Herta Müller: Der Perfidie der Diktatur mit Sprache getrotzt

Nr. 47 –

Das neue Buch der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller ist eine fesselnde Gesprächserzählung von ihrem Leben im Ceausescu-Rumänien.

Leicht hätten wir die lediglich als «Gespräch» angekündigte Neuerscheinung mit dem poetischen Titel «Mein Vaterland war ein Apfelkern» links liegen gelassen, obwohl wir seit Herta Müllers Meisterwerk «Atemschaukel» im Jahr 2009 – als ihr der Literaturnobelpreis verliehen wurde – sehnsüchtig auf einen weiteren Roman dieser Autorin warten. Ihr neues Buch zählt jedoch zu den eindringlichsten Texten dieses Herbsts.

In langen Gesprächen mit der klug und diskret fragenden Lektorin Angelika Klammer erzählt Herta Müller darin persönlich präzis, politisch unerbittlich und literarisch leuchtend ihr Leben: zunächst aus den 34 Jahren in Rumänien, die sie bis zur Ausreise in die BRD 1987 als Angehörige der deutschen Minderheit im dumpfen Bauerndorf und später in der Stadt Temeswar/Timisoara verbracht und erlitten hat.

Die rettende Funktion der Literatur

Erlitten unter einem Nazi- und Alkoholikervater und einer von fünf Lagerjahren in Stalins Gulag gebrochenen und unterwürfigen Mutter, die das neugierige Kind nur mit Prügeln erzog. Erlitten sodann unter dem Regime des Diktators Nicolae Ceausescu und seinem Geheimdienst, der Securitate. Wie sein scheussliches Wirken die Menschen dort im Alltag gequält und verroht hat, wie ein Terrorregime funktioniert, dies erfährt man anschaulich und authentisch in Herta Müllers autobiografischer Erzählung.

Herta Müller selbst wurde nach ihrer Ausreise auch in Berlin verfolgt und infam (als Spitzel) verleumdet. Davon und von der bleibenden Angst und Beschädigung spricht die Autorin im zweiten Teil des Buchs; aber auch von der rettenden Funktion der Literatur sowie von der Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Freund Oskar Pastior für «Atemschaukel» und von dessen posthum enthüllter Geheimdienstmitarbeit.

In den Bann schlagen einen gleich schon die Passagen aus der Kindheit: vom Mädchen, das stets arbeiten, alleine Kühe hüten muss, dabei Hunger hat, mit den Pflanzen spricht und sie auch isst; von der Schule dann mit ihren Schlägen, ihrem kruden Uniformierungszwang; und von der Religion, die «nie ein Trost war, immer nur gedroht und Schuld verteilt» hatte; schliesslich vom einsamen Leben in der Stadt, wo sie als Kindergärtnerin verachtet wird, weil sie die Prügelpädagogik nicht mitmachen will und bald vom Geheimdienst schikaniert wird. Beklemmend die Schilderung ihrer Zeit als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik: Weil sie sich weigert, für die Securitate zu arbeiten, wird ihr der Büroplatz weggenommen, und so setzt sie sich zur Arbeit tagtäglich auf eine mit ihrem Taschentuch belegte Betontreppe, ihr «Taschentuchbüro». Der Geheimdienst selbst streut dann das Gerücht, sie sei ein Spitzel: «Man warf mir genau das vor, was ich verweigert hatte. Und dafür hatte man in der Fabrik die Spitzel aktiviert. Weil ich es nicht werden wollte, machten sie mich zu dem, was sie selber waren.»

«Es war ein Worthunger»

Aus Angst und Ausweglosigkeit beginnt Herta Müller zu schreiben und findet dabei etwas Halt: «Dass gerade das Ungewisse beim Schreiben Wahrheit erzwingt, die der Realität entspricht, weil sie nicht bei ihr stehenbleibt, weil sie darüber hinausgeht – das gab mir Halt. In der Angst Wörter schreiben, das war vielleicht wie Pflanzen essen, es war ein Worthunger.»

Es entstehen die düsteren Dorfgeschichten des Erstlingsbands «Niederungen»; er kann nur mit erheblichen Eingriffen erscheinen, findet in Deutschland 1984 freilich sofort grosse Resonanz. «Die Texte handelten von diesem fingerhutkleinen Dorf am Rand der Welt. Und Rumänien mit einer irren Diktatur und der finsteren Armut war als Ganzes am Rand der Welt. Ich brauchte jeden Tag dringend die Schönheit der Sätze, aber ich schrieb, um einen Halt zu finden gegen das Elend des Lebens und nicht weil ich Literatur machen wollte.»

So ereignet sich eben das Wunder der Literatur, wenn die richtigen Worte gefunden und wahrhaftig gefügt werden, dass Geschichten vom Rand der Welt in aller Welt die Menschen mitten ins Herz treffen. Müllers Erfolg verdankt sich wesentlich der genuinen Kraft ihrer Sprache, die stark auch Redewendungen, Sprichwörter, die Poesie des Alltags produktiv nutzt, auch jene aus dem später erlernten Rumänischen. Etwa auch für die Titelzeile: Auf dem Weg zu den Securitate-Verhören probierte Müller Reime aus, um den Kopf freizubekommen, Reime wie «Mein Vaterland ist ein Apfelkern, man irrt umher zwischen Sichel und Stern». Das Literarische, unterstreicht die Autorin, ist nichts Einzigartiges, sondern kommt auf Schritt und Tritt vor: «Jede Sprache ist voller Metaphern. Wie kommt es sonst zu Wortbildungen wie Augapfel oder Landzunge oder mutterseelenallein. Das Poetische haben doch nicht die Schriftsteller erfunden.»

Neben solch poetologischer Reflexion beeindrucken Herta Müllers analytische Schärfe bei der Vergegenwärtigung der brutalen Unterdrückung vor 1989 und ihre unbestechliche Anklage der vertuschten Verbrechen sowohl der faschistischen Diktatur unter Ion Antonescu vor 1945 als auch der kommunistischen unter Ceausescu.

Herta Müller: Mein Vaterland war 
ein Apfelkern. München 2014. Hanser. 240 Seiten. Fr. 27.90