Andreas Thiel: Die Angst des Satirikers vor der Peitsche

Nr. 27 –

Andreas Thiels Satire ist eine Liebeserklärung an die Mächtigen. Wer beim selbst ernannten Provokateur nach Provokationen sucht hat, wird deshalb nicht fündig.

Der ständige Versuch, dem Souverän ein selbstgefälliges Schmunzeln zu entlocken: Andreas Thiel im Rahmen von «Das Zelt». Foto: «Das Zelt»

Ein Narr verdient seinen Lebensunterhalt damit, am Hof den König zu unterhalten: als bissiger Witzemacher und ehrlichster Berater. Ein Narr darf auch mal über den Throninhaber scherzen – aber nicht zu sehr, sonst setzts was mit der Peitsche. Andreas Thiel hat Bauzeichner und Schauspieler gelernt, heute arbeitet er als Kolumnist bei der «Weltwoche» und vor allem als freiberuflicher Narr: Er tritt in grellen Anzügen und Krawatten auf; statt der Narrenkappe trägt er einen pinken Irokesenschnitt und spricht, für Schweizer Bühnen ungewohnt, in näselndem Bühnendeutsch.

Für beides entschuldigt er sich beim Publikum: In seinem aktuellen Programm «Macht. Politsatire 4» verwendet er ein gefühltes Viertel seines Abendprogramms darauf, dem Publikum zu erklären, wie er seine Haartracht pflegt und wie er damit schlafen kann. Und am Anfang bereitet er das Publikum im Schweizerdeutsch eines geduldigen Primarschullehrers langfädig darauf vor, dass er nun gleich ins Bühnendeutsch wechseln müsse: Hochdeutsch, meint der Provokateur, sei eben härter als Schweizerdeutsch, und Satire müsse hart sein. Man merkt: Thiel will es sich mit seinem Publikum nicht verderben.

Der Satiriker als Steuerflüchtling

Bisher klappte das ganz gut. Thiel hat schon den Goldenen Thunfisch, den Prix Cornichon und den Prix Walo gewonnen, auch am Humorfestival in Arosa erhielt er eine Ehrung. 2009 überreichte ihm die Junge FDP den Liberal Award. Der Preis sieht ein bisschen aus wie ein vertrockneter Kaktus und wird Personen verliehen, die sich für den «Abbau von bestehenden, entwicklungshemmenden staatlichen Eingriffen» einsetzen. So wurde 2006 etwa die Bevölkerung Obwaldens für ihren Mut geehrt, den Superreichen Tiefststeuern zu gewähren. Thiel hat sich diesen Preis redlich verdient: Steuern lehnt auch er als «unanständig» ab und flüchtet schon mal nach Island oder Indien, um den hiesigen Steuervögten zu entgehen. Auch Kultursubventionen sind ihm ein Gräuel – was ihn allerdings nicht davon abhält, auf subventionierten Bühnen wie dem Zürcher Theater am Hechtplatz zu spielen, das jedes Jahr über eine Million Franken Steuergelder erhält.

Zum Glück bezahlt die Privatwirtschaft Thiel ab und zu mit rechtschaffen verdientem Geld. An der ZFU Business School in Thalwil berät der «bunte Hund» und «Punk», wie das Programmheft der ZFU ihn liebevoll nennt, Führungskräfte darin, wie sie «integer, autoritär und doch humorvoll» auftreten können. 2012 sprach Thiel am UBS Treasurer Summit als «Kontrapunkt» zum Vortragsprogramm. Angekündigt wurde er als Satiriker, der gnadenlos provoziere. Und so provozierte der Narr denn die Schatzmeister bestimmt gnadenlos mit seiner Meinung, dass ihre Managerlöhne absolute Privatsache seien und niemanden etwas angingen. Wer das anders sehe, so beschied er im SRF-«Club» im Februar der Kopräsidentin der Unia, Vania Alleva, sei bloss neidisch und gierig.

Das Märchen von seiner «provokativen» Ader verbreitet Thiel vor allem selbst. Seine Frisur, die er im Beisein der Kameras der «Schweizer Illustrierten» schneiden und färben liess, ist nur ein Ausdruck davon. So spricht er gerne von seiner Schulzeit. Mit siebzehn ist er nach eigenen Aussagen vom Rudolf-Steiner-Gymnasium geflogen. Doch der Rauswurf hat ihm erst die Welt eröffnet: So seien unter der Autorität der Achtundsechziger alle Streber zu Staatsangestellten und nur aus den Schulschwänzern und Unterrichtsstörern stattliche Unternehmer geworden. In einem älteren Programm sagt er: «Nur wer von meiner Generation liberal-konservativ geworden ist, ist revolutionär.» Thiels selbst deklarierte «Provokationen» zehren letztlich von der beliebten rechten Tagträumerei einer linken gesellschaftlichen Vormacht. Dieses Opferfeeling erlaubt es ihm auch, so zu tun, als sei der radikale Wirtschaftsliberalismus das Anliegen bloss einer machtlosen Splittergruppe, die nirgendwo in den Parlamenten sitze. In einem Interview mit dem FDP-Parteiblatt «Schweizer Freisinn» betont er, seine Satire richte sich gegen die «Verbotsschildermaler, die in den Verwaltungen sitzen», gegen die Orte, «an denen Macht ausgeübt» werde.

Die Mär vom regulierten Humor

Letztlich aber versucht Thiel mit dieser wohlfeilen Staatskritik nur, dem Souverän ein selbstgefälliges Schmunzeln zu entlocken. In seinem diesjährigen Programm lehrt Thiel sein Publikum, dass es lachen darf, wann immer es mag: «Die Frage, ob man über einen rassistischen Witz lachen darf, ist genauso absurd wie die Frage, ob man sterben soll, wenn man zu Unrecht erschossen wird.» Auch beim Humor hätten Regulierungskräfte wie die angeblich so mächtige Political Correctness nichts zu suchen. Kläger, die sich bei rassistischen Witzchen auf das Antirassismusgesetz beriefen, vergleicht Thiel mit Denunzianten im Dritten Reich.

Doch Thiel ist kein Anarcholiberaler; auch sein Freiheitsdenken hat Grenzen: Die SVP-«Masseneinwanderungsinitiative» hatte seine volle Unterstützung. Sein Ja erklärt Thiel im Schweizer Radio und in seinem Programm damit, dass «uns Schweizern», einem Volk von Minderheiten, alle Mehrheiten suspekt seien. Und wenn die Einwanderer in «Massen» kämen, handle es sich eben schnell um Mehrheiten. Zu Beginn seines neuen Programms fragt er in die Runde, wer im Publikum aus Deutschland komme, und begrüsst die Ausgesonderten leicht hämisch unter dem Lachen des Schweizer Publikums: Thiel witzelt für die 50,3 Prozent. Wer auf die «gezielt-scharfen inhaltlichen Provokationen», für die Thiel 2013 den Deutschen Kabarettpreis erhalten hat, wartet, erhält nur eine: Thiel spricht von Satire und bietet eine gefällige Hofnarrennummer für die Mehrheiten und die Mächtigen. Wer sich so eng an den Souverän kuschelt, verdient noch nicht einmal den Titel des Narren und wird am Hof gemeinhin als «Schosshund» bezeichnet.