Fussball und andere Randsportarten: Renn, du Säuli!

Nr. 42 –

Eine Analyse der Ostschweizer Volksrituale.

Dieser Tage findet in St. Gallen gerade wieder die alljährliche Olma statt. Für die Verstädterten unter Ihnen: Das ist die Ostschweizer Land- und Milchwirtschaftsausstellung (heute: Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung). Klingt gesittet, ist aber in Wirklichkeit das grösste organisierte Besäufnis der Schweiz, das die welschen Weinfeste im Vergleich wie einen Kongress mormonischer BlaukreuzlerInnen aussehen lässt. Olma ist die Zeit, in der ein Grossteil der Stadtbevölkerung panisch in die Ferien verreist, während die Landbevölkerung in die Hauptstadt strömt.

Was hat das mit Sport zu tun? Einmal abgesehen davon, dass sich ansonsten ganz gesittete Familienväter, FDP-Wählerinnen und andere VorstädterInnen in dem Moment, in dem in den Degustationshallen die letzte Runde ausgerufen wird, plötzlich aufführen wie eine Horde Orks vor den Toren von Helms Klamm?

Nun, zuallererst ist da einmal der sportliche Höhepunkt eines Sankt Galler Lebens – das Säulirennen. Das ist genau das, wonach es klingt: Fünf Zuchtschweine werden zur Begeisterung des bratwurstfressenden Publikums durch eine Arena getrieben, bevor sie in der Wurst landen. Angeheizt wird die Stimmung von einem Moderator, Christian Manser, der in der Ostschweiz in dieser Rolle etwa so bekannt ist wie Hansi Hinterseer und ähnlich häufig mit Stützstrümpfen beworfen wird. Vor den Rennen lässt er jeweils die Kinder im Publikum durch die Arena «höselen». Zusätzlich aufgewärmt wird das Ganze von so illustren Gruppen wie dem Militärspiel der RS 16-2/14 oder der Musikgesellschaft Andwil-Arnegg. Und das elf Tage lang, immer um sechzehn Uhr. Wem das noch nicht genug Schweinerei ist, der kann sich das Säulirennen auch noch als App für sein Sauphone herunterladen. Kein Witz.

Der Sinn des Rituals liegt auf der Hand: Ähnlich wie McDonald’s via Spielzeug und Zucker in Brot und Ketchup Kinder vorsichtig zum Fleischkonsum führt, so tun wir OstschweizerInnen das an der Olma via Säulirennen. «Jööö, sind die Säuli nicht herzig? Schau, da ist Pastetli, auf die haben wir gewettet! Lauf, Pastetli, lauf! Und jetzt nimm einen Biss von deiner feinen Olma-Bratwurst. Mhmmm.» Ich höre gerade Heerscharen von VegetarierInnen, die beim Lesen dieser Zeilen zu kotzen anfangen.

Und vielleicht gerade deswegen ist das Säulirennen eine der ehrlichsten Sportarten überhaupt. Denn was sind SportlerInnen – denen wir zuschauen, wie sie vollgepumpt mit Drogen einen Berg hochradeln, bis einer tot umfällt, oder sich gegenseitig auf die Rübe hauen, bis beide blöd sind – anderes als Fleisch, dem wir beim Sterben zusehen? Wir können die Parallele auch gern weiterziehen: Mit den Fortschritten, die wir in der Medizin so machen, wird es eines Tages – und wahrscheinlich ist der nicht mal so weit entfernt, wie wir uns das wünschen – möglich sein, die perfekten SportlerInnen zu züchten. Das erhöht einerseits den Spass für die ZuschauerInnen, weil diese Zuchtviecher viel leistungsfähiger sein werden, und andererseits könnte man ehrlich dazu stehen, dass AthletInnen in Wirklichkeit ja Wegwerfware sind. So ein Formel-1-Fahrer in einen anderen Boliden gerast? Ein Boxer tot umgefallen? Kein Problem: Züchten wir einen neuen!

Und ganz ehrlich: Gäbe es einen Grund, diese SportlerInnen nach dem Ende ihrer Karriere nicht auch gleich noch zu verwerten und aufzufressen? Das wäre nur konsequent – und nachhaltiger noch dazu. So ein Steingruberkotelett könnte doch durchaus schmackhaft sein. Oder eine Cancellarawade? Da ist immerhin was dran! Finden Sie die Vorstellung eklig? Weil wir menschliches Leben als höchstes schützenswertes Gut betrachten? Dann kontere ich mit einer Frage, die mir vor kurzem eine Redaktorin des St. Galler Kulturmagazins «Saiten» stellte: Wieso haben wir die Käfighaltung für Hühner schon vor Jahren verboten, während wir die Freilandhaltung von Asylsuchenden kategorisch ablehnen?

Etrit Hasler ist Fleischfresser mit Gewissen. Und manchmal denkt er die Dinge gern zu Ende.