Kolumbien: Ein Ende des Kriegs bringt noch keinen Frieden
Bis Ende 2014 will Präsident Santos ein Abkommen mit der Farc-Guerilla unterzeichnet haben. Doch mit seiner neoliberalen Politik schafft er gleichzeitig die Grundlage für neue Konflikte.
Kolumbiens Regierung zeigt sich in diesen Monaten zugeknöpft. Man habe mit der Farc-Guerilla Diskretion über die derzeit in Kuba laufenden Friedensverhandlungen vereinbart, heisst es im Pressebüro von Präsident Juan Manuel Santos; Interviews zum Thema würden nicht gegeben. Man solle sich doch selbst ein Bild von den Programmen machen, mit denen die Regierung bereits jetzt an einem dauerhaften Frieden arbeite – zum Beispiel bei der Agencia Colombiana para la Reintegración (ACR), der staatlichen Behörde zur Wiedereingliederung ehemaliger GuerillakämpferInnen und Paramilitärs.
In Kennedy, einem Arbeiterviertel im Südwesten der Hauptstadt Bogotá, liegt eines von 33 Aufnahmezentren der ACR. In einem garagenähnlichen Raum im Erdgeschoss stehen ein Dutzend durch Sichtblenden voneinander getrennte Schreibtische. Ein paar SozialarbeiterInnen beraten demobilisierte Paramilitärs und Ex-GuerillakämpferInnen, wie sie ihr Leben nach dem Krieg gestalten können.
ACR-Leiter Alejandro Eder empfängt im ersten Stock. Der 38-jährige Unternehmersohn, der zur auf Kuba verhandelnden Regierungskommission gehört, ist um ein joviales Auftreten bemüht und strahlt etwas Playboyhaftes aus. Die Haare trägt er nach hinten gegelt.
«In Kolumbien wird es so oder so Frieden geben», gibt er sich überzeugt. «Die Verhandlungen können ein Katalysator sein, der ein schnelleres Ende des Kriegs bringt.» Aber die Regierung bereite schon jetzt die Grundlagen für den Frieden vor, ganz unabhängig von den Verhandlungen. Denn Frieden «fällt nicht einfach durch ein Abkommen vom Himmel, er muss nach und nach geschaffen werden».
Eder zieht eine Linie von der autoritären Sicherheitspolitik der Vorgängerregierung unter Präsident Álvaro Uribe zur jetzigen gemässigteren Santos-Administration. Dank der erfolgreichen Guerillabekämpfung von Uribe könne sich die Regierung jetzt wieder grundlegenden gesellschaftlichen Problemen zuwenden: der Bekämpfung der Ungleichheit, dem Ausbau von Infrastruktur und Bildungssystem und der Stärkung der Institutionen. Entscheidend sei, dass die Regierung bei ihren Friedensbemühungen nicht bei null anfange, sondern auf langjährige Erfahrungen zurückblicken könne. 56 000 KämpferInnen hätten sich bereits demobilisiert, davon 20 000 GuerillakämpferInnen. Die Verbindung von militärischem Druck, wirtschaftlicher Entwicklung und Sozialreformen werde dafür sorgen, dass der politischen Gewalt nach und nach der Nährboden entzogen werde.
Das «malaysische Modell»
400 Kilometer nördlich, in der am Magdalena-Fluss gelegenen Kleinstadt Puerto Wilches, stellt sich die Lage anders dar. Es ist schwül, die Wolken hängen tief über der tropischen Ebene, die Hitze drückt einen zu Boden, wenn man aus dem Schatten der Palmen in die Sonne tritt.
Ölpalmen – so weit das Auge reicht. Seit einem knappen Jahrzehnt fördert der kolumbianische Staat den Anbau der ursprünglich aus Afrika stammenden Pflanze. «Fünfzig Prozent der Ernte wird für Biokraftstoffe verwendet», erklärt Juan Gonzalo, ein schlanker Endvierziger, der sich seit dreissig Jahren als Landarbeiter auf den Plantagen verdingt. «Die andere Hälfte geht in die Kosmetik- und die Nahrungsmittelindustrie.»
Die Nachfrage nach Palmöl ist auf dem Weltmarkt in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, und so propagieren kolumbianische Agrarverbände das «malaysische Modell». Der Palmenanbau sorge nicht nur für Exporteinnahmen, sondern könne – wie in Südostasien – auch zur Befriedung des Landes beitragen, indem er der Guerilla mit neuen Arbeitsplätzen den Boden entziehe und die Bevölkerung ökonomisch einbinde.
