Gabriel Zucman: «Die Schweiz ist da ein Ausreisser»

Nr. 9 –

Der französische Ökonom Gabriel Zucman gilt als Vordenker für Steuergerechtigkeit. Im Interview spricht er über die Fortschritte in der internationalen Steuerpolitik. Und er erklärt, warum als Nächstes eine globale Mindeststeuer für Superreiche kommt.

Interviewbild von Gabriel Zucman
«Es ist viel schwieriger geworden, Steuern zu hinterziehen»: Gabriel Zucman.

Gabriel Zucman ist auf der ganzen Welt gefragt. Der 38-Jährige promovierte einst bei Thomas Piketty («Das Kapital im 21. Jahrhundert»); mittlerweile unterrichtet er in Paris und in Berkeley. Vor allem aber ist Zucman Direktor des EU Tax Observatory, einer von der EU finanzierten Forschungsstelle zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Am Collegium Helveticum der ETH Zürich stellte er unlängst die Ergebnisse des neusten Forschungsberichts vor.

WOZ: Gabriel Zucman, bei der Vorbereitung auf dieses Interview bin ich auf Aussagen aus der Zeit kurz vor dem Zusammenbruch des Bankgeheimnisses in der Schweiz gestossen. So erklärte der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz 2008 der Europäischen Union, sie werde sich am Bankgeheimnis «die Zähne ausbeissen». Diesen arroganten Ton hört man heute nicht mehr. Einverstanden?

Gabriel Zucman: Die Realität hat sich seither enorm verändert. Seit 2018 gibt es den automatischen Informationsaustausch zwischen Schweizer Banken und rund hundert Ländern und Behörden. Erzwungen von der US-Regierung unter Barack Obama. Das ist eine sehr wichtige Form der internationalen Zusammenarbeit – die vor fünfzehn Jahren noch alle für unmöglich hielten. Die Aussage von Merz veranschaulicht das sehr treffend. Was aber im Rückblick sehr seltsam ist: warum die Entscheidungsträger:innen der EU und der ganzen Welt so lange auf diese Erzählung hereingefallen sind. Steuerhinterziehung ist kein Naturgesetz, sondern die Folge politischer Entscheidungen.

In Ihrem jüngsten Bericht zeigen Sie, dass die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch den automatischen Informationsaustausch eine grosse Erfolgsgeschichte ist und die Steueroasen nicht mehr so funktionieren, wie sie es früher taten. Das muss einen optimistisch stimmen.

Ja, und wenn es Fortschritte gibt, soll man sie feiern. Und hier gibt es einen echten Fortschritt in dem Sinne, dass nun etwa zwölf Billionen Euro Vermögen erfasst werden. Nur noch 25 Prozent aller Gelder in Steueroasen bleiben unversteuert. Es ist viel schwieriger geworden, Steuern zu hinterziehen.

Dennoch sind nicht alle Probleme gelöst. Wir haben mit diesen Massnahmen eine ganz bestimmte Form der Steuerhinterziehung bekämpft, nämlich das Verstecken von Vermögen und den damit verbundenen Einkommensströmen, Dividenden und Zinsen in Steuerparadiesen. Aber die effektiven Steuersätze, die sehr wohlhabende Personen weltweit zahlen, sind immer noch extrem niedrig.

Die illegale Steuerhinterziehung wurde von legalen oder halblegalen Tricks zur Steuervermeidung abgelöst. Sie schlagen deshalb eine globale Mindeststeuer auf hohe Vermögen vor. Geniesst die Idee politische Unterstützung?

Ja, sehr viel sogar. Man kann es in den Meinungsumfragen praktisch aller Länder sehen, von denen wir Daten haben. Vorschläge dieser Art sind extrem populär. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass die reichsten Leute sehr niedrige Steuersätze haben. Manchmal liegen diese bei null, das können wir nachweisen. In den USA bezahlen Elon Musk oder Jeff Bezos praktisch keine Einkommenssteuer. 

