Friedensnobelpreis: Hätte Nobel gewollt, dass Mutter Teresa ausgezeichnet wird?

Nr. 41 –

Das norwegische Nobelkomitee steht mit seiner Preisvergabe seit längerem in der Kritik. Jetzt hat ein Jurist und Historiker Klage eingereicht. Gemeinsam mit andern fordert er ein unabhängiger zusammengesetztes Gremium.

Am 10. Oktober ist es wieder so weit: Punkt 11 Uhr wird Thorbjörn Jagland, der Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, in Oslo bekannt geben, wer den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten wird. 278 Namen, so viele wie nie zuvor, standen auf der Liste der Nominierten, als diese Ende Februar geschlossen wurde. Von Malala Yousafzai, der pakistanischen Menschenrechtsaktivistin, die bereits im letzten Jahr als Favoritin galt, bis zu Papst Franziskus und Edward Snowden. Und auch 47 Organisationen sind darunter, beispielsweise die Impfallianz Gavi und die Lesben- und Schwulen-Assoziation Ilga.

Aber wie viel hat der Friedensnobelpreis eigentlich noch mit dem Willen seines Stifters Alfred Nobel zu tun? Laut Testament dieses schwedischen Industriellen, der sein Vermögen mit der Produktion von Dynamit gemacht hat, soll den Preis erhalten, wer «am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt» habe.

Nobel war ein Antimilitarist

Auf keinen der NobelpreisträgerInnen der letzten Jahre und kaum einen Namen auf der aktuellen Nominierungsliste trifft diese Definition zu, ist Fredrik S. Heffermehl überzeugt. «Ungesetzliche Verwaltung des Nobelpreises» – so ist die Strafanzeige überschrieben, die der Jurist und Historiker im April bei der Polizei in Oslo eingereicht hat. Darin beantragt er eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen, namentlich des Komiteevorsitzenden Jagland: Das Nobelkomitee unterschlage und veruntreue das Stiftungsvermögen, weil es Preise verleihe, die den Willen des Preisstifters grob missachteten.

Heffermehl kämpft seit Jahren gegen die Aufweichung der Preiskriterien. Die Strafanzeige wird von mehr als einem Dutzend weiterer UnterzeichnerInnen mitgetragen, unter ihnen der Soziologe Thomas Hylland Eriksen, der Osloer Strafrechtler Stale Eskeland und der ehemalige Vorsitzende der schwedischen Grünen, Birger Schlaug.

Der Kern ihrer Argumentation: Alfred Nobel habe einen «Preis für Friedensverfechter» begründet, einen Preis, der diese auch ökonomisch in ihrem Kampf für eine globale Abschaffung des Militärs unterstützen wollte. Nobels Vision – und bei dieser war er stark von der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner und deren Antikriegsroman «Die Waffen nieder!» inspiriert worden – sei eine Welt gewesen, in der die Dynamik des Militarismus gebrochen werden und die internationalen Beziehungen nicht von Macht und Gewalt, sondern von Recht und Frieden geprägt sein sollten.

Das Komitee in Oslo habe diese Vorgaben zunehmend missachtet und Nobels Definition durch einen allgemeinen Friedensbegriff ersetzt, den man immer weiter ausgedehnt habe und ausdehne, argumentieren die KritikerInnen. «Das Komitee hat Nobels Vision vollständig aus den Augen verloren», sagt Heffermehl. Die meisten Ehrungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs verstiessen deshalb gegen den Willen des Stifters. Zum Beispiel im Fall von George Marshall, dem man 1953 den Preis verliehen hatte: Auch wenn er den nach ihm benannten Marshallplan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas begründet hatte – als Generalstabschef des US-Heers während des gesamten Zweiten Weltkriegs war er in keiner Weise ein Mann mit antimilitaristischem Hintergrund.

Ein Preis für gepflanzte Bäume?

Auch PreisträgerInnen wie Mutter Teresa, die iranische Juristin und Menschenrechtsaktivistin Schirin Ebadi, Al Gore oder Muhammad Yunus, der Mikrokreditbegründer aus Bangladesch, entsprechen in den Augen der KritikerInnen nicht den Intentionen von Nobel. Und mit Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman sei der Preis von 2011 zwar an «durchaus herausragende Frauen» gegangen, so Heffermehl. Doch bei ihnen sei es nicht einmal mehr Jagland gelungen, auch nur einen vagen Bezug zum Testament Nobels herzustellen: «Es war ein Preis für Frauenrechte und Demokratie.»