Auf der Plantage Bucarelia unweit von Puerto Wilches lässt sich erahnen, was damit gemeint ist. Landarbeiter Juan Gonzalo führt vor, wie die Erntearbeit verläuft. Mit einer acht Meter langen Teleskopstange und einer daran befestigten Klinge werden die Fruchtstauden geschnitten und dann von Büffeln zur nächstgelegenen Strasse transportiert. «Die Arbeit ist extrem anstrengend und gesundheitsbelastend», erklärt Gonzalo ausser Atem. Die Temperaturen in der Sonne liegen bei deutlich über vierzig Grad. «Das Schneiden geht auf den Rücken und die Gelenke», sagt er. Ausserdem wimmle es von Schlangen. Es gebe zwar sonst kaum noch wilde Tiere in der Region, und das Wasser sei von Pflanzenschutzmitteln verseucht, aber manche Arten hätten sich extrem vermehrt: «Vor allem Mäuse, die sich von den Palmnüssen ernähren, Schlangen und Greifvögel.»
Zerstörte Landschaften
Obwohl die Arbeit hart und mit umgerechnet rund 350 Franken im Monat nicht gut bezahlt ist, kämpfen Gonzalo und siebzig seiner KollegInnen verzweifelt um ihren Arbeitsplatz. Der Eigentümer hat die LandarbeiterInnen mit dem Verweis auf den Pilzbefall der Plantagen entlassen. Fast alle Pflanzungen in Kolumbien sind von der Pilzfäule Phytophthora palmivora befallen. Mit der Hilfe von staatlichen Subventionen ersetzen die meisten Plantagenbesitzer ihre Pflanzungen zurzeit durch resistentere Sorten und nutzen die Gelegenheit, um gleichzeitig die Belegschaft auszutauschen. «Wir Festangestellten werden entlassen und durch sogenannte Freiberufler ersetzt», erklärt Gonzalo. Im Grund handelt es sich dabei um TagelöhnerInnen. «Auf diese Weise werden die Unternehmer die Gewerkschaften los. Die Freiberufler können sich nicht organisieren. Die werden schon gefeuert, wenn sie sich nur mit uns treffen.»
Gerade noch siebzig organisierte LandarbeiterInnen gibt es auf der riesigen Plantage. Sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, ist mit grossen Gefahren verbunden: Der Vorsitzende der Sektion bewegt sich nur im gepanzerten Fahrzeug und mit Leibwächtern, die ihm im Rahmen internationaler Vereinbarungen vom Staat gestellt werden müssen.
Offiziell haben sich zwar die rechten Paramilitärs 2006 aufgelöst, real aber existieren sie weiter. «Die Regierung nennt sie jetzt ‹Bacrim›», erklärt Gonzalo – ein Kürzel für «kriminelle Banden». Ausser der Bezeichnung habe sich wenig geändert. «Die Exparamilitärs erpressen Schutzgelder, sagen, wen man wählen muss, und bedrohen diejenigen, die soziale Proteste organisieren.» Zwar gebe es weniger politische Morde als früher. «Aber es gibt auch viel weniger Proteste.»
Ember Ortiz, ein führendes Mitglied der Nahrungsmittelgewerkschaft Sinaltrainal, der zur Unterstützung der LandarbeiterInnen auf die Plantagen gekommen ist, pflichtet Gonzalo bei. «Solche Banden kontrollieren ganze Landstriche und Städte», sagt er. Man sollte meinen, dass der Staat sich davon bedroht fühlt. Immerhin etablieren diese Neoparamilitärs ihr eigenes Gewaltregime. «Aber für den Staat ist das offensichtlich sehr praktisch: Die Banden sorgen dafür, dass die Bevölkerung stillhält.» Ortiz, der bei Coca-Cola arbeitet und dort zu den letzten Festangestellten gehört, weiss, wovon er spricht: Er erhält regelmässig Todesdrohungen.
Trotzdem wollen die Gewerkschafter die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla nicht als reine Farce abtun. «Ein Friedensabkommen wäre sehr gut», betont Ortiz. «Das Problem ist nur, dass die Wirtschaftspolitik der Regierung dem Frieden widerspricht.» Präsident Santos spreche zwar von den sogenannten Entwicklungslokomotiven und meine damit vor allem den Bergbau- und den Energiesektor sowie die Agrarproduktion für den Export. Aber «beides richtet sich gegen die Bevölkerung, die in diesen Gebieten lebt».
Als Beispiel verweist der Gewerkschafter auf zahlreiche Wasserkraftwerke, die derzeit im ganzen Land gebaut werden. Der Strom soll in die Nachbarländer exportiert werden, unter anderem nach Venezuela. «Das klingt erst mal gut. Aber diese ganze Exportwirtschaft beruht doch darauf, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden. Kleinbauernland wird in Tagebauminen oder Monokulturen verwandelt. Zurück bleiben zerstörte Landschaften.»
