Sharing Economy: Power to the Peers!

Nr. 3 –

Mitten im Prozess der Digitalisierung sämtlicher Arbeits- und Lebensbereiche formiert sich eine neue Bewegung: Mit ihrer Ökonomie des Teilens will sie den Kapitalismus überwinden. Doch Vorsicht ist geboten.

Teilen und tauschen soll die Welt retten. Aber vom Teilen der Gewinne ist nicht die Rede.

Je mehr wir unsere Arbeit – über das Internet – mit Algorithmen teilen, desto unabwendbarer überformen sie die herkömmliche Arbeit. Nichts demonstriert das deutlicher als die Online-Autovermittlungsplattform Uber. Sie basiert im Wesentlichen auf einer Smartphone-App, die die Transportmöglichkeiten organisiert. Dank dieser Plattform können alle zu TaxifahrerInnen werden. Das klingt auf Anhieb sehr sympathisch: Man hilft einander, teilt das Auto. Uber gehört – neben dem Zimmervermieter Airbnb und dem Jobvermittler Task Rabbit – zu den Vorzeigebeispielen der neuen sogenannten Sharing Economy.

Der digitale Arbeitskollege des Menschen übernimmt immer mehr Jobs, und diese Umverteilung pflügt die Arbeitslandschaft tief um. Die Verteilungskämpfe werden rüder, die Arbeitsbedingungen passen sich den Maschinen an. «Wir sind zum Funktionsende der App geworden», sagte ein Uber-Fahrer mit Durchblick. «Kasualisierung der Arbeitskraft» – so nennt sich das Losbinden der Arbeitskraft von der Festanstellung: keine Angestellten mehr, nur noch Mikro-EntrepreneurInnen.

ApologetInnen der Sharing Economy, wie etwa der Journalist Jeff Howe oder der Ökonom Jeremy Rifkin, jubeln diese bereits zur Überwindung des Kapitalismus hoch: Statt produziert und konsumiert wird geteilt und getauscht. Statt Unternehmer-Egoismus nun Unternehmer-Kommunitarismus. Aber diese Philosophie der Befreiung macht die Rechnung ohne den kapitalistischen Wirt.

Teilen als Kult

«Sharing is caring» – Teilen bedeutet, sich um andere zu kümmern. So lautet eines der drei Mottos des Konzerns Circle in Dave Eggers’ gleichnamigem Roman. In ihm wird beschrieben, wie das gemeinsame Nutzen («sharing») von persönlichen Informationen zur totalen Transparenz – will heissen: Selbstunterdrückung – pervertiert, der Slogan also einen orwellschen Bedeutungsumschlag ins Gegenteil erfährt. Nicht, dass man der Sharing Economy in toto solche Absichten unterstellen möchte. Teilen kann durchaus auch als eine ökonomische Transaktion betrachtet werden. Aber man sollte dabei nicht eine dem Teilen innewohnende Dialektik ausser Acht lassen. Teilen hat einen hohen ethischen Stellenwert, weil es Tugenden wie Uneigennutz verkörpert. Teilen führt zu Gemeinschaftsbildung, zur Teilnahme und Teilhabe an gemeinsamen Erfahrungen und Gütern.

Die Sharing Economy indes besitzt ihre eigene Vorstellung vom Teilen. Das Wort «Gemeinschaft» («community») taucht so oft auf, dass sich unweigerlich der Eindruck einstellt, es übe eine rituelle Funktion aus. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich einen Propagandisten der Sharing Economy, Douglas Atkin, etwas genauer vorknöpft. Aus der Werbebranche stammend, nunmehr Community Manager bei Airbnb, holt er seine Inspiration aus der religiösen Gruppendynamik. 2004 schrieb er ein Buch mit dem Titel «The Culting of Brands», in dem er Kultmarken wie Apple, Saturn (Elektronikfachmarkt), Harley-Davidson oder Jet Blue (Billigfluggesellschaft) mit religiösen Kulten wie der Vereinigungskirche oder Hare Krishna vergleicht. Der Untertitel sagt alles: «Mach aus deinen Kunden wahre Gläubige». Ziel ist es zu verstehen, wie Kulte ihre Mitglieder binden, um daraus taktische Lehren für das Marketing zu ziehen.

