Drogenpolitik: Täglich zehn Gramm von der Stadt
Verschiedene Schweizer Städte wollen mit der Cannabisabgabe experimentieren. Doch auf eidgenössischer Ebene scheint eine rechtliche Änderung unwahrscheinlich.
Im Dezember 1989 provozierten AktivistInnen der Berner Reitschule mit einer ungewöhnlichen Aktion: Als Samichläuse verkleidet, verkündeten sie, dass an der Reitschulbar nun auch Marihuana in Säckchen à drei Gramm verkauft werde. Es gehe nicht um die Förderung des Cannabiskonsums, sondern darum, einen «provozierenden Beitrag zur aktuellen Drogensituation» zu leisten. In einer Pressemitteilung erklärten sie die «prohibitiv-repressive Drogenpolitik» für «vollumfänglich gescheitert, realitätsfremd und grob-fahrlässig».
PolitikerInnen zeigten sich ob solcher Frechheiten wenig begeistert. Der damalige Berner Gesundheitsdirektor Klaus Baumgartner (SP) sagte gegenüber der «Berner Zeitung», er unterstütze zwar die freie Abgabe von weichen und harten Drogen unter kontrollierten Bedingungen, doch sei dieser «vorprellende Versuch, geltendes Recht zu umgehen» nicht der richtige Weg; das Betäubungsmittelgesetz müsse revidiert werden.
Die damalige Provokation ist von heutigen Vorschlägen nicht weit entfernt. Diesmal kommen sie von PolitikerInnen verschiedener Städte. «Die internationalen Entwicklungen, vor allem die Liberalisierungen des Cannabiskonsums in Colorado und Uruguay, haben neue Dynamik in die Diskussion gebracht», sagt Sandro Cattacin, Leiter der Genfer Projektgruppe für Cannabisvereine. Die in Genf entwickelte Idee ist weit gereift: In den Vereinen sollen KonsumentInnen eine täglich auf zehn Gramm begrenzte Menge Gras erwerben können. Geraucht wird zu Hause, Zutritt haben nur per Ausweis registrierte Mitglieder. Denn man will keinen Hanftourismus, sondern den Konsum entkriminalisieren und den Schwarzmarkt eindämmen. Derzeit erarbeitet die Genfer Kommission für Suchtfragen unter Federführung von Altbundesrätin Ruth Dreifuss ein Gutachten über die Chancen und Risiken, das sie Ende November dem Regierungsrat vorlegen will.
Genf steht nicht allein: Eine Arbeitsgruppe aus Behördenmitgliedern aus Basel, Zürich, Bern und Genf trifft sich regelmässig, um über die Möglichkeiten einer regulierten Cannabisabgabe zu diskutieren. In Bern hat Gemeinderätin Franziska Teuscher (Grüne) die Möglichkeit für ein Pilotprojekt im Massnahmenplan Suchtpolitik der Stadt festgehalten, Biel und Winterthur interessieren sich ebenfalls für die Idee. «Im Moment warten alle darauf, dass Genf den ersten Anstoss gibt», so Cattacin.
Bundesbern fährt Repressionskurs
Doch ist eine regulierte Abgabe von Cannabis überhaupt mit dem Betäubungsmittelgesetz vereinbar?
Gerhard Fiolka, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg: «Unter heutigem Recht sehe ich keine Möglichkeit, wie die Abgabe von Cannabis im Rahmen von Clubs legal ausgestaltet werden kann.» Die einzige Möglichkeit, die Fiolka sieht, wäre eine Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes oder der Strafprozessordnung, sodass beim Vertrieb von Cannabis unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung abgesehen werden könnte. «In jedem Fall aber braucht es eine Anpassung des geltenden nationalen Rechts.»
Vor nicht allzu langer Zeit florierten in Deutschschweizer Städten Hanfläden – um die 300 waren es nach Schätzungen des Bundesamts für Polizei. Die Polizei liess sie gewähren, in der Politik standen die Zeichen auf Toleranz. Die Revision des Betäubungsmittelgesetzes enthielt im bundesrätlichen Entwurf 2001 noch einen Artikel zur Legalisierung des Cannabiskonsums. Die Vorlage scheiterte im Nationalrat. 2003 war ein Wahljahr, den PolitikerInnen bereitete das Ausmass des unkontrollierten Hanfhandels langsam Unbehagen. Der Artikel zum Cannabiskonsum wurde gekippt, seither fährt Bundesbern wieder einen Repressionskurs. Die Hanfinitiative, die die Legalisierung des Konsums vier Jahre später vors Volk brachte, war chancenlos. Immerhin: 2011 beschlossen die Räte, KifferInnen nur noch mit einer Ordnungsbusse von hundert Franken statt wie bis dahin mit einer Anzeige zu bestrafen, wenn diese mit weniger als zehn Gramm Gras erwischt werden.
«In Bundesbern wird man so schnell nichts am Betäubungsmittelgesetz ändern, wenn es um Cannabis geht», sagt Toni Berthel, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen (EKDF). Die Kommission beklagt die repressive Cannabispolitik seit längerem. «Eine kohärente Drogenpolitik orientiert sich an der Gefährlichkeit der Substanzen», sagt er.
Eine politische Frage
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) liess letzte Woche auf Anfrage der «Aargauer Zeitung» verlauten, es halte die Genfer Cannabisvereine für «nicht mit dem Betäubungsmittelgesetz vereinbar». Fragt man nach, sagt das BAG zwar, die Aussage beziehe sich lediglich auf eine in Artikel 8 geregelte Ausnahmebewilligung für medizinische Zwecke. Grundsätzliche Aussagen zu den städtischen Vorstössen scheint das BAG nicht machen zu wollen. Cattacin hält fest: «Ob eine regulierte Cannabisabgabe möglich ist, ist keine juristische Frage, sondern eine politische.»
Im Nationalrat sind derzeit zwei Vorstösse bezüglich der städtischen Cannabisvorschläge hängig. Der freisinnige Nationalrat Ignazio Cassis forderte gegenüber dem «Blick», man solle den Städten «die Freiheit lassen, solche Projekte zu testen», und die Berner SVP reichte letzte Woche im Grossrat eine Motion ein, um Cannabisvereine im Kanton von vornherein zu verbieten. Der Kulturkampf ums Gras ist entbrannt.