EU-Wahl: Weiter so in Grosser Koalition

Nr. 22 –

Kurz vor Schluss schwenkte Angela Merkel scharf nach rechts. Während des gesamten EU-Wahlkampfs war wenig von der deutschen Bundeskanzlerin (CDU) zu hören gewesen, aber dann hielt sie in einem Zeitungsinterview fest: «Die EU ist keine Sozialunion.» Damit näherte sie sich deutlich den EuropagegnerInnen von der Alternative für Deutschland AfD («Wir sind nicht das Weltsozialamt») und der rechtsextremen NPD («Wir sind nicht das Sozialamt der Welt») an, die seit langem Massnahmen gegen die sogenannte Armutszuwanderung fordern. Viel geholfen hat diese späte Übernahme fremdenfeindlicher Positionen ihrer Partei nicht: Sie bekam deutlich weniger Stimmen, während die AfD das erwartete Ergebnis (sieben Prozent) erzielte und auch die NPD mit einem Abgeordneten in das EU-Parlament einzieht.

Aber sonst hat sich im Land mit den meisten EU-Mandaten wenig geändert. Die Bevölkerung leidet dort vergleichsweise wenig unter den Folgen der Finanzmarktkrise, die in anderen grossen EU-Staaten diese Wahl prägten. In Frankreich und England überholten der Front National (FN) und die United Kingdom Independence Party (Ukip) mit ihren rassistischen Parolen gegen «Überfremdung» die etablierten Parteien. In Österreich, Finnland und Dänemark erzielten rechtspopulistische Parteien gute Ergebnisse. Aber viele dieser Resultate waren erwartet worden – selbst jene der offen faschistischen Parteien Jobbik (Ungarn) und Goldene Morgenröte (Griechenland).

Im EU-Parlament mit seinen begrenzten Kompetenzen sind die RechtspopulistInnen kaum handlungsfähig. Die Rechte ist zu heterogen, zu national orientiert, als dass sie auf dieser Ebene zu einer Kraft werden könnte. Das Interesse für die parlamentarische Arbeit in Brüssel und Strassburg ist oft gering. So sind die bisherigen Ukip-Abgeordneten meist nur dann aufgetaucht, wenn es darum ging, Mandatszulagen abzuholen.

Zudem besagen die Erfolge der Rechtsaussenparteien derzeit noch nicht viel: Die EU-Wahlen wurden schon immer von vielen als ein Sammelsurium von nationalen Testwahlen gesehen und mithin als geeignetes Mittel, «denen da oben» einen Denkzettel zu verpassen – sofern die Leute nicht gleich zu Hause blieben wie in vielen osteuropäischen Staaten.

In den Einzelstaaten wie Britannien und Frankreich hingegen hat der Zugewinn von rechts gravierende Auswirkungen, weil er die Politik weiter nach rechts verschiebt. So liess der britische Premierministers David Cameron schon vor dem absehbaren Ukip-Erfolg die Parlamentsarbeit für zwei Wochen sistieren, um seinen konservativen HinterbänklerInnen keine Gelegenheit für Putschversuche zu bieten.

Andererseits zeichnet sich schon jetzt ab, dass in der EU die beiden grossen christdemokratischen und sozialdemokratischen Blöcke zu einer Art Grossen Koalition zusammenrücken. Dabei waren sie es gewesen, die im Europäischen Rat der Staats- und RegierungschefInnen sowie im EU-Parlament den Ruf der als Wirtschaftsgemeinschaft gebildeten EU gründlich ruinierten: durch ihre marktradikalen Direktiven, ihre Privatisierungen, ihr elitäres Gehabe und ihre brutale Austeritätspolitik. Aus ihren Reihen kommt die nächste EU-Führungsspitze – und die wird weitermachen wie bisher.

Denn so stark wie erhofft sind jene Kräfte nicht geworden, die ein anderes, ein menschenfreundlicheres Europa durchsetzen wollen. Gewiss: In Deutschland konnte sich die Linke halten, in Spanien, Portugal und Irland wurde sie stärker, in Griechenland siegte Syriza (vgl. «Ein Staat wird ausverkauft» ). Aber mit knapp sieben Prozent aller EU-Mandate wird die Linke auf parlamentarischem Weg allein weder das EU-Flüchtlingsregime ändern noch die vielen Freihandelsabkommen verhindern können.

Dabei vertreten sie und ausserparlamentarische Bewegungen heute am ehesten jene Vision eines freien, sozial gerechten, klassenlosen Europas, das italienische AntifaschistInnen um Altiero Spinelli 1941 auf der Gefängnisinsel Ventotene in einem Manifest skizziert hatten. Es wurde in der Nachkriegszeit zu einem europäischen Gründungsdokument. Von diesem Ziel ist die EU noch nie so weit entfernt gewesen wie heute.