Bankgeheimnis und Justiz: Ein vermeintlicher Verrat und ein Krümel Gras
Ein Banker wird verdächtigt, das Bankgeheimnis verletzt zu haben. Er wird entlassen, überwacht, verurteilt – bis sich herausstellt, dass er unschuldig ist. Jetzt kämpft er um seinen Ruf.
Nichts deutete im Vorfeld auf das Drama, das sich hinter der Ziffer AH140 016 -L verbarg: «Forderung/Zeugnisänderung» – unter diesem harmlosen Titel verhandelte das Arbeitsgericht Zürich diese Woche die fristlose Kündigung eines ehemaligen Mitarbeiters der Grossbank UBS. Doch hier geht es nicht um einen gewöhnlichen Arbeitskonflikt. Es geht um einen vermeintlichen Verrat, um Missbrauch und Missverständnis. Und am Ende geht es auch um einen Krümel Gras.
Tatsächlich, Guy Blanc* hätte sich denken können, dass es heikel war, was er machte. Er hatte sein halbes Leben für die Bank gearbeitet, er kannte die Regeln. Aber hin und wieder war die Arbeit zu viel, um sie während der Bürozeiten zu bewältigen, und es war einfacher, eine Präsentation oder eine Tabelle erst nach Feierabend zu studieren. Also schickte sich Guy Blanc hin und wieder ein Dokument vom Büro auf seine private E-Mail-Adresse. «Das war harmlos», sagt Blanc, «viele Leute machten das. Aber ich weiss heute: Das war ein Fehler.»
Kultur der Verunsicherung
Guy Blanc ist französisch-schweizerischer Doppelbürger, er wurde 1953 in Westafrika geboren. Anfang der achtziger Jahre kam Blanc in die Schweiz. Er heiratete, gründete eine Familie und machte eine Umschulung im EDV-Bereich. Danach arbeitete er im Mandatsverhältnis für verschiedene Firmen, kümmerte sich etwa um den Netzwerksupport der damaligen Bankgesellschaft (SBG), bis diese 1998 mit dem Bankverein zur UBS fusionierte. «Da kam die Anfrage, ob ich das nicht intern machen wollte.»
Vierzehn Jahre arbeitete der heute 61-jährige Blanc in verschiedenen Funktionen für die UBS, zuletzt im Private Banking. Hier stand Blanc häufig im direkten Kundenkontakt.
KMUs und grosse Konzerne benutzen gewisse Onlineapplikationen der Bank, um direkt auf ihre Konten und Depots zugreifen zu können. Blanc betreute diese KundInnen, schulte und unterstützte sie. «Mir gefiel die Arbeit, ich kam viel herum», sagt er. «In diesem Job konnte man alles machen – solange man nichts infrage stellte.»
Sich selber beschreibt Blanc als kritischen Menschen, der sagt, wenn ihm etwas nicht passt, der hinsieht, wenn er glaubt, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Vielleicht wurde er deshalb auch Mitarbeitervertreter der Bank, ein Mitglied der Personalkommission. «Wobei», sagt Blanc, «die Mitarbeitervertretung hatte eigentlich nur eine Alibifunktion.»
Die Kultur im Private Banking war streng hierarchisch. Mit der Finanzkrise kam die grosse Unsicherheit dazu. Die UBS strich Tausende Stellen. In diesem Klima war das Hinterfragen von Entscheiden nicht opportun. «Niemand redete mehr offen. Es herrschte eine regelrechte Kultur der Angst.» Paranoia machte sich breit. Die wenigen MitarbeiterInnen, die sich trotzdem vertrauensvoll an Blanc wandten, sprachen vor Furcht nicht direkt mit ihm, sondern nur über das Handy, wenn er alleine im Büro sass und sie sicher waren, dass niemand zufällig mithörte.
Auch Blanc kämpfte mit der schlechten Stimmung. Zwei Jahre, sagt er, sei das so gegangen: arbeiten und Klappe halten. Jeden Monat führte das Management zwar Compliance-Tests durch und prüfte, ob die Angestellten alle Regeln und Weisungen der Bank kannten. «Aber intern etwas zu melden, das schieflief, war schwierig.»
Ein folgenreicher Fehler
Dann erschien im Frühling 2012 im «Tages-Anzeiger» ein Artikel über fragwürdige Geschäfte der UBS. Blanc benachrichtigte die Vorgesetzten per Mail, dass die Publikation auch Probleme für seine Abteilung bergen könnte. Aber er erhielt keine Antwort, zumindest nicht schriftlich. Das sei üblich, sagt Blanc: «Beweismaterial.» Man sagte ihm schliesslich, er brauche sich nicht weiter darum zu kümmern. Doch Blanc misstraute der Sache. Und er beging den Fehler, der ihn im Alter von 59 Jahren, nach vierzehn Jahren UBS, seine Anstellung kostete: Er schickte sich Bankdaten, die diese Sache betrafen, auf seine private E-Mail-Adresse.
Ein paar Wochen später wartete jemand aus der Bank in seinem Büro auf ihn. Der Ton war eisig, die Fragen waren scharf. «Es war wie in einem Polizeiverhör.» Er fühlte sich unter Druck gesetzt, stritt nicht ab, die Daten an sich selbst geschickt zu haben, und sagte, dass er das schon oft so getan habe.
Ein Staatsanwalt und vier Polizisten holten ihn ab. Hausdurchsuchung. Eine Nacht im Kasernengefängnis. Fristlose Kündigung. Monatelanges Abhören seines Telefon- und E-Mail-Verkehrs. Blanc sagt, er sei auch beschattet worden. Er fühlte sich schikaniert, kämpfte gegen eine Depression.
Im November 2012 erhielt Blanc einen Strafbefehl der Zürcher Staatsanwaltschaft: Verletzung des Bankgeheimnisses. Die Bankdaten habe er sich in der Absicht zugeschickt, sie an die Medien weiterzuleiten. Ausserdem habe er seiner Frau vor Geschäftsreisen jeweils verraten, zu welchen Kunden er gehe. Blanc bestreitet die Verletzung des Bankgeheimnisses: «Klar habe ich meiner Frau gesagt, wohin ich fuhr, wenn ich ins Ausland ging. Das ist ja wohl normal. Aber doch nicht, zu welchen Kunden.»
Blanc rekurrierte. Er wollte das Urteil eines Richters, nicht eines Staatsanwalts. Nach drei Monaten wurde das Verfahren eingestellt. Blanc ist also unschuldig – bis auf einen überraschenden Punkt. Bei der Hausdurchsuchung hatten die Polizisten ein Gramm Gras gefunden. Wegen Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz musste er 300 Franken Busse zahlen.
Seit der Kündigung im Sommer 2012 ist Blanc arbeitslos und mittlerweile ausgesteuert. Am Mittwoch stand er vor Gericht – als Kläger. Er verlangte die Änderung des Arbeitszeugnisses und eine Lohnentschädigung (18 000 Franken) für die fristlose Kündigung, weil diese verspätet ausgesprochen und damit verwirkt sei.
Die UBS bestritt vor Gericht die Ausführungen Blancs. Ein Urteil wurde noch nicht gefällt.
*Name geändert