Literatur: «Niemals ausruhen. Immer neugierig und beweglich bleiben»

Nr. 23 –

Liliane Studer hat die Schweizer Verlagswelt geprägt. Nun verabschiedet sie sich aus der Branche – und erzählt von Schwierigkeiten und Glücksgefühlen beim Büchermachen.

Liliane Studer im Kinderzimmer, in dem sich einst ihr Frauenverlag befand: «Was führt Menschen dazu, 300 Seiten aufs Papier zu bringen?»

«Aus einem guten Text gemeinsam mit dem Autor oder der Autorin das Maximum herausholen – wenn du das schaffst, das ist der Wahnsinn», sagt Liliane Studer. Das Wichtigste für sie sei, ein gutes Vertrauensverhältnis zu schaffen: «Ein Text ist ja etwas ganz Privates, das mir die Autorinnen anvertrauen. Da muss man eine gute Ebene finden, auf der man arbeiten kann.»

Liliane Studer hat die Entstehung vieler Bücher von der Idee bis zum fertigen Buch erlebt, AutorInnen über Jahre begleitet und war auch als freie Lektorin und Projektberaterin tätig. Über dreissig Jahre hat die Bernerin in der Buchbranche gearbeitet und dabei die Schweizer Verlagswelt nachhaltig geprägt: von 1995 bis 2000 als Leiterin des Frauenbuchverlags eFeF, 2003 bis Ende 2010 als Koverlegerin beim Limmat-Verlag, wo sie für die Bereiche Lektorat, Presse und Messen zuständig war, und von 2011 bis diesen Frühling als Lektorin sowie als Verantwortliche für die Schweizer Presse beim Dörlemann-Verlag, der soeben mit dem Förderpreis von Pro Litteris ausgezeichnet wurde. Im April gab die 64-Jährige bekannt, dass sie ihr Pult beim Dörlemann-Verlag räume.

Vom Frauenhaus zum Frauenverlag

Nun sitzt Liliane Studer am Stubentisch in meiner Wohnung in Bern, die vor Jahren zufälligerweise mal die ihre war und in der sie 1995 ihren ersten Verlag untergebracht hatte – als Sparmassnahme: «Es ist wie immer in der Verlagswelt: Wir überlegten, wie wir sparen könnten, und zügelten dann den eFeF-Verlag einfach in meine Wohnung.» Sie lacht. Die Worte sprudeln nur so aus der zierlichen Frau heraus. «Im Verlagswesen darf man sich nie auf seinem Erfolg ausruhen, sondern muss immer neugierig und beweglich bleiben», sagt sie. Und wie sie gestikuliert, auch als sie für den Fotografen still stehen sollte, und mit Begeisterung von ihrer Arbeit erzählt, kann man sich nicht vorstellen, dass Studer überhaupt jemals ausruht.

Liliane Studer hatte 1995 mit wenig Erfahrung den Frauenbuchverlag übernommen und ihn zu einem renommierten, jedoch finanziell nicht lukrativen Verlag gemacht. «Es gibt drei Konstanten in der Buchbranche: viel Arbeit, wenig Lohn und die Unmöglichkeit, ein Budget zu machen. Denn die Einnahmen, die man mit den Büchern macht, sind kaum kalkulierbar.» Als Studer das sagt, klingt sie keineswegs frustriert. Denn auch nach dreissig Jahren im Verlagswesen ist sie noch voller Freude für diese Arbeit, die all die Komponenten vereint, die sie mag und die ihr liegen: organisieren und planen, sich vernetzen und sich sozialpolitisch engagieren – und natürlich die Arbeit an den Texten.

Schon als Kind war Studer eine Leseratte: «Wir waren vier Schwestern, und wenn wir jeweils mit dem Auto in die Ferien fuhren, durfte jede von uns nur zehn Bücher mitnehmen. Nicht mehr!» Deshalb packte Liliane Studer meist möglichst dicke Bücher ein – doch auch diese reichten häufig nicht.

Trotz ihrer Liebe zum Lesen machte Liliane Studer nach dem Gymnasium eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und baute 1980 das Frauenhaus in Bern mit auf. «Die ganze Vernetzungsarbeit, das Entwickeln von Projekten – diese Arbeit hat mir sehr gefallen», sagt sie.