Dass die neoliberalen Entwicklungsprojekte der Regierung Santos im Widerspruch zu den Friedensbemühungen stehen, glaubt man auch bei der Marcha Patriótica, einer neu entstandenen Linkspartei. In den Medien heisst es, die Farc würden sich im Fall eines Friedensabkommens dieser Organisation anschliessen und über sie an Wahlen teilnehmen. Jairo Estrada, Professor für Politik an der Nationaluniversität Kolumbiens, gehört zum Koordinationsrat von Marcha Patriótica. Er war als Experte bei der ersten Verhandlungsrunde in Havanna dabei und gehört zu den Leuten, die über die Friedensgespräche am besten informiert sind.
Positive Verhandlungen
«Es wird über fünf Punkte verhandelt», erklärt er: über die Agrarpolitik, die Demokratisierung des politischen Systems, den Drogenanbau und mögliche Ersatzkulturen, den Umgang mit Opfern und Tätern des Kriegs und schliesslich über die Frage, ob ein Friedensabkommen mit einer Volksabstimmung ratifiziert werden soll. Bei den ersten dei Fragen habe man schon eine Einigung erzielt, weiss Estrada. Auch was die Frage der Kriegsopfer angeht, hätten sich die Positionen angenähert. «Es wird über die Bildung einer Wahrheitskommission gesprochen, wie es sie auch in Südafrika gegeben hat.»
Estrada bewertet den Verlauf der Verhandlungen positiv. Zugleich ist ihm aber auch bewusst, dass die wirtschaftspolitischen Positionen kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. «Die Regierung will die Weltmarktintegration um jeden Preis. Für die sozialen Bewegungen dagegen geht es um Ernährungssicherheit und Selbstversorgung.» Aber man dürfe von einem Friedensvertrag ohnehin keine «Revolution per Dekret» erhoffen. «Das Abkommen wird die sozialen Strukturen nicht verändern», sagt er. «Aber es kann die Bedingungen für soziale Kämpfe verbessern.» Rechtlich abgesicherter Grundbesitz und eine Anerkennung auch kollektiv wirtschaftender bäuerlicher Gemeinschaften seien Voraussetzung dafür, dass sich die BäuerInnen überhaupt wieder gegen Vertreibung wehren könnten.
Zumindest in dieser Frage scheinen sich die Erwartungen von der Regierung und der Linken also zu decken: dass ein Friedensabkommen nicht End-, sondern Ausgangspunkt eines Friedensprozesses wäre. Und auch in einer anderen Frage ist Estradas Einschätzung von der des Regierungsfunktionärs Alejandro Eder gar nicht so weit entfernt: Für die Farc sei der Druck, zu verhandeln, sehr gross. «In Kolumbien haben US-amerikanische und israelische Experten in den letzten Jahren die modernsten Waffen- und Überwachungssysteme eingeführt», erklärt der Politikwissenschaftler. «Das hat den Farc schwere Schläge verpasst.» Selbst wenn die Guerilla also wollte – der bewaffnete Kampf besitze auch in Kolumbien keine politische Perspektive mehr. Nach einem Friedensvertrag aber könnte, so die Hoffnung von Estrada und vielen anderen Linken, eine neue antineoliberale Bewegung entstehen.
Santos will noch einmal
Am 25. Mai wird in Kolumbien ein neuer Präsident gewählt. Amtsinhaber Juan Manuel Santos liegt bei Umfragen vor den Kandidaten der Opposition – dem ultrarechten ehemaligen Finanzminister Óscar Zuluaga und dem grünen früheren Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa, der nicht nur von UmweltschützerInnen, sondern auch von Teilen der Rechten unterstützt wird. Obwohl die kolumbianische Öffentlichkeit die Friedensverhandlungen eher skeptisch beurteilt, werden diese also wohl auch nach den Wahlen weitergehen.
Santos will sich mit einem Abkommen ein persönliches Denkmal setzen, und auch sein aussichtsreichster Gegenkandidat Peñalosa hat angekündigt, die Verhandlungen fortzuführen. Nur Zuluaga, der vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe unterstützt wird und vor allem die mit den Paramilitärs verbandelten GrossgrundbesitzerInnen repräsentiert, will die Verhandlungen sofort beenden. Doch selbst wenn Zuluaga in die Stichwahl kommen sollte, werden seine Chancen im zweiten Wahlgang im Juni als gering eingeschätzt.