Doch in einigen Ländern besteht ein echter politischer Wille, dieses Problem anzugehen. Der auffälligste Fall sind die USA, wo Joe Biden noch 2019 Vorschläge für eine neue Vermögensbesteuerung bekämpfte, die von Bernie Sanders und Elizabeth Warren eingebracht wurden. Aber als er dann gewählt wurde, arbeitete Biden eine sehr ehrgeizige Steuer für Menschen mit einem Vermögen von mehr als hundert Millionen Dollar aus.

Allerdings wird diese Steuer vom Kongress blockiert.

Aber in Bidens Wiederwahlkampagne wird sie ein Eckpfeiler seines Wirtschaftsprogramms für die Präsidentschaftswahlen 2024 sein. Sie sehen also, dass es von einer Wahl zur anderen eine dramatische Entwicklung in den USA gegeben hat. Auch auf der globalen Ebene tut sich etwas. In der G20 hat nächstes Jahr Brasilien den Vorsitz inne – und die brasilianische Regierung ist sehr daran interessiert, die Frage der Mindestbesteuerung für sehr reiche Menschen zu klären.

Der Widerstand gegen eine solche Steuer wird enorm sein. Warum glauben Sie, dass den vollmundigen politischen Versprechen Taten folgen werden?

Vor zehn Jahren hiess es, eine globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen werde es niemals geben, das sei völlig utopisch – und jetzt gibt es sie. Schon beim automatischen Informationsaustausch war es dieselbe Erzählung. Jetzt, beim dritten Mal, fällt es mir schwer, das gleiche Argument noch ernst zu nehmen. Ich will den Widerstand nicht kleinreden, die Superreichen pflegen einen besonderen Hass auf die Vermögensbesteuerung. Sie werden alle Bemühungen darum mit allen Mitteln bekämpfen. Aber es gibt diese anderen Kräfte, die ich beschrieben habe. Es gibt das enorme demokratische Verlangen nach einer gerechten Besteuerung von Milliardär:innen. Und das stimmt mich optimistisch. Ich weiss nicht, wie lange es dauern wird, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir eines Tages aufwachen und im Radio die Nachricht hören: Länder einigen sich auf eine globale Mindeststeuer für Vermögende.

Auf die Superreichen zielt auch eine Initiative der Schweizer Jungsozialist:innen. Sie fordern eine Steuer von fünfzig Prozent auf Erbschaften ab fünfzig Millionen Franken. Die Erträge sollen in den klimapolitischen Umbau der Schweiz fliessen. Smart, oder?

Solche Steuersätze bei Erbschaften sind in vielen reichen Ländern Usus. Die Schweiz ist da bislang eher ein Ausreisser. Das ideale Steuersystem besteht aus einer progressiven Einkommenssteuer und einer Vermögenssteuer zusätzlich zur Einkommenssteuer, und zwar aus den Gründen, die ich vorhin beschrieben habe: Für die Superreichen reicht die Einkommenssteuer nicht aus, denn für sie ist es zu einfach, ihre finanziellen Verhältnisse so zu manipulieren, dass sie nur ein geringes zu versteuerndes Einkommen ausweisen und die Einkommenssteuer umgehen können. Und dann gibt es noch eine Erbschaftssteuer, weil primär Leistung belohnt werden soll. Die Forderung der Juso-Initiative ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Ihr Vorschlag der globalen Vermögensbesteuerung basiert auf der globalen Mindeststeuer für Unternehmensgewinne, auf die sich die OECD-Staaten und weitere Länder 2021 geeinigt haben. Doch bereits zeigt sich: Ihr Effekt ist gering.

Die globale Mindeststeuer markiert eine sehr wichtige Entwicklung. Zum ersten Mal haben sich 140 Länder auf eine Untergrenze der Besteuerung von Firmen geeinigt. Allerdings ist der Steuersatz mit 15 Prozent sehr niedrig. Und dieser wird mittels Steuergutschriften und Ausnahmeregelungen sogar noch unterschritten. Denn anders als ursprünglich geplant, profitieren Unternehmen weiterhin von Steuerparadiesen, solange sie dort eine ausreichende wirtschaftliche Präsenz und Aktivität aufweisen. 

