Container: «Niemals interessiert man sich dafür, was in mir steckt!»

Nr. 41 –

Manchen gilt er als Ikone der Globalisierung, andere sehen in ihm nur einen Behälter, Architektur ohne Eigenschaften. Gegenüber der WOZ redet ein Container erstmals Klartext über die eigene Geschichte und die Psychologie seiner Gattung.

«Gestatten: Mein Name ist UBMF007 249 -3. Ich bin ein TEU, ein Twenty-Foot-Equivalent-Unit-Container. Das ist erst mal nichts Besonderes, ich weiss. Weltweit sind über siebzehn Millionen von uns unterwegs, unterschiedlich gross zwar, aber alle schön brav normiert und ISO-zertifiziert. So also pulsieren wir durch die Adern des globalisierten Kapitalismus.

Übrigens: Die vier Buchstaben meines Namens identifizieren meinen Eigentümer; zusammen mit den sechs Zahlen und der Kontrollziffer am Schluss ergeben sie meine ganz persönliche ID. Nur dank ihr weiss man immer, wo ich gerade stecke.

Ja, was glaubt ihr, wo ich schon überall rumgekommen bin! Erst vor wenigen Tagen haben sie mich in Saigon mitsamt meinen 10 000 Paar Jeans vom Zug auf den Frachter gehievt – gestern ist die Ladung in Bremerhaven bereits gelöscht worden, und nun soll mein Bauch gleich mit deutschem Bier gefüllt werden. Vielleicht reise ich zusammen mit meinem grossen Bruder FETR109 335 -2, dem orangen Kühlcontainer, der eben mit dem Frachter angedockt hat; seine Bananen aus Costa Rica werden wie auch mein Bier in Norwegen erwartet.

Eigentlich sind wir Container richtige Tausendsassas. Uns gibts als normale Frachtcontainer, als Kühl-, Trocken- oder Luftfrachtcontainer, wir passen stapelweise auf Schiffe, Eisenbahnen, Lastwagen oder in Flugzeuge und sorgen für einen schnellen und günstigen Gütertransport. Ich will die Klappe ja nicht allzu weit aufreissen. Aber ich glaube, ohne uns würde das weltumspannende Logistiksystem kollabieren.

Wir sind aber auch richtige Verwandlungskünstler: Je nach Wunsch mutieren wir zu Lagercontainern, Abfallcontainern, Containerkläranlagen, Sanitärcontainern, Wohn-, Büro- oder Schulcontainern. Mobil, flexibel, effizient – als Behälter sind wir fast schon zu einer Ikone der Globalisierung geworden. Sogar die Finanzwirtschaft benutzt uns ausgesprochen gern als Symbol für ihre Transaktionen und Geschäfte.

Zugegeben, ein bisschen stört es mich schon, dass ich immer auf mein Äusseres reduziert werde. Dass man sich nur für mich als Behälter interessiert und niemals dafür, was eigentlich in mir steckt, wo ich herkomme und wohin ich unterwegs bin. Ich komme mir dann so heimatlos und geschichtslos vor.

Okay, das tönt jetzt ein bisschen melodramatisch. Aber die Containerpsychologie gibt mir recht. Mittlerweile beklagen sich nämlich selbst die Psychoanalytiker, dass der globale Siegeszug des Containerprinzips als Therapiekonzept ihren Beruf normiere und uniformiere. Klar: Wo die Psychiaterin – als Container – von Sitzung zu Sitzung nur noch aufnehmen, einschliessen, verarbeiten und unschädlich machen soll, was ihr ein Patient erzählt – quasi Ladung aufnehmen, löschen, aufnehmen, löschen, aufnehmen, löschen –, kommt ihr irgendwann auch die Geschichte abhanden.

Apropos Vergangenheit: Dass wir Container immer als Sinnbild für Normierung und Uniformierung herhalten müssen, kann ganz schön nerven. Aber das kommt halt davon, wenn man ein Kind des Kriegs ist. Wilfred Bion, der Vater des Containerprinzips, war ursprünglich Militärpsychiater im Zweiten Weltkrieg und in seinem Denken offenbar ganz dem Kalten Krieg verhaftet. Sonst hätte er nicht die militärische Strategie des Containment, die den Feind einschliessen und unschädlich machen soll, einfach so auf die Psychoanalyse übertragen.

Aber das war damals wohl der Zeitgeist in den USA. Wir Container erlebten nämlich zur gleichen Zeit unsern weltweiten Durchbruch – im Vietnamkrieg. Da ging es darum, die Truppen möglichst rasch mit Nachschub zu versorgen. Und dort, in Saigon, baute das US-Militär auch den ersten Containerhafen. Als eigentlicher Erfinder des genormten, multifunktionalen Frachtcontainers gilt der Reeder Malcolm McLean, der 1956 erstmals zwei Tanker der Marine zu Containerfrachtern umbauen liess.

