Der Fall Elmer: «Es ist noch nicht Endstation»

Nr. 34 –

Der ehemalige Bankangestellte Rudolf Elmer ist vom Vorwurf der Bankgeheimnisverletzung freigesprochen worden. Das Urteil ist ein Fiasko für die Zürcher Staatsanwaltschaft. Aber Elmer bezahlt einen hohen Preis für den Freispruch.

Am Ende kam am Dienstag dieser Woche doch noch ein wenig Unruhe auf, als Oberrichter Peter Marti sich nach der Urteilsverkündung ein paar persönliche Bemerkungen erlaubte, Rudolf Elmer aber zum wiederholten Mal innert Kürze den Saal in Richtung Toilette verliess. Elmer wollte gar nicht weiter hören, was Marti zu sagen hatte. Doch der unterbrach seinen Vortrag und wartete geduldig auf Elmers Rückkehr. Er liess es sich nicht nehmen, in aller Deutlichkeit auszuführen, was er vom Angeklagten hielt – nicht unbedingt von dessen Fall, dazu hatte er bereits drei Stunden lang rechtlich argumentiert, sondern von dessen Person und Persönlichkeit. «Sie sind kein Whistleblower», sagte Marti dem sechzigjährigen Mann, der im dunklen Anzug, mit Sonnenbrille und Panamahut erschienen war. Und damit es auch wirklich der Hinterletzte im Saal hören und notieren konnte, wiederholte er den Satz laut, langsam und deutlich: «Sie sind kein Whistleblower. Sie sind ein ganz gewöhnlicher Krimineller.»

Es war eine etwas trotzig nachgeschobene moralische Verurteilung, unmittelbar nachdem Richter Marti den ehemaligen Bankangestellten Elmer in den wesentlichen Punkten freigesprochen hatte. Zwar sah es das Gericht als erwiesen an, dass Elmer in den Jahren 2004 und 2005 verschiedene Steuerämter und Medien mit Bankdaten bedient, im Winter 2007/08 Daten an Wikileaks verschickt und auch im Januar 2011, kurz bevor er ein erstes Mal vor Gericht stand, Daten an Julian Assange übermittelt hatte; aber Elmer hatte sich bei all diesen Vorgängen nicht der Verletzung des Schweizer Bankgeheimnisses schuldig gemacht. Und zwar aus einem sehr einleuchtenden Grund: Er war zum fraglichen Zeitpunkt nicht Angestellter einer Schweizer Bank.

Dass Oberrichter Marti trotzdem nicht auf das Nachtreten verzichten wollte, verweist deutlich auf das epische Fiasko dieses seit nunmehr über zehn Jahre andauernden Strafverfahrens gegen den Finanzplatzabtrünnigen Rudolf Elmer: Man kann ihm rechtlich wenig anhängen, also geht man ihn rhetorisch umso härter an.

Aufstieg zur Nummer zwei

Der Fall von Rudolf Elmer begann in der Karibik, wo der gelernte Zürcher Buchhalter zur Nummer zwei eines Ablegers der Privatbank Julius Bär aufstieg. Um die Jahrtausendwende überwarf er sich mit der Bank und wurde entlassen. Elmer bedrohte in der Folge Bankmanager, die Bank hetzte ihm und seiner Familie Privatdetektive auf den Hals. Elmer verriet die Kunden der Bank an Steuerämter, Medien und Wikileaks. Es war eine jahrelange Auseinandersetzung, die nun vor dem Obergericht ein vorläufiges Ende fand. Vorläufig. Denn sowohl Elmer wie auch die Staatsanwaltschaft überlegen sich, das Urteil an das Bundesgericht weiterzuziehen.

Ende Juni war der Fall Elmer vor der zweiten Instanz gelandet. Zwei Tage dauerte die Verhandlung, bei der zwei Verfahren aus den Jahren 2005 und 2011 zusammengelegt worden waren. Im Hauptpunkt warf die Zürcher Staatsanwaltschaft Elmer Verrat am Finanzplatz vor, die Verletzung des Schweizer Bankgeheimnisses. In den Nebenpunkten ging es um üble Todesdrohungen Elmers an das Management der Bank Julius Bär sowie eine verhältnismässig harmlose Urkundenfälschung (Elmer hatte einen Brief im Namen der Bank Julius Bär an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel aufgesetzt und sie der Steuerhinterziehung bezichtigt).

Verurteilt wurde Elmer nun bloss in den Nebenpunkten. Und auch wenn Staatsanwalt Peter Giger das Urteil im Nachhinein schönzureden versuchte und von «hauchdünnen» Differenzen mit dem Gericht sprach: Die Freisprüche im Hauptpunkt der Bankgeheimnisverletzung bedeuten eine herbe Niederlage für die Zürcher Strafverfolger.

Scharfe Strafe

Im Kern ging es im Fall Elmer um zwei einfache Fragen: Hatte Elmer Daten einer Schweizer Bank offenbart? Und unterstand Elmer überhaupt dem Schweizer Bankgeheimnis? Das Obergericht kam nun zum Schluss, dass zumindest ein kleiner Teil der verschickten Daten einen Bezug zur Schweiz aufwies. Aber es folgte eben auch der Argumentation der Verteidigerin Ganden Tethong, dass Elmer zur fraglichen Zeit nicht dem Schweizer Bankgeheimnis unterstand, weil der für Elmer relevante Arbeitsvertrag mit der Julius Baer Bank and Trust Company mit Sitz auf den Cayman Islands abgeschlossen worden war und nicht mit der Schwestergesellschaft in Zürich, die dem Schweizer Bankgeheimnis unterstand. Den entscheidenden Beleg dafür lieferte ausgerechnet die Bank selber: Sie hielt in einem 2009 eingestellten Nebenverfahren schriftlich fest, dass Elmer gerade nicht Angestellter der Schweizer Bank sei, sondern caymanischem Recht unterstehe.

So erfreulich der Freispruch vom Vorwurf der Bankgeheimnisverletzung für Elmer klingt: Das Obergericht sprach ihn in den Nebenpunkten wegen Drohung und Urkundenfälschung schuldig. Die Strafe dafür fiel scharf aus: vierzehn Monate Freiheitsstrafe bedingt. Noch schwerer wiegt jedoch, dass Elmer – trotz Freisprüchen – einen Grossteil der Verfahrenskosten von 350 000 Franken übernehmen muss. Gut möglich, dass der Fall also vor dem Bundesgericht landet. Wie sagte Elmer doch ein paar Stunden vor der Urteilsverkündung? «Es ist noch nicht Endstation.»

Von Carlos Hanimann ist kürzlich erschienen: «Elmer schert aus. Ein wahrer Krimi zum Bankgeheimnis», Echtzeit Verlag, Basel 2016, 144 Seiten, 29 Franken (das Buch ist auch im WOZ-Shop erhältlich).