Medientagebuch: Ein gefährlicher Film

Nr. 26 –

Kathrin Zeiske über Zensur und Selbstzensur in Guatemala

In Guatemala hat sich das Filmfestival «Erinnerung. Wahrheit. Gerechtigkeit» zu einem wichtigen Diskussionsforum entwickelt. Während die Geschehnisse des Bürgerkriegs endlich visuell zugänglich werden, gefährden Gewalt und Straflosigkeit die Ausstrahlung aktueller Produktionen. Als heuer drei in Guatemala gedrehte Dokumentarfilme im letzten Moment vom Festival zurückgezogen wurden, trat das Thema «Zensur und Selbstzensur» in den Vordergrund. Denn lokale Produzentinnen und Protagonisten sind Repression und Verfolgung ausgesetzt.

Einer der Filme, «Crime Hunters» von Juan José Lozano und Nicolas Wadimoff, ist eine Schweizer Produktion, die in Zusammenarbeit mit dem Westschweizer Fernsehen RTS entstand. Er nimmt die Globalisierung der Justiz ins Visier, etwa anhand des Falls Erwin Sperisen. Der ehemalige guatemaltekische Polizeichef wurde gerade vom Genfer Strafgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Dem Schweizer Staatsbürger mit Doppelpass konnte die extralegale Hinrichtung von sieben Häftlingen in Guatemala nachgewiesen werden. Einen von ihnen soll Sperisen 2006 im Gefängnisaufstand von Pavón eigenhändig erschossen haben.

Zeitgleich zur Urteilsverkündung in der Schweiz löste der Film in Guatemala Kontroversen aus. «Es ist nicht der Moment, den Film an seinem Entstehungsort zu zeigen», sagt Sonja Perkic-Krempl, Beraterin der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft. Seit dem Genozidprozess gegen Exdiktator Efraín Ríos Montt im Mai 2013 habe sich die Menschenrechtslage in Guatemala so dramatisch verschlechtert, dass eine Ausstrahlung des Films die ProtagonistInnen akut in Gefahr brächte. Drohungen und Übergriffe gegen die an Gerechtigkeitssuche beteiligten Menschenrechtsorganisationen verdoppelten sich 2013 im Vergleich zum Vorjahr.

Immerhin gilt als Ausführender des verhandelten Völkermords kein Geringerer als der heutige Staatspräsident Otto Pérez Molina – mit seinem Synonym Comandante Tito von unzähligen Überlebenden der indigenen Maya-Ixiles als Täter benannt. «In Guatemala herrscht Straflosigkeit vor. Die Justiz funktioniert selektiv und interessengebunden», so Perkic-Krempl. Der Prozess gegen Ríos Montt war kurz nach Urteilsverkündung wegen angeblicher Verfahrensfehler für nichtig erklärt worden.

Filmemacher wie der Salvadorianer Guillermo Escalón mahnen jedoch an, sich als Kulturschaffende in Mittelamerika nicht lähmen zu lassen: «Angst sollten wir nur davor haben, schlechte Filme zu produzieren. Kino muss mutig und innovativ sein.» Dass ein guter Dokfilm nicht nur informieren, sondern gesellschaftliche Veränderung schaffen soll, gilt als selbst gewähltes Motto des Festivals in Guatemala.

Auch die junge Generation lokaler FilmemacherInnen lässt sich nicht einschüchtern. Eric Spanky Gálvez und Ana María Escobar präsentierten in Guatemala-Stadt ihr Werk über SchülerInnenproteste gegen Bildungsprivatisierungen – eine fatale Entwicklung in einem Land, in dem 53 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten. Die Vorführung wurde hinter den Kulissen vom Erziehungsministerium torpediert. Der Einsatz gepanzerter Polizeitrupps gegen Minderjährige in Schuluniform soll nicht erneut zum Thema werden. Eigentlich war die Doku für die Schulen selbst gedacht. Dass sie jetzt einem grossen Publikum zugänglich wird, erfüllt die RegisseurInnen mit Stolz. «Wenn von staatlicher Seite aus versucht wird, den Film zu zensieren, ist er uns wohl gelungen.»

Kathrin Zeiske schreibt für die WOZ als freie Journalistin aus Mittelamerika und Mexiko.