Ja, es stimmt, und ich sage es nur ungern: Man könnte unsere Ursprünge auch im Zweiten Weltkrieg sehen. Zum Beispiel bei Adolf Eichmann, der als Logistiker des Todes die Transporte von Juden in die Vernichtungslager organisierte – mit speziell gekennzeichneten Containerwaggons. Überhaupt: Die Flüchtlingslager, Kriegsgefangenenlager, Zwangsarbeitslager, Konzentrationslager – stehen sie nicht sinnbildlich für die grundsätzliche Ambivalenz, die uns Containern innewohnt und die bereits in unserer sprachlichen Herkunft schlummert? «Continere» bedeutet im Lateinischen «enthalten, zusammenhalten» – es geht also sowohl darum, was man alles in einen Container füllen kann, als auch darum, wie man dieses von aussen begrenzen, einschliessen kann.

Ein bisschen Büchse der Pandora sind wir deshalb immer: In unserm Bauch rumoren die dunklen Seiten der Vergangenheit wie die der globalisierten Gegenwart. Was wir nicht alles schlucken müssen! Als Gebäudecontainer sollen wir aufnehmen und eindämmen, was die Gesellschaft als Problem betrachtet – Migranten oder Prostituierte. Und so müssen wir nicht nur als Büro- und Baucontainer, als Krankenstationen oder Restaurants herhalten, sondern auch als Asylunterkünfte und Sexboxen (vgl. «Das Containerquartier im Niemandsland»). Wie es so schön auf Wikipedia über uns heisst: ‹Container für diese Art der Nutzung werden in der Regel isoliert, mit Türen und Fenstern versehen und innen ausgestattet. So können sie auch als Aufenthaltsraum für Menschen dienen.›

Aber natürlich: Im Aufenthaltsraum lebt man ja nicht, man ist darin bloss untergebracht, versorgt sozusagen. Das Provisorium kann nie und nimmer zur Heimat werden. Dafür kann es über Nacht verschwinden, spurlos – auch aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis. Als Gebäudecontainer können wir keine gesellschaftlichen Probleme lösen. Höchstens verdrängen, allenfalls aufschieben lassen sie sich mit unserer Hilfe.

Bitte schön, fragt doch meine Schwester Züri-Modular. Auch wenn sie sich vielleicht ein bisschen gar was einbilden tut auf ihr schickes Äusseres als Schulpavilloneinheit aus Holz, Glas und Stahl – aber dass sie jetzt ausbaden soll, dass es die Stadt Zürich verschlampt hat, rechtzeitig neue Schulhäuser zu bauen, das nervt sie doch zu Recht. Seit die Stimmbürger der Stadt im Mai fünfzig Millionen Franken geschenkt haben, um überall neue Pavillons zu errichten, wird auch noch die letzte Schulhauswiese mit zwei- und dreigeschossigen Züri-Modulars verbaut.

Am meisten stresst meine Schwester, dass sich weder die Lehrerinnen noch die Kinder in ihrem Innern besonders wohlfühlen. Dafür sind die Klassenzimmer einfach zu klein (sogar kleiner, als die Stadt erlaubt). Dauernd schiebt die Lehrerin Pulte und Stühle herum, um überhaupt zu den einzelnen Schülern zu gelangen. Es gibt keinen Platz, im Kreis zu sitzen, in Gruppen zu arbeiten, etwas aufzuhängen. Oft scheint auch die Lehrerin nicht zu wissen, wo sie mit sich selber noch hinsoll. Und ist doch gleichzeitig isoliert von ihren Kolleginnen im Schulhaus drüben.

Nein, das ist nicht lustig – auch für meine Schwester nicht. Ein bisschen Gedanken mache ich mir da schon auch um meine eigene Zukunft. Als stinknormaler Frachtcontainer hab ich ja noch ein paar Jahre auf See, Schiene und Landstrasse vor mir. Was, wenn sie irgendwann Flüchtlinge in mich sperren? Oder mich mit Prostituierten im Bauch in die Wüste schicken, wo grad eine Ölpipeline verlegt wird?

Mit zwölf Jahren ist sowieso Schluss. Dann verkauft mich mein Eigentümer auf dem Containerzweitmarkt. Doch ich will nicht als Abfallcontainer enden. Auch nicht als Behälter, an dem sich Künstlerinnen austoben können. Das ist entwürdigend.

Besser, ich mache mich vorher aus dem Staub. Vielleicht rüstet mich mein Eigentümer ja zum intelligenten Container auf, wie FETR109 335 -2? Dem haben sie verschiedene Sensoren und einen Chip eingebaut, mit dem er selber überwachen kann, wie die Bananen reifen. Im Notfall kann er sich sogar selber steuern. Autonomie! Sich ausklinken und abhauen, untertauchen. Falls ich irgendwann smart werde, tu ich das. Verlasst euch drauf!»