Die praktische Tätigkeit als Sozialarbeiterin im Haus selber entsprach ihr jedoch nicht. Nach zwei Jahren zog sie einen Schlussstrich und schrieb sich mit 32 Jahren für ein Germanistikstudium an der Uni Bern ein. Es waren die achtziger Jahre, die Uni bot viel Freiraum für die Studierenden. Studer organisierte Seminare und Podien mit Luise Pusch, Sigrid Weigel oder Niklaus Meienberg – «der sass auch mal hier in der Stube und soff uns den ganzen Schnaps weg!» Neben dem Studium hat sie stets gearbeitet: in der Anwaltskanzlei der späteren Berner SP-Gemeinderätin und Nationalrätin Gret Haller, beim «Bund» als freie Literaturkritikerin oder für die WOZ als freie Mitarbeiterin der Literaturredaktion.

Netze statt Konkurrenz

«Liliane Studer hätte schon lange einen Preis verdient für ihren selbstlosen Einsatz für die Literatur», sagt Matthias Burki vom Verlag Der gesunde Menschenversand. Burki war Vizepräsident von Swips (Swiss Independent Publishers), einem Zusammenschluss von rund zwanzig unabhängigen Deutschschweizer Verlagen, als Studer den Verband von 2009 bis 2011 präsidierte, und hat eng mit ihr zusammengearbeitet. «Sie ist unglaublich engagiert, und alles, was sie macht, macht sie mit Herzblut und mit hundertprozentiger Begeisterung. Ihre Arbeit war für sie stets ein Kümmern um die Literatur sowie auch um die Menschen, die dazugehören.» Er habe viel von ihrem Wissen profitiert und habe sie auch stets in verlegerischen Angelegenheiten um Rat fragen können.

Konkurrenzdenken liegt Liliane Studer völlig fern: Wer einen Verlag gründen wolle, müsse in erster Linie ein Netz schaffen und Kontakte nutzen. Weitere Voraussetzungen seien Hartnäckigkeit, Neugier, Geld sowie eine Strategie, wie man sich positionieren und auf dem hart umkämpften Büchermarkt hervorheben wolle. Die Menge der neu erscheinenden Bücher hat sich in den Jahren, in denen Studer in der Buchbranche gearbeitet hat, vervielfacht. Ausserdem ist das Geschäft schnelllebiger geworden. Verkaufen sich Neuerscheinungen in den Buchhandlungen nicht innert kürzester Zeit, werden diese an die Verlage zurückgeschickt.

Indirekt ist auch Liliane Studers Pensionierung eine Sparmassnahme: Ihre Stelle beim Dörlemann-Verlag wird nicht neu besetzt. Zwar hat der Zürcher Verlag 2013 mit Alice Munro den Literaturnobelpreis und mit Jens Steiner den Schweizer Literaturpreis gewonnen, doch 2014 war – wie für den gesamten Schweizer Buchmarkt, der gegenüber dem Vorjahr mit einem Umsatzminus von 4,9 Prozent abschloss – für den Dörlemann-Verlag ein schwieriges Jahr.

«Natürlich bin ich auch traurig, dass ich diese Autorinnen und Autoren nun zurücklassen muss», sagt Studer. Ein Highlight in den vergangenen Jahren war die Arbeit mit der Autorin Hanna Johansen, deren Buch «Der Herbst, in dem ich Klavier spielen lernte» letztes Jahr im Dörlemann-Verlag erschienen ist. Es sei ein Privileg, mit Menschen wie Johansen arbeiten zu dürfen.

Das Geheimnis bleibt

Die Arbeit mit AutorInnen an ihren Texten – Studers eigentliche Kernkompetenz – wird sie nicht völlig aufgeben, sie wird auch weiterhin als freie Lektorin tätig sein. Zu sehr liebt sie die Arbeit am Text. Sie liest ein Manuskript, versucht, seine Eigenheiten zu erfassen, die Sprache, die Geschichte, die erzählt wird, spürt nach, wo etwas nicht stimmt, wo eine Streichung eine Verdichtung bringt. Die Notizen macht sie mit Bleistift, sie sind als Vorschläge gedacht, Möglichkeiten. «Wenn ich im Gespräch mit einer Autorin eine gemeinsame Sprache finde, wenn ich merke, dass meine Überlegungen beim Autor etwas in Bewegung setzen, überkommt mich ein Glücksgefühl.»

Dieses Vertrauen sei ein Geschenk. Und sie wünscht sich, dass sie ihre Neugier auf Texte, die im Entstehen sind, bewahren kann. Dahinter, so sagt sie, stehe ein faszinierendes Geheimnis, hinter das man zum Glück nie kommen werde. Nämlich: «Was führt Menschen dazu, so viel Zeit aufzuwenden, um 300 Seiten aufs Papier zu bringen? Das ist ein Wahnsinnskrampf, aber eben auch ein unbeschreiblicher Reichtum.»