Friedrich Glauser: Ein Fall von Missbrauch

Nr. 43 –

«Die Atmosphäre ist sehr angenehm; es ist immer ein Genuss, unter Menschen zu sein und nicht unter bürgerlichen Tieren.»
Friedrich Glauser in einem Brief aus Ascona, 1919

Die SVP hat eingeladen, und in Münsingen brennt die Herbstsonne heiss. Vom Schlosspark ertönen Gitarrenklänge, man singt von verlorener Liebe. Sicherheitsleute schwatzen mit den Frauen vom Buffet. Nachdem man das Festgelände durchschritten hat, will die Polizei höflich den Ausweis sehen. Die Mahnwache, organisiert vom Künstler Johannes Lortz, wird geduldet. Einige lassen sich auf Gespräche ein über den Junkie, den Kriminellen, den Randständigen, den Internierten, den Sozialhilfeempfänger, den Ausländer Friedrich Glauser. Ab und zu hebt sich eine Faust. Als die Musik verstummt, ist der Saal voll.

Was will Christoph Blocher? Will er sich in seinen kulturellen Vorträgen als Mensch zeigen – hier bin ichs, hier darf ichs sein? Sieht er sich als Oberlehrer der Nation, der verpassten Schulunterricht nachpauken lässt? Müsste man nicht Rechenschaft ablegen, schliefe man bald ein. Zäh, langfädig schleppen sich die Worte. Das Vorprogramm zu Magdalena Nägeli (1550–1628) und Christoph von Graffenried (1661–1743) besteht aus müden Geschichtsklittereien, frauenfeindlichen Sprüchen, auf billigste Lacher angelegt. Keiner ruft «Chabis!» in den Raum.

Und dann sieht man Glausers Lichtbild und denkt an eigene, fiebrige Leseabenteuer. Und hört Angelesenes, entfernte biografische Bezüge, Auslassungen und eine einzige, unsinnige These vom «Unternehmertum» Glausers, der trotz grosser Leiden ein Werk geschaffen habe, das fortdauere. Und die Figur des Wachtmeisters Studer wird regelrecht missbraucht: Wirtinnen und Polizisten brauche es, keine Sozialarbeiter. Die moderne Wirklichkeit: radikal ausgeblendet. Die Vergangenheit: verklärt. Blocher fällt zum Drogenproblem nichts ein. Zum Diskurs über Verwahrung und Verschärfung des Strafrechts schweigt er.

Wenn er spricht, wird alles einfach. Der Boden, aus dem einer kommt und in den er wieder versinkt. Die letzte Ohrfeige für den Kosmopoliten Glauser. Es bleiben die Bücher.