Medientagebuch: Maulkörbe und Steuern

Nr. 40 –

«Libération» und «Mediapart»

Die Rechnung kommt meist hinterher, und manchmal führt sie zu Bitterkeit. So auch hier: Am 31. Juli 2014 gab es eine scheinbar gute Nachricht: In die finanziell angeschlagene französische Tageszeitung «Libération» würden achtzehn Millionen Euro «frisches Geld» investiert. Ermöglicht hatte die Kapitalaufstockung neben vier anderen Investoren der in der Schweiz ansässige Milliardär Patrick Drahi. Ihm gehört das multinationale Kommunikationsunternehmen Altice, das Miteigentümer des Internetanbieters Numericable und der Mobiltelefonfirma SFR ist.

Am 15. September 2014 wurde dann der neue Sparplan der neuen Direktion von «Libération» bekannt. Er führte zu einem Aufschrei. Noch nie in der Geschichte der 1973 gegründeten Zeitung ist derart hart zugelangt worden. «Libération» zählt 250 Stellen, darunter 180 JournalistenInnenjobs – 93 sollen gestrichen werden. Zuerst soll dies über «freiwillige Abgänge» gegen eine Abfindung geschehen, wobei den ausscheidenden Angestellten eine Maulkorb-, pardon, eine «Nichtanschwärzungsklausel» zur Unterschrift vorgelegt wird: Allzu deutliche Kritik an der Firma nach dem Abgang ist verboten. Falls sich nicht genügend Freiwillige finden, gibt es Entlassungen.

Die heute linksliberale, einstmals linksradikale «Libération» macht Verluste. Abgesehen von der Konkurrenz unter Tageszeitungen und jener des Internets ist daran auch die wachsende politische Desillusionierung und Demotivierung links von der Mitte schuld. Bekanntlich befinden sich aber noch andere Zeitungen in einer angespannten Situation. Andererseits haben sich einige Medienprojekte erfolgreich neue Nischen geschaffen.

Letzte Woche verkündete die 2007 gegründete französische Internetzeitung «Mediapart» des ehemaligen «Le Monde»-Chefs Edwy Plenel, sie habe die Schwelle von 100 000 AbonnentInnen überschritten. Anders als sonst bei Onlinemedien ist der Zugriff auf «Mediapart»-Artikel fast immer zahlungspflichtig. Als Gegenleistung haben die AbonnentInnen – die ein Abo zum sehr günstigen Tarif von nur neun Euro im Monat lösen können – eine Garantie auf Werbefreiheit. «Mediapart» finanziert sich zu 95 Prozent aus Abobeiträgen. Durch eine Reihe spektakulärer Enthüllungen über Politiker-, Finanz- und Waffenhandelsskandale hat die Onlinezeitung in den letzten Jahren immer wieder auf sich aufmerksam gemacht.

Vielleicht gerade deswegen kommen nun womöglich existenzbedrohende Schwierigkeiten auf das erfolgreiche Medium zu. In den letzten Jahren hatte «Mediapart» die Mehrwertsteuer nach dem niedrigen Satz von 2,1 Prozent, dem Zeitungsunternehmen gesetzlich unterliegen, abgeführt. Doch im genauen Wortlaut des bisherigen Gesetzes galt der ermässigte Ansatz nur für gedruckte Medienerzeugnisse. «Mediapart» als Internetzeitung beklagte sich schon lange über die Ungleichbehandlung – und bekam in der Sache recht: Am 4. Februar 2014 wurde, durch einstimmigen Beschluss der Nationalversammlung, der Gesetzestext abgeändert. Die Steuerreduktion ist nun in gleicher Weise auf papierene wie auf elektronische Zeitungen anwendbar.

Am Montag reklamierte der Fiskus jedoch 4,2 Millionen Euro Steuernachzahlungen von «Mediapart» für die Geschäftsjahre 2008 bis 2013, in denen das alte Gesetz galt. 1,2 Millionen davon wären Strafzahlungen: 200 000 Busse wegen Zahlungsverspätung und eine Million Sonderstrafe wegen «Bösgläubigkeit».

Bernard Schmid schreibt für die WOZ aus Paris.