Atkins Buch ist ein Schlüssel zum Verständnis der Sharing Economy. Dies umso mehr, als Atkin in die Rolle einer Art von Mastermind der Bewegung geschlüpft ist. Sein «Credo» lautet: Es kommt nicht auf Glaubensinhalte an, sondern auf den «sozialen Kitt» («social glue»). Die meisten religiösen Gruppierungen würden, so Atkin, neue Mitglieder nicht über den «content», also den Inhalt, rekrutieren, sondern ganz einfach über zwischenmenschliche Kontakte.

Atkin empfiehlt die Strategie der Mormonen: Vertiefte zwischenmenschliche Beziehung intensiviert die Hingabe an den Kult. Das Zusammenrücken in einem Glauben dient als Muster für das Zusammenrücken unter einer Marke. Nach dieser Logik verschiebt sich das Marketing vom Produkt hin zum Bedürfnis nach Gemeinschaft. Die Marke ist ein Symbol, ein Kultobjekt des Zusammenhalts.

Man vergegenwärtige sich nur etwa, wie der Verkauf der neusten Versionen von iProdukten geradezu als Liturgie zelebriert wird. Marken sind Konfessionen. Mit dem iPhone bekennt man sich zur Apple-Kirche; mit dem Bike zur Harley-Davidson-Brüdergemeinde; mit dem «etwas anders riechenden» Parfüm zur Lady-Gaga-Sekte. Man kauft mit der Marke Gemeinschaftsgefühl, Identität, Lebenssinn. Das, was früher die Religion vermittelte.

Genau in diesem Geist des Kults operiert neuerdings die Kleidermarke Brandy Melville. Das heisst, sie wirbt eigentlich gar nicht im herkömmlichen Sinn von Werbespots, Inseraten und Slogans. Basis ist auch hier eine App, nämlich Instagram. Teenies präsentieren sich auf der Foto- und Videoplattform in Textilien von Brandy Melville. Die Mädchen sind keine bezahlten Models, sondern betreiben das Fotoshooting «zum Spass» und stellen ihr Posieren dem Unternehmen zur Verfügung.

Entscheidend ist auch hier das Kriterium der Zugehörigkeit: «Ich bin ein Brandy-Girl.» Die Marke steht für eine Körperbau-Community – «one size fits all». Der Slogan stanzt aus dem Pool junger Frauen jene mit der «geeigneten» Physis heraus: die gertenschlanken, bleichhäutigen, flachbrüstigen. «Die Marke erzeugt grosses Engagement unter ihren Followern», sagt ein Marketingexperte.

Gemeinschaft – aus der Not geboren

Kultmarken sprechen eines unserer fundamentalsten Bedürfnisse an, jenes nach Zugehörigkeit. Deshalb ist nach Atkins Logik der Kult das Kolumbus-Ei der Werbung in der Sharing Economy: «Community Marketing ist das nächste grosse Ding. Die smartesten Werber haben begriffen, dass Gemeinschaften um Marken herum gebildet werden können.» Und wie Atkin kürzlich bei einer Zusammenkunft potenzieller GeldgeberInnen sagte: «Wann immer ich ein Lyft- oder Sidecar-Taxi nehme, frage ich die Fahrer: ‹Warum tut ihr das?› Und die erste Antwort ist: ‹Um neuen und interessanten Menschen zu begegnen.› Erst dann: ‹Um meine Zeit flexibel auszunutzen und etwas Extrageld zu verdienen.› Sie interessieren sich als Erstes für die Gemeinschaftserfahrung.»

