Fussball und andere Randsportarten: Dummgeschwätz allenthalben

Nr. 23 –

Pedro Lenz über ahnungslose HeftlijournalistInnen

Dass gerade ein fussballerisches Grossereignis vor der Tür steht, müsste ja nicht zwingend bedeuten, dass ständig alle möglichen Personen fast nur noch zu Fussballthemen befragt werden. Doch bei mir geht kein Tag mehr vorbei, an dem nicht irgend so ein Heftli anruft und fragt, wem ich in Brasilien die Daumen drücke, was ich von Samba und Karneval halte oder ob ich Yann Sommer nicht auch attraktiver fände als Zinedine Zidanes Schwester.

Halb so schlimm, versuche ich mir dabei jedes Mal einzureden. Die Leute müssen das Heftli schliesslich füllen, und irgendeine Vorgesetzte oder ein Chef hat denen wohl auf der Redaktion gesagt: «Macht doch mal was zu Fussball. Fussball ist grad voll im Gespräch. Fussball interessiert die Masse. Fussball bringt Quote und Quotes.»

Dabei stelle ich mir die vielen JournalistInnen der vielen Zeitungen und Heftli vor, die jetzt alle, wirklich restlos alle, noch mindestens einen Artikel zum Thema Fussball machen müssen, obwohl manche von ihnen vielleicht selbst nicht einmal wissen, dass ein Schuss in den Winkel so heisst, weil beim Fussballtor die Querlatte und der Pfosten einen Winkel bilden, und zwar einen rechten. Ich stelle mir also diese Journalistinnen und Journalisten vor, wie sie verzweifelt in der Gegend herumtelefonieren, um möglichst viele dieser Quotes einzufangen, die früher Zitate hiessen, aber jetzt aus irgendwelchen Gründen Quotes genannt werden.

Ich weiss jetzt schon, dass mich die Leute von den Heftliredaktionen irgendwann auch noch fragen werden, was mir spontan zu Brasilien und Fussball einfalle. Die Frage wird kommen, sie muss kommen, sie liegt so schwer in der Luft, dass ich sie schon fast körperlich fühle: «Herr Lenz, gäbet Si öis doch bitte rasch en Quoout zum Thema ‹Fuessball und Braaasilie›, aber möglichscht spoontaan, bitte.»

Ich werde den JournalistInnen des Heftlis dieses Quote geben. Ich werde ihnen sagen, dass mir zu Brasilien und Fussball spontan diese ständige Umfragerei einfallen will. Und dass mir in diesem Zusammenhang zum Beispiel Yvette Estermann, die Nationalrätin aus dem Kanton Luzern, einfällt, weil die Nationalrätin Estermann neulich bei einer dieser tausend Fussballumfragen nach ihrem unvergesslichsten WM-Erlebnis gefragt wurde.

Und dann werde ich denen vom Heftli davon erzählen, wie Nationalrätin Estermann in diesem Zusammenhang neulich von Pelé zu schwärmen anfing. Ja, ja, der Pelé, der sei noch ein Teufelskerl gewesen, dieser Pelé, diese Brillanz, diese Technik, einfach unvergesslich! Danach werde ich denen vom Heftli aber auch erklären, dass Pelé seine letzte WM 1970 in Mexiko spielte und dass diese Frau Nationalrätin Yvette Estermann 1967 geboren ist und dass es einen doch als Journalistin oder Journalist, selbst wenn sie oder er nur Quotes zusammenträgt, doch ein bisschen hätte wundern können, wie die Frau Estermann schon als Dreijährige die Qualität von Pelé erkannt und memoriert hat, was auf einen besonders interessanten Fall von fussballtheoretischer Frühbegabung schliessen lässt.

Statt sich zu wundern, haben aber die Zuständigen beim Heftli mit dem Pelé-Quote von Yvette Estermann fleissig im Bildarchiv gewühlt und ein Bild von Pelé gefunden, das eindeutig darauf schliessen lässt, dass Pelé im Jahr 1970 wenn nicht Sambatänzer, so doch bestimmt Brasilianer und Fussballer gewesen ist. Was immerhin beweist, dass Frau Estermann mit der Erwähnung von Pelé nicht vollkommen falsch lag.

Allen Leserinnen und Lesern, die bis hierher nicht alles verstanden haben, empfehle ich für den Fall, dass sie in den nächsten Tagen um ein Quote zum Thema «Fussball und Brasilien» angegangen werden, folgenden Satz anzubringen: «Brasilien, das ist für mich Lebensfreude und Karneval und Samba und Yvette Estermann als Dreijährige.» 

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Seine liebsten brasilianischen Fussballer sind Elvis Presley und Ayrton Senna.