, das Umschalten in kluger Symbiose mit der Technik zu vollziehen. Genauer besehen, steckt darin das Projekt einer neuen Aufklärung. Sie beginnt im Kleinen, Individuellen, Unscheinbaren, bei all jenen Fertigkeiten, deren wir plötzlich innewerden, wenn wir nicht gerade ein Gerät zur Hand haben.

Umschalten bedeutet die Einsicht, dass uns «arbeitssparende» Massnahmen durch Maschinensklaven (Roboter) abhängiger von ihnen (im Klartext: von ihren BesitzerInnen) machen. Sie läuft auf die Wiederentdeckung dessen hinaus, was in der ganzen Fahrhabe der selbsttätigen Geräte zu verschwinden droht: des selber tätigen Menschen.