Porträt: Der Hund ist teurer als der Arbeiter
Der indische Gewerkschafter Rajkumar Sahu kämpft seit 23 Jahren für LeiharbeiterInnen eines Zementwerks des Schweizer Konzerns Holcim im Bundesstaat Chhattisgarh. Nun war er zu Besuch in der Schweiz.
Gute Vorsätze klingen fast immer bestens, gehen aber leider sehr selten in Erfüllung. Das gilt auch beim Schweizer Zementkonzern Holcim. Auf dessen Website steht zum Beispiel: «Soziale Verantwortung ist ein Eckpfeiler unserer Verpflichtung zu nachhaltiger Entwicklung. Bei Holcim beabsichtigen wir durch Investition und Engagement zu den Gemeinschaften beizutragen, in denen wir operieren – basierend auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen.»
Dem indischen Spengler Rajkumar Sahu entlocken diese Sätze nur ein müdes Lächeln. Seit 25 Jahren arbeitet er als Leiharbeiter in einer Fabrik des indischen Betonlieferanten ACC Limited in Jamul. Die Fabrik gehört seit 2005 zu Holcim.
Sechzehn Tote, ein bisschen Ferien
«Vor der Kalksteinmine der Fabrik gibt es einen Wachhund, der die Firma 15 000 Rupien im Monat kostet (230 Franken). Der Wächter, der ihn Gassi führt, verdient aber nur 5000 im Monat», sagt Sahu. Seit 23 Jahren kämpft er als Aktivist der progressiven Zementarbeitergewerkschaft Pragatisheel Cement Shramik Sangh (PCSS) für eine Gleichstellung der LeiharbeiterInnen mit den Festangestellten bei ACC und bei Ambuja Cements, die vor neun Jahren ebenfalls von Holcim übernommen wurde.
Die PCSS und ihr heutiger Vizepräsident Sahu haben einiges erreicht: ein bisschen Ferien, Sicherheitsausrüstung für gefährliche Arbeiten, richtige Lohnabrechnungen, Stempelkarten als Bestätigung für die geleistete Arbeit. Der Preis ist hoch: 1991 starben bei Zusammenstössen mit Sicherheitskräften sechzehn AktivistInnen, zudem verloren zahlreiche GewerkschafterInnen seit der Gründung der PCSS 1989 ihre Arbeit.
Doch Rajkumar Sahu und seine MitstreiterInnen denken nicht ans Aufgeben: Noch immer verdienen LeiharbeiterInnen bei ACC in Jamul für eine Arbeit, für die Festangestellte 280 Franken im Monat erhalten, nur 100 Franken. Gemäss PCSS leisten zahlreiche LeiharbeiterInnen bei Holcim-ACC bis zu 250 Stunden unbezahlte Überstunden im Jahr, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und firmeninternen Schulen bleibt ihnen verwehrt.
Der Einstieg von Holcim bei ACC und Ambuja hat an der prekären Situation der LeiharbeiterInnen nicht viel geändert – im Gegenteil: Rajkumar Sahus Lage etwa wurde unter dem Dach des Schweizer Konzerns noch mieser. Acht willkürliche Anzeigen wurden ihm seit 2005 angehängt. Jede von ihnen bringt eine Menge Umtriebe und Lohnausfälle. Ganze Arbeitstage muss Sahu manchmal auf einem Polizeiposten verbringen, nur um eine Unterschrift unter irgendein Amtsformular zu setzen. Als er einmal Flugblätter der Gewerkschaft verteilte, trudelten am nächsten Tag gleich zwei Anzeigen bei ihm ein. Ausgestellt waren sie an zwei unterschiedlichen Orten, die zu weit voneinander entfernt lagen, als dass Rajkumar Sahu an beiden Orten überhaupt an ein und demselben Tag gegen das Gesetz hätte verstossen können.
Die Benachteiligung der LeiharbeiterInnen bei Holcim widerspricht den indischen Arbeitsgesetzen. Im Jahr 2000 delegierte die Regierung des Bundesstaats Chhattisgarh die Auseinandersetzung zwischen PCSS, ACC und Ambuja an ein Arbeitsgericht. Seit 2006 erhielt die PCSS von zwei Gerichten recht, beide Male zog der neue Eigentümer Holcim den Fall weiter. Nach vierzehn Jahren fehlt dem Fall zum Supreme Court in New Delhi noch eine Instanz. Bis sich das oberste Gericht in Indien der Sache annimmt, kann es trotzdem sehr lange dauern.
Sahu sass diese Woche zusammen mit seinen KollegInnen Lakhan Sahu und Shalini Gera in einem indischen Restaurant in Bern. Die PCSS-Delegation ist für ein Mediationsverfahren des OECD-Kontaktpunkts des Staatssekretariats für Wirtschaft mit Holcim in die Schweiz gereist. 2012 hatte PCSS wegen Verletzung der OECD-Leitsätze für multinationale Konzerne gegen Holcim geklagt. Für den November wird ein Abschluss der geheim gehaltenen Mediation erwartet. Zuversichtlich wirkt Sahu nicht. Auch wenn die PCSS mit der Klage durchkäme: Mehr als gute Vorsätze kann auch das Seco dem Holcim-Konzern nicht aufzwingen. Trotzdem sagt Rajkumar Sahu: «Wir machen weiter, nicht für uns, aber für diejenigen nach uns. Wir haben gar keine andere Wahl.»
Kastensystem statt Apartheid
Holcim möchte sich gegenüber der WOZ nicht zu den Vorwürfen der PCSS äussern, man stehe im konstruktiven, aber vertraulichen Dialog mit den relevanten Gewerkschaften. Sehr konstruktiv und vertraulich war Holcims Dialog auch einmal mit dem Apartheidregime in Südafrika gewesen. Damals hiess die Firma noch Holderbank, und die Apartheidversteher Max (Vater) und Thomas (Sohn) Schmidheiny waren ihre Chefs. Anders als die Apartheid in Südafrika ist das Kastensystem in Indien noch bestimmend. Die meisten LeiharbeiterInnen bei Holcim kommen aus den untersten Kasten. Entrechtete Menschen sind immer auch sehr preiswerte Arbeitskräfte. Wo es sie gibt, macht Holcim gerne Zement, seit über hundert Jahren.