Geschichte von rechts: Empörung und Mitwissen
Eine neue Woche, ein neuer Eklat: Diesmal war es eine Rede des AfD-Parteichefs, die am vergangenen Wochenende in Deutschland und darüber hinaus die Gemüter erregte. An einer Veranstaltung erklärte Alexander Gauland die zwölf Jahre der Nazidiktatur mit ihren Millionen von Opfern kurzerhand zum «Vogelschiss».
Dass der Oppositionsführer im deutschen Parlament den Holocaust relativiert, ist kein Ausrutscher, nicht bloss simple Provokation. Denn das Ziel der Partei steht – für alle sichtbar – in ihrem letzten Programm: die «Verengung der Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus aufzubrechen». Der AfD geht es darum, die Geschichte umzudeuten, eine neue Erzählung zu etablieren. Eine Erzählung, in der der Nationalsozialismus zwar nicht negiert wird, aber eben nur ein dunkler Fleck in «tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte» ist. Welcher Augenblick wäre dafür besser geeignet als der Moment, in dem die letzten ZeitzeugInnen der Schoah sterben?
Ähnliches versuchen die Rechtsnationalen auch in anderen Ländern: In Polen etwa lässt die Regierung ein Museum umgestalten, weil es die polnischen Pogrome an den JüdInnen thematisiert und deshalb nicht ins gewünschte Geschichtsbild passt. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist für sie eine «Pädagogik der Scham». Und auch in der Schweiz findet seit Jahren ein historischer Backlash statt. Mit der Behauptung, die Schweizer Behörden seien nicht für den «Judenstempel» mitverantwortlich gewesen, stellten RevisionistInnen erst kürzlich wieder die Unmenschlichkeit der Schweizer Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg infrage.
Gemeinsam ist diesen Versuchen eines: Mit ihrem Blick auf die Vergangenheit versuchen Europas rechte Parteien, ihre Forderungen fürs Jetzt zu legitimieren. Der Angriff auf die Geschichtsbücher bereitet den Boden für ihre rassistische Politik.
Die Dialektik aus Provokation und programmiertem Aufschrei: Dieses Spiel beherrscht nicht nur die AfD perfekt. Doch statt nur über die Reizungen zu sprechen, sollte man auch die Reaktionen in den Blick nehmen. Das liberale Publikum erweist sich dabei regelmässig als naiv. Während die Rechtsnationalen ins Parlament zogen und die Schlagzeilen kaperten, wurden ihre menschenverachtenden Anliegen als valabel diskutiert: Die AfD erschien als völlig normale Partei, bedeute gar eine «Revitalisierungskur für den Bundestag», wie der Chefredaktor der NZZ erst vor wenigen Wochen schrieb. Nach Gaulands neuster Ansage hat sogar das ehemalige Flaggschiff des Liberalismus genug, bei Sprüchen zum Holocaust gibt es kein Pardon: Neuerdings gilt die AfD selbst dort als «Nazi-Verharmloserin».
Die Liberalen mögen sich nun wieder einmal in ihrem Selbstverständnis als wachsame HüterInnen der Demokratie sonnen. Ihr Opportunismus zeigt sich aber, wenn man an die Einladung eines AfD-Philosophen nach Zürich vor etwas mehr als einem Jahr zurückdenkt: Fast alle Medien hielten die Meinungsfreiheit hoch, wollten ihn unbedingt reden hören – obwohl seine völkischen Thesen längst bekannt waren.
In Deutschland wird jetzt debattiert, Gauland nicht mehr ins Fernsehen einzuladen. Doch die Diskussion, ob man mit Rechten reden soll, bringt wenig. Denn auch wenn sie nicht auf Podien oder in Talkshows sitzen, diktieren sie längst die Agenda, haben praktisch schon die Themenplanung übernommen. Von allen Warnungen offenbar unbeeindruckt, sprach man in Deutschland diese Woche erneut über «kriminelle Flüchtlinge» und lud zur «Islamdebatte». Und auch im SRF-«Club» ist «der Islam» einmal mehr das Thema der Stunde. Als Experten geladen waren am vergangenen Dienstag «Politsatiriker» Andreas Thiel und ein reaktionärer Bischofssprecher. Die Verschiebung des Diskurses nach rechts, sie hat schon längst stattgefunden.
Stoppen kann den Rechtspopulismus nicht, wer sich empört davon abgrenzt. Vielmehr muss man verstehen, wie die bürgerliche Mitte ihn mit ihrer Unterstützung einzelner Forderungen beständig neu legitimiert. Auch dazu lohnt sich ein Blick in die Geschichtsbücher.