Aus dem, was Alfred Nobel in Briefen und anderen Dokumenten zu seinem Friedenspreis geäussert hat, geht für Heffermehl klar hervor, dass der Preis eben nicht allgemein für «Frieden» und deshalb schon gar nicht für Baumpflanzungen, Umwelt, medizinische Versorgung oder Armutsbekämpfung gedacht ist, sondern gezielt für den antimilitaristischen Kampf.

Den Einwand seiner KritikerInnen, er lege Nobels Testament so puristisch, eindimensional und wortwörtlich aus, dass sich kaum PreisträgerInnen finden lassen würden, lässt Heffermehl nicht gelten. Nehme man nur die letzte Nominierungsliste, gebe es genügend KandidatInnen: von den beiden US-amerikanischen Publizisten Richard Falk und David Krieger bis zur Nuclear Age Peace Foundation, zur Women’s International League for Peace and Freedom oder zum schwedischen Friedensforscher und Gründer des Friedensforschungsinstituts TFF, Jan Öberg.

Die EU – ein «Friedenskongress»?

Jagland bezeichnet die Kritik an der Vergabepraxis des Komitees als arrogant und ignorant. Sein Gremium bemühe sich sehr wohl, dem Willen Nobels zu folgen. Wenn dieser von der «Verbrüderung der Völker» oder von «Friedenskongressen» spreche, so sei eben gerade der Preis für die EU – dieser hatte nicht nur in Norwegen zu besonders scharfer Kritik geführt – vollständig im Sinn des Preisstifters gewesen, weil die EU seit ihrer Gründung «ein kontinuierlicher Friedenskongress» gewesen sei. Auch könne niemand den Preis an Martin Luther King gutheissen und gleichzeitig den an Barack Obama kritisieren, argumentiert Jagland: «Denn Obama hat mit seiner Gesundheitsreform mehr für die schwarze Bevölkerung getan als jeder andere.»

«Er versteht nichts», kontert Heffermehl. «Er erkennt nicht den Unterschied zwischen einem ‹Friedenspreis› und einem ‹Preis für Friedensverfechter›. So wird Nobels Ansatz einfach ausgelöscht.» Der Soziologe Thomas Hylland Eriksen vermutet, Nobels Vision sei schlicht «zu radikal» für Norwegen, «eines der eifrigsten Schosshündchen der USA». Ähnlich sieht es auch der Friedensforscher Johan Galtung: «Es gibt ein Nobelpreisschema. Den Preis bekommen Personen mit Ansichten, die mit der norwegischen Aussenpolitik kompatibel sind.» Man könne auch schwerlich etwas anderes erwarten – schliesslich werde der Preis ja von «ausgewählten Nato-Anhängern» verliehen.

Ein anderes Komitee muss her

Galtung stellt damit auf die Tatsache ab, dass die fünf Mitglieder des Nobelkomitees vom norwegischen Parlament nach den jeweiligen dortigen Kräfteverhältnissen ernannt werden. Wolle man wirklich zurück zu Nobels Intentionen, müsse man diesem Komitee die Verantwortung für den Preis entziehen, meint Galtung. Und auch Hylland Eriksen fordert, diese Aufgabe nicht in die Hände «abgedankter norwegischer Politiker» zu legen, sondern sie beispielsweise einem politisch ungebundenen internationalen Gremium zu überantworten, dessen Mitglieder nach ihrer Kompetenz ausgewählt werden.

Eine solche Veränderung sei auch das eigentliche Ziel seiner juristischen Vorstösse, betont Heffermehl. Er hat mittlerweile ein weiteres Verfahren bei der Stiftungsaufsichtsbehörde in Stockholm («Länsstyrelsen») eingeleitet. Ihr obliegt es, die rechtmässige Verwaltung von Nobels Stiftung und damit auch die des Friedensnobelpreises zu überwachen. Bereits 2012 hatte sie aufgrund der öffentlichen Nobelpreiskritik ein erstes Verfahren gegen die Stiftung eröffnet.

Damals wies die Behörde den Einwand des norwegischen Komitees, es sei «unabhängig» in seinen Entscheidungen, ausdrücklich zurück und stellte vielmehr fest, das Komitee sei an das Testament Nobels gebunden, und es sei Aufgabe des Stiftungsverwalters, die korrekte Einhaltung des Testaments zu überwachen. Da die schwedische Nobelstiftung seinerzeit zugesagt hatte, diese Kontrolle zu übernehmen, sah die Aufsichtsbehörde «zum gegenwärtigen Zeitpunkt» keinen Anlass, tätig zu werden. Heffermehl will nun mit seinem neuen Antrag an dieses Verfahren anknüpfen: «Es hat sich ja nichts geändert.»