Kommentar zum möglichen Frieden in Kolumbien: Misstrauen und Hoffnung in Kolumbien
Kolumbiens Regierung und die Farc-Guerilla wollen bis in sechs Monaten ihren Krieg beenden. Die Ursachen für den Konflikt bestehen aber nach wie vor.
Fast 4 Jahre und 41 Verhandlungsrunden hat es gebraucht, um zu diesem Durchbruch zu kommen: Vergangene Woche kündigten der konservative kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos und Rodrigo Lodoño, der unter dem Decknamen «Timochenko» bekannte Chef der Guerilla Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc), in Havanna bis zum 23. März kommenden Jahres einen Friedensvertrag an. Nach 51 Jahren, rund 250 000 Toten und über 6 Millionen Vertriebenen scheint das Ende des längsten bewaffneten Konflikts Lateinamerikas nahe.
Voraussetzung für den Endspurt war die Unterzeichnung des vierten und wohl kniffligsten Abkommens der Verhandlungen: die Regelung, wie nach einem Friedensschluss strafrechtlich mit den Mitgliedern der Guerilla umgegangen werden soll. Herausgekommen ist eine ähnliche Regelung, wie sie schon für die rechten Paramilitärs bei deren 2003 vereinbarten Demobilisierung galt. Die blosse Mitgliedschaft bei den Farc und die Teilnahme an Kampfhandlungen bleibt straffrei. Für KriegsverbrecherInnen – von den Farc wie von der Regierungsseite – werden Sondertribunale geschaffen. Kooperieren die Angeklagten und entschädigen ihre Opfer, gibt es Strafen von bis zu acht Jahren, die als eine Art kasernierter Sozialdienst abgeleistet werden müssen. Wer nicht bereit ist, seine Schuld einzugestehen, muss mit einer langen Haftstrafe rechnen.
Wie bei den früheren Abkommen über eine Landreform, die politische Zukunft der Farc und die Bekämpfung des Drogenanbaus sind Einzelheiten nicht bekannt und müssen wohl noch ausgehandelt werden. Dabei sind noch einige Hürden zu überwinden, Verzögerungen daher nicht auszuschliessen. Selbst ein Abbruch der Verhandlungen ist noch möglich. Es wäre nicht das erste Mal. Die Friedensgespräche von 1982 bis 1984 mit dem damaligen Präsidenten Belisario Betancur sind genauso gescheitert wie die mit Andrés Pastrana von 1998 bis 2002.
Die Farc haben allen Grund, misstrauisch zu sein. Ihr erster Versuch, sich ins zivile politische Leben Kolumbiens einzugliedern, endete in einem Blutbad. 1985 gründete ihr politischer Arm gemeinsam mit der Kommunistischen Partei die Unión Patriótica und nahm an Wahlen teil. In den kommenden Jahren wurden 2 ihrer Präsidentschaftskandidaten, 8 Senatoren, 13 Parlamentsabgeordnete, 11 Bürgermeister und rund 5000 Parteimitglieder von Todesschwadronen ermordet. Solche MörderInnen gibt es in Kolumbien noch immer zuhauf. Zwar wurden die paramilitärischen Gruppen zwischen 2004 und 2006 offiziell aufgelöst. Sie haben sich aber unter neuen Namen längst reorganisiert.
Selbst ein unterzeichneter Friedensvertrag garantiert noch kein Ende des bewaffneten Konflikts. Denn anschliessend muss das kolumbianische Parlament darüber befinden, das Verfassungsgericht wird ihn prüfen, und Santos hat versprochen, er werde ihn dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Die Annahme des Vertragswerks in einem Referendum ist noch lange nicht gesichert. Álvaro Uribe, der noch immer einflussreiche ultrarechte Präsident der Jahre 2002 bis 2010, wettert schon heute dagegen. Die Farc sind für ihn weiterhin nur «Terroristen» und «das grösste Kokainkartell der Welt». Den Händedruck zwischen Santos und Lodoño in Havanna und das dort geschlossene Abkommen nannte er gar einen «Staatsstreich». Vor allem in den grossen Städten, in denen der Krieg seit Jahren kaum mehr spürbar ist, glauben viele Uribes Tiraden und seiner Behauptung, man könne die Farc militärisch vernichten, wenn man denn nur wolle.
Eines ist leider sicher: Ein Friedensvertrag zwischen der Regierung und den Farc kann zwar einen bewaffneten Konflikt beenden, aber er wird Kolumbien keinen Frieden bringen. Nicht nur, weil es mit dem Nationalen Befreiungsheer (ELN) noch eine zweite, wenn auch deutlich kleinere Guerillaorganisation gibt. Vor allem hat sich an den Ursachen, die vor gut fünfzig Jahren zu diesem Krieg führten, bis heute nichts geändert.
Noch immer können internationale Bergbaukonzerne ganze Landstriche verseuchen, ohne dass die davon betroffene Bevölkerung auch nur konsultiert wird. Noch immer werden KleinbäuerInnen vertrieben, weil grosse Viehzüchter oder Agrarunternehmen – unterstützt von Paramilitärs und der Regierung – ihren Boden annektieren. Zwar gibt es seit 2009 ein Gesetz zur Entschädigung von Opfern von Vertreibung und zur Rückgabe von geraubtem Land. Aber wer es in Anspruch nehmen will, wird nach wie vor eingeschüchtert, bedroht, ermordet.
So sehr sich Präsident Santos einen Friedensvertrag mit den Farc als krönenden Abschluss seiner zweiten und letzten Amtszeit wünschen mag – bei der Bekämpfung der Ursachen dieses Kriegs ist von ihm nichts zu erwarten. Er gehört selbst zu der schmalen Oligarchie, die Kolumbien seit der Unabhängigkeit beherrscht und die eben solche Zustände geschaffen hat. Ein Grossonkel von Santos war schon Präsident, ein Vetter Vizepräsident. Seine Familie kontrolliert die wichtigsten Medien des Landes. Sie alle – Juan Manuel Santos eingeschlossen – machten und machen Politik für eben jene Grossunternehmen, denen die Landbevölkerung nur im Weg ist.