Mietrecht: 25 Prozent für das Schneeschaufeln

Nr. 23 –

Die grosse Zürcher Immobilienbewirtschafterin Livit drangsaliert ihre MieterInnen mit hohen Nebenkosten. Jetzt wehrt sich eine Betroffene.

Susanne Stiegler* ist der Kragen geplatzt. Die Pensionärin hat im März Klage gegen die Immobilienfirma Livit eingereicht. Bald wird sie vor dem Bezirksgericht Arbon stehen. Streitpunkt zwischen der Firma und Mieterin Stiegler sind die Nebenkosten für Heizung, Warmwasser, Hauswart und Verwaltung. Susanne Stiegler verlangt für die Saison 2012/13 rund 700 Franken zu viel bezahlte Beträge zurück.

Üblicherweise zahlte Stiegler rund 500 bis 600 Franken nach, wenn nach den Akontozahlungen die Nebenkostenabrechnung eintrudelte. Doch diesmal war es anders: Rund 1200 Franken, also fast das Doppelte, sollte sie berappen. «Das kann doch nicht sein!», sagte sie sich, vor allem weil der Hauswart nicht mehr zu tun gehabt habe als sonst. Trotzdem verrechnete Livit der Siedlung, in der Susanne Stiegler wohnt und die aus zwei Mehrfamilienhäusern mit 22 Wohnungen besteht, insgesamt 4258 Franken für 27 Einsätze. Würde dies auf den vom Hauseigentümerverband als angemessen erachteten Tarif von 25 Franken pro Stunde umgelegt, resultierte daraus ein Hauswartspensum von 25 Prozent nur fürs Schneeschaufeln. «Das entbehrt jeder vernünftigen Grundlage», so Stieglers Anwalt in der Klageschrift. Auch Stieglers NachbarInnen rieben sich ob der exorbitanten Nebenkosten die Augen. Sie haben Livit ebenfalls angeklagt.

Die Siedlung am Bodensee, in der Susanne Stiegler lebt, ist kein Einzelfall. Quer durch die ganze Schweiz sind immer wieder Klagen über überrissene Nebenkostenabrechnungen durch Livit laut geworden. Ruedi Spöndlin, Rechtsberater beim Mieterinnen- und Mieterverband Deutschschweiz (MVD), sagt: «Wir haben immer wieder solche Fälle am Telefon.» Belege zeigen, dass Livit im Jahr 2013 stark gestiegene Hauswarts- und Betriebskostenrechnungen verschickte. Bei einer Siedlung mit fünf Wohnblöcken in Grenchen erhöhten sich die Hauswartskosten von 39 000 auf 54 000 Franken. In Flawil verlangte Livit von einem Mieter eine Nachzahlung von über 1200 Franken. In einer Siedlung in Lausen BL stiegen die Hauswartskosten in einem Jahr von 37 000 auf 46 000 Franken. Eine Mieterin aus Stans berichtet: «Uns hat fast der Schlag getroffen, wir bekamen eine Nachzahlung von über 1000 Franken.» In manchen Fällen machen die Nebenkosten bis zu einem Drittel der Miete aus.

Gewinnbringende Tochterfirma

Was Livit tut, hat im Mietmarkt Gewicht. Die Tochter von Swiss Life ist mit 140 000 Mietobjekten und neun Niederlassungen eine der Grossen im Schweizer Immobilienmanagement. Sie verwaltet nicht nur Wohnungen der ehemaligen Rentenanstalt, sondern auch der UBS und anderer institutioneller Anleger. Doch weshalb der krasse Kostenanstieg? Vor zehn Jahren hat Livit, wie andere professionelle Verwaltungen, begonnen, sämtliche Nebenkosten aus den Mietverträgen auszugliedern und separat zu verrechnen. 2008 gründete sie mit der Livit FM Services AG eine Tochterfirma. Mit dieser schloss sie Pauschalverträge über die Bewirtschaftung der Liegenschaften ab. Alle Hauswarte von Swiss Life wurden nun Angestellte der Tochter. Mit dem Übergang zur Livit FM Services AG kam der grosse Kostensprung.

Dieses Modell ist problematisch. «Wenn die Livit quasi mit sich selber Verträge abschliesst, so wird aus den Nebenkosten ein Geschäft», sagt Ruedi Spöndlin. Als AG mache die Tochterfirma Gewinn, den die MieterInnen über die Nebenkostenabrechnung mitberappten. Dies kollidiert aber mit dem Mietrecht, das ausdrücklich besagt, dass die VermieterInnen aus den Nebenkosten keinen Gewinn schlagen dürfen. Nur tatsächliche Kosten dürfen weiterverrechnet werden. Und wenn diese überrissen scheinen? Dann empfiehlt der MVD den Mieterinnen und Mietern, die Belege einzusehen und zweifelhafte Rechnungen vor der Schlichtungsstelle anzufechten. Obwohl MieterInnen das Recht auf Einsicht in sämtliche Belege haben, rückte Livit bis anhin keine Details zu den Pauschalverträgen mit ihrer Tochterfirma heraus. So kann nicht kontrolliert werden, ob auch unzulässige Leistungen verrechnet werden, wie zum Beispiel Unterhaltsarbeiten. Diese sind bereits durch den Mietzins abgegolten und dürfen nicht überwälzt werden.

Wichtiger Präzedenzfall

Livit selbst begründet die Auslagerung der Hauswartung in die Tochterfirma als «Professionalisierung im Liegenschaftsbetrieb». Die hohen Kosten rechtfertigt der Zürcher Livit-Direktor Hans-Urs Baumann unter anderem damit, dass die MieterInnen zusätzlich von einem 24-Stunden-Helpdesk und von Mitarbeitenden mit Weiterbildung profitierten. Die Leistungen seien «marktkonform». Der Vorwurf, man betreibe mit den Nebenkosten ein Geschäft, weist er zurück. Es würden nur erlaubte Nebenkosten verrechnet. Doch der Eindruck, dass Livit auch dabei auf Ertrag aus ist, bleibt. So versucht sie auch, überall eine Verwaltungskostenpauschale von 4,8 Prozent durchzudrücken. Dies obwohl in weiten Gebieten der Deutschschweiz nur 3 Prozent plus Mehrwertsteuer üblich sind. Gerichtsurteile, die das bestätigten, ignoriert Livit weitgehend. Sie senkt die Pauschale nur bei erfolgreichen KlägerInnen, bei allen anderen, selbst wenn sie im selben Mehrfamilienhaus wohnen, jedoch nicht.

Etliche MieterInnen haben sich inzwischen gewehrt und überhöhte Nebenkostenabrechnungen mit Erfolg angefochten. In mehreren Fällen kam es vor der Schlichtungsstelle zu Vergleichen mit reduzierten Beträgen. Bis jetzt fehlt allerdings ein Gerichtsurteil. «Aus diesem Grund ist der Thurgauer Fall schweizweit bedeutsam», sagt Hugo Wehrli vom Mieterinnen- und Mieterverband Ostschweiz. Livit setzt bei Hauswartungen neuerdings auf den Reinigungskonzern ISS. Will sie damit das Problem mit der Tochtergesellschaft loswerden?

Derweil sagt der Facility-Konzern in der Eigenwerbung klar, worum es wirklich geht: «Optimierung von Rendite und Ertragskraft».

* Name geändert.

Ralph Hug ist Redaktor der Zeitschrift 
«Mieten & Wohnen».