In quantitativer Hinsicht wird sich das Problem der Steuerhinterziehung durch multinationale Unternehmen durch die OECD-Steuer leider nicht wesentlich ändern. Aber der wichtige erste Schritt ist gemacht. Und es ist durchaus möglich, dass in Zukunft ein Land allein oder eine Koalition der Willigen die Schlupflöcher schliesst oder den Steuersatz anhebt.

Gleichzeitig besteht ein grosses Misstrauen gegenüber der OECD und ihren Prozessen, insbesondere von Ländern des globalen Südens. Gegen den Widerstand der reichen Länder wird nun ein neues Steuerabkommen auf Uno-Ebene entwickelt. Teilen Sie die Kritik?

Die OECD hat wichtige Arbeit geleistet. Der automatische Austausch von Bankinformationen ist zu einem grossen Teil eine Erfindung der OECD. Aber gleichzeitig vertritt die OECD nur 38 Länder mit hohen Einkommen, die nur einen kleinen Teil der Weltbevölkerung repräsentieren. Und das ist nicht genug. Wir müssen uns von der Logik verabschieden, die nur die Perspektive und die Interessen der OECD-Länder berücksichtigt. Was bei den Vereinten Nationen geschieht, halte ich für sehr wichtig.

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Kommentare

Kommentar von Dominik Gross

Do., 29.02.2024 - 15:45

Eine globale Vermögenssteuer für Reiche ist natürlich an sich eine sehr gute Idee (und die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso sowieso). Es ist allerdings etwas ungünstig, wenn ausgerechnet auch die WOZ Die Wochenzeitung behauptet, dass das CH-Bankgeheimnis "zusammmengebrochen" ist, es gibt es nämlich immer noch. Und genau wegen diesem Bankgeheimnis könnten Reiche eine solche Vermögenssteuer im Inland umgehen. Das ist dann nicht nur ein Schweizer Problem: Über die Wohnsitznahmen in der Schweiz können auch ausländische Superreiche vom inländischen Bankgeheimnis profitieren. Und so auch den automatischen Informationsaustausch (AIA) umgehen, falls das Herkunftsland eines bestimmten Superreichen überhaupt in den Genuss eines solchen kommt (das ist längst nicht mit allen Ländern der Fall, v.a. nicht mit vielen des Globalen Südens). Nicht nur in der Schweiz gibt es weiterhin zahlreiche Möglichkeiten, den AIA zu umgehen. Das weltweite Offshore-System, in dem Superreiche ihre Vermögen vor dem Fiskus verstecken, ist trotz aller "Erfolge" der OECD in den letzten Jahren leider intakt. Wer also will, dass eine globale Vermögenssteuer (falls sie denn einmal kommen würde) nicht toter Buchstabe bleiben soll, muss gleichzeitig auch immer Steuertransparenz mitdenken, miterwähnen und mitfordern. Dazu gehören weltweite öffentliche Register, aus denen ersichtlich wird, wem ein bestimmtes Vermögen tatsächlich gehört ("Beneficial Ownership Registry"). Und dazu gehört auch die Abschaffung sämtlicher Bankgeheimnisse, zuallererst des Schweizerischen, weil hier immer noch mehr Vermögen aus allen Herren Länder parkiert sind bzw. im Innern des transnationalen Offshoresystems verwaltet werden, als irgendwo sonst auf der Welt (siehe Kommentar). Wer also den extrem löchrigen AIA und den "Zusammenbruch" des Schweizer Bankgeheimnisses abfeiert, lädt unfreiwillig auch genau jene zur Party ein, für die eine globale Vermögenssteuer für Superreiche ein Horrorszenario ist. Das ist politisch höchst kontraproduktiv. Letztlich hatte Hans-Ruedi Merz leider eben doch recht: "an diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen". Wer vor lauter Optimismus immer nur auf den Käse schaut und nicht auch auf seine Löcher, sieht auch die politische Falle nicht, in dem dieser Käse als Köder steckt.

Kommentar von Dominik Gross

Do., 29.02.2024 - 15:47

https://publications.swissbanking.ch/bankenbarometer-2023/