Das Gemeinschaftserlebnis wichtiger als Geldverdienen? – Ein Schuft, der Böses denkt dabei. Atkin unterschlägt natürlich, dass Menschen, die der Markt in die freie Wildbahn der «kasualisierten» Arbeit geworfen hat, oft gar keine andere Wahl haben, als in die «Gemeinschaft» von Uber, Task Rabbit oder Airbnb einzutreten; Menschen, die ihre Stelle verloren haben, auf Gelegenheitsjobs angewiesen sind und für ein bisschen Kleingeld Auto, Bett oder Nasszelle anbieten. Das gibts – auf einem Portal namens Airpnp, wobei «pnp» für «pee and poo» steht.

Dieser Markt scheint vor allem in den USA zu boomen. Aber die MikrojobberInnen haben in der Regel keine Sicherheiten, keinen Überblick über ihr Produkt oder ihren Service, der Kontakt zu anderen Arbeitenden fehlt, es besteht kaum die Möglichkeit einer gewerkschaftlichen Organisation. Man kann durchaus nachvollziehen, dass solche Menschen ein Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit entwickeln, nach einer Gemeinschaft mit jenen, die ein ähnliches Schicksal erleiden. Die Energie der sozialen Bindung ist hoch. Und entsprechend hoch die Verlockung, sie auszubeuten.

Kürzlich wurde in den USA eine Bewegung von Sharing-Unternehmen ins Leben gerufen mit dem schönen Namen Peers: Gleichgestellte, Ebenbürtige. Atkin gehört zu ihren GründerInnen. Die Geschäftsführerin Natalie Foster tönt schon fast wie eine Rosa Luxemburg des digitalen Zeitalters: «Wir reden hier nicht nur über Leute, die ihre Fähigkeiten, ihre Wohnungen oder Autos teilen, sondern ihre kollektive Macht, die Sharing Economy gemeinsam zu erweitern und so gegen verwurzelte Interessen anzukämpfen, die sie auf unfaire Weise behindern. Also ‹die Macht des Volkes› oder ‹die Macht der Peers›.»

Natalie Fosters Revolutionspathos verschweigt die Macht des Risikokapitals und seiner «verwurzelten Interessen» im Hintergrund. Die meisten grossen Akteure in der Sharing Economy haben nichts am Hut mit Teilen, vor allem nicht mit Teilen von Gewinnen. Aus dem Pool der Gleichen steigen Gleichere auf.

Airbnb hat sich etabliert: Seit der Gründung 2008 ist die Zahl der GastgeberInnen auf eine halbe Million in fast 200 Ländern gewachsen, die Plattform bezieht Investitionsgelder in dreistelliger Millionenhöhe (auch der chinesische IT-Riese Baidu soll inzwischen in den Reigen der Investoren eingestiegen sein). Die Marktkapitalisierung des Unternehmens wird auf Milliardenhöhe geschätzt – eine Tellerwäscherstory des 21. Jahrhunderts. Aber die Konkurrenz wächst rapide. Der netzübliche Kampf der Plattformen um die NutzerInnenzahlen hat begonnen. Bleibe der Uneigennutz, wo er will.

Die Kehrseite des Kapitalismus

«Sharing is caring» – das klingt sehr nach mitfühlendem Kapitalismus. Es ist schön, einander die Wäsche zu waschen, den Wagen auszuleihen, die Kinder zu hüten oder den Hund Gassi zu führen. «Nachbarn helfen Nachbarn», wie Task Rabbit so herzerweichend formuliert. In diesem neuen Geist kann Task Rabbit zudem verkünden, sich von einer fremden Person für eine – wahrscheinlich – untertarifliche Abgeltung die Wäsche waschen zu lassen, sei ein nachbarlicher Akt der Nächstenliebe.

Das ist Newspeak in Reinkultur. Das Teilen definiert den Kapitalismus nicht neu, sondern der Kapitalismus das Teilen. Und das kommt nicht zuletzt jenen konservativen Interessen wirtschaftsliberaler Kreise durchaus