En passant: Chinesische Preise
Als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in China treffe ich oft Leute, die etwas gegen die schlimmsten Auswüchse der Kommerzialisierung tun wollen. Yang Yang erzählte mir zum Beispiel, dass der Preis für ein Baby derzeit bei 40 000 Yuan liege, rund 6000 Franken. Die junge Frau kümmert sich bereits um ausgesetzte Hunde, um jugendliche Entführungsopfer, um Leute, die im Zug plötzlich zusammenbrechen (und denen aus Angst vor einer Mitverantwortung sonst niemand hilft), und um den Englischunterricht in abgelegenen Grundschulen.
Jetzt will sie auch noch die Dorfbevölkerung in einem «besonders gefährdeten» ländlichen Kreis in der Provinz Liaoning für das Thema Babydiebstahl sensibilisieren. Aber eigentlich geht es um Mädchendiebstahl. «Jungs», sagt Yang, «gibt es schon so viele. Die sind nichts wert.» Ein Mädchen dagegen kann vom Käufer «adoptiert» werden, wächst mit dem eigenen Sohn zusammen auf und wird später mit ihm verheiratet. Das ist viel sicherer und billiger, als dem Sohn eine innerstädtische Wohnung und ein nagelneues Auto zu kaufen, damit er auf dem Heiratsmarkt eine Chance hat.
Aber mir wird nicht ganz klar, woher Yang den Preis so genau weiss. Und wen genau sie zu sensibilisieren plant. Die Eltern der Mädchen sind meist Tausende Kilometer weit weg auf Wanderarbeit, die Grosseltern sind alt und nicht mehr gut zu mobilisieren, die älteren Geschwister verbringen den ganzen Tag in der Schule, und die gefährdeten Mädchen selbst sind noch viel zu klein. Und zur Polizei hat sie keinen Kontakt. Deswegen glaube ich nicht, dass Yang auf finanzielle Unterstützung hoffen kann.
Ehrlich gesagt hat mich die ganze Geschichte nicht so sehr schockiert wie die Tatsache, dass die Punkte, die VerkehrssünderInnen auch in China bekommen, übertragbar sind. Wer erwischt wird, kann die Punkte ganz einfach an irgendjemanden abtreten. Der aktuelle Preis dafür liegt bei 200 Yuan (etwa dreissig Franken) pro Punkt. Das erzählt jedenfalls Fahrer Cui.
«Aber dann können die Reichen weiter rasen wie die Blöden. Da nützt doch das ganze System nichts», wende ich ein. Cui zuckt mit den Achseln: «Das hat schon seine Richtigkeit, den Führerschein können sie ja auch kaufen.» Na toll! «Und wo findet man jemanden, der einem die Punkte abnimmt? Im Internet?» – «Kann schon sein, dass das im Internet geht», sagt Fahrer Cui. «Aber meistens bieten die Kfz-Verwaltungsstellen selbst die Vermittlung an.»
Dass auch dieser Service nicht ganz kostenlos ist, versteht sich von selbst.
Wolf Kantelhardt schreibt für die WOZ aus Beijing.