Helena Winkelman: Nicht in engen Boxen denken

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Die Komponistin und Geigerin Helena Winkelman überschreitet gern musikalische Grenzen. Nun geht sie wieder mit der Camerata variabile auf Tournee. Und in Basel ist bald ihre Adolf-Wölfli-Oper zu erleben.

Es ist eng in dieser Welt, und die Musik bedrängt den Protagonisten von zwei Seiten: heimische Volksmusikklänge auf der einen, harter Avantgarderock auf der anderen. Das Musiktheater «Das Allmachtsrohr», Anfang Oktober in Bern zum 150. Geburtstag Adolf Wölflis uraufgeführt und ab 20. Januar im Basler Gare du Nord zu sehen, führt in neunzig Minuten den Kosmos dieser aussergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeit vor – die psychischen Zwänge ebenso wie die kreativen Höhenflüge. Die Regisseurin Meret Matter und die Komponistin Helena Winkelman haben basierend auf dessen Epos «Von der Wiege bis zum Graab» die musiktheatralische Biografie Wölflis entworfen. Im Ensemble spielen neben der Komponistin an der E-Geige und der Klarinettistin Karin Dornbusch das Zürcher Avantcore-Trio Steamboat Switzerland – benannt nach dem «Dampfer Swizerland» aus Wölflis Epos.

Immer offen für Neues

Für Helena Winkelman war das Komponieren für eine solche Besetzung eine völlig neue Erfahrung. «Es hat mich stilistisch an Orte geführt, an denen ich noch nie gewesen bin», sagt sie. Die in Schaffhausen aufgewachsene Musikerin bewegt sich nicht nur innerhalb der Neuen Musik. Ursprünglich auf der Violine ausgebildet, hat sie bei Roland Moser und Georg Friedrich Haas in Basel Komposition studiert, aber auch indische Musik bei Ken Zuckerman. Sie spielte im Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado mit, war Gast in Noldi Alders Klangcombi und gründete 2003 eine Rockgruppe mit Streichern, Klavier und Perkussion.

«Ich versuche, mir eine grosse stilistische Flexibilität zu bewahren und immer wieder Volksmusik in meine Kompositionen zu integrieren», sagt Winkelman. «Überhaupt setze ich mich gerne mit verschiedenen Musiksprachen auseinander und habe 2010 einen Monat in Varanasi in Indien verbracht, um dort den ältesten Gesangsstil, den Dhrupadgesang, kennenzulernen. Auch diese Auseinandersetzung hat meine musikalische Sprache erweitert.» Stilistische Grenzen kümmern sie dabei wenig; die Einflüsse kommen von verschiedenen Seiten. Tibetanische oder koreanische Instrumente sind ebenso wichtig wie skandinavische oder helvetische Elemente. Winkelman sucht vielmehr das Authentische: Musik, die wie ihre eigene «fast durchwegs spirituell motiviert ist – was bei vielen Kulturschaffenden im Westen in einer Zeit des Materialismus und der Wissenschaftlichkeit nur noch wenig zutrifft».

2013 zum Beispiel stellte Winkelman beim Festival Alpentöne in Altdorf das grosse Projekt «Zauber- und Bannsprüche aus alter Zeit» vor – gemeinsam mit dem lettischen Vokalensemble Putni. Die Begegnung mit diesen Frauen war für sie nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich bereichernd: «Die Sängerinnen arbeiten dort alle unglaublich hart, weil man so wenig verdient. Jede Ressource ist nötig, um sich über Wasser zu halten. Ich habe dort viel Kraft, Verhandlungsgeschick und Klarheit erlebt. Eine weitere grosse Qualität ist ihr starker Zusammenhalt sowie eine alte Folklore, an der alle teilhaben – alles Eigenschaften, die in der unwirtlichen Umgebung der Berge auch notwendig sind.»

Die Saison der Liebeskunst

Mit von der Partie war damals auch die Camerata variabile aus Basel, die seit zwanzig Jahren besteht. Seit vier Jahren leitet Winkelman das Ensemble, das, wie sein Name nahelegt, in Besetzung und Repertoire äusserst flexibel ist. Dadurch entstehen vielfältige Programme, Solos stehen neben Nonetten, Altes erklingt zwischen Neuem. Auch da möchte Helena Winkelman nicht «in engen Boxen denken».

Jede Camerata-Saison steht unter einem Thema, heuer ist das «Ars amatoria – Liebeskunst». Die Musik soll helfen, Gedanken und Gefühle, die uns beschäftigen, auf einer anderen Ebene zu vertiefen. Und dafür hat das Ensemble eigens Werke in Auftrag gegeben. So ist in den Januarkonzerten ein neues Stück des Bratschisten Garth Knox zu hören und im Februar eines der jungen russischen Komponistin Marina Khorkova. Beide verbinden sich dabei im Programm auf ganz selbstverständliche und inspirierende Weise mit den KlassikerInnen Schubert, Clara und Robert Schumann oder Brahms.

www.helenawinkelman.ch
www.garedunord.ch