Geheimdienstgesetz: Wenn nur noch die Grünen standhaft bleiben

Nr. 36 –

Bisher leistete die SP kaum Widerstand gegen das neue Nachrichtendienstgesetz. Kommt es so durchs Parlament, wird sie auf Druck der Basis dennoch das Referendum ergreifen müssen.

Als die Massen (und die SP) den Geheimdienst noch ganz abschaffen wollten: Fichendemo vor dem Bundeshaus-West, März 1990. Foto: Li Sanli, Woz-Archiv

Telefongespräche abhören, E-Mails mitlesen, in Computer eindringen, Wohnungen verwanzen: Das und mehr soll der Schweizer Nachrichtendienst künftig dürfen. Zumindest wenn es nach der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats geht. Mit breiter Mehrheit bis ins SP-Lager hat sie den bundesrätlichen Vorschlag für das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) passieren lassen. Einzig die Grünen votierten standhaft dagegen.

Das erstaunt, auch wenn man von der um die Landessicherheit besorgten SiK nichts anderes erwarten sollte. Denn noch im April wurde das Gesetz mit rund achtzig Änderungsanträgen torpediert. Zusätzlich kritisierten die Rechtsprüfungskommission, die Geschäftsprüfungsdelegation und die Finanzkommission das Gesetz in drei Mitberichten, woraufhin die SiK das Geschäft vertagte. Erst sollte der Bundesrat Stellung nehmen.

Referendum «so gut wie sicher»

Diesmal blieb der Aufschrei aus. Einzig die Juso forderte auf ihrer Website, das Gesetz gehöre zurück an den Absender, da es «dem Schnüffelstaat Tür und Tor öffnet». Von der SP war öffentlich keine Kritik zu hören. Sollte nicht gerade sie sich lautstark und grundsätzlich gegen den drohenden Lauschangriff wehren, da doch zahlreiche SP-Mitglieder jahrelang fichiert wurden?

Grundsätzlich begrüsst die SP eine Kompetenzausweitung des Nachrichtendiensts. Anders in den neunziger Jahren, als sie mit der Unterstützung der Initiative «Schweiz ohne Schnüffelstaat» die Abschaffung des Staatsschutzes forderte. Oder 2009, als sie die «BWIS II»-Vorlage in einer Allianz mit Grünen und SVP kippte, die damals ihrem abtrünnigen Bundesrat Samuel Schmid eins auswischen wollte. «BWIS II» forderte etwa dasselbe wie heute das NDG.

Inzwischen formt sich bei der SP Widerstand gegen das NDG. Fraktionspräsident Andy Tschümperlin sagt gegenüber der WOZ, das Referendum sei «so gut wie sicher», falls die SP-Änderungsanträge im Parlament nicht durchkämen.

Die Weichen dafür hat die SP bereits im Juni gestellt. Am Parteitag in Winterthur unterstützte eine Mehrheit eine Resolution der SP Appenzell Innerrhoden, die forderte, die Erlaubnis für Staatstrojaner aus dem Entwurf zum Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) zu streichen. Das Büpf regelt die Überwachung in der Strafverfolgung. Dagegen betrifft das NDG die Vorfeldüberwachung durch den Geheimdienst. «Das NDG geht viel weiter als das Büpf», sagt Tschümperlin. Staatstrojaner, die der SP im Büpf ein Dorn im Auge sind, sind es im NDG erst recht.

Mit Kritik am Büpf hielt sich die SP lange zurück. Einerseits überzeugten laut Tschümperlin die sicherheitspolitischen Argumente der zuständigen Kommission, andererseits wollte die Partei der eigenen Bundesrätin nicht an den Karren fahren – zuständig fürs Büpf ist das Justizdepartement von Simonetta Sommaruga. Die Geschäftsleitung stellte sich am Parteitag gegen die Resolution.

Mit der pragmatischen Haltung stösst die Geschäftsleitung auf Widerwillen: «Die SP hat es in den letzten Jahren verschlafen, eine klare Position beim Thema Überwachung einzunehmen», sagt Susanne Leutenegger Oberholzer auf Anfrage. Sie ist eine der wenigen SP-ParlamentarierInnen, die vom Fichenskandal noch direkt betroffen waren. Grundrechte seien ein «Urthema» der Schweizer Sozialdemokratie, hatte sie bereits am SP-Parteitag gesagt, eines, das sie nicht einfach «den Grünen überlassen» wolle.

Gründe gegen das Nachrichtendienstgesetz gäbe es genug. Beispiel Staatstrojaner: Mit ihrer Hilfe soll der Geheimdienst in fremde Computer eindringen dürfen und notfalls auch den «Zugang zu Informationen stören». Laut dem Bundesrat hinterlässt ein Staatstrojaner praktisch immer ein Sicherheitsleck im System, das von Dritten ausgenutzt werden kann. Und die Missbrauchsgefahr, wenn ein Trojaner per Gesetz ein System stören darf, ist so hoch, dass der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte das Gesetz überhaupt nur für «diskutabel» hält, wenn dieser Passus gestrichen wird.

Unabhängige Aufsicht gefordert

Bundesrat Maurer beruhigt, der Einsatz von Staatstrojanern müsse vom VBS, Teilen des Bundesrats sowie vom Bundesverwaltungsgericht bewilligt werden. «Das reicht nicht», entgegnet Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor der Universität Basel. «Das Verwaltungsgericht kontrolliert nur, ob ein Antrag aus Verwaltungssicht in Ordnung ist, und niemand kann vor Gericht eine Gegenmeinung einbringen.» Es bräuchte eine Aufsichtsbehörde, die auch von der Politik unabhängig ist.

Und überhaupt: Hat nicht der «Fichenskandal 2.0», bei dem vor vier Jahren aufflog, dass der Nachrichtendienst rund 200 000 Personen fichiert hatte, gezeigt, dass der Geheimdienst eben doch macht, was er will?

Der Geheimdienst will naturgemäss mehr Kompetenzen. Ihn in die Schranken zu weisen, ist Aufgabe des Parlaments. Oder, in den Worten von Leutenegger Oberholzer: «Die Grundrechtsdebatte darf nicht hinter diffusen Sicherheitsargumenten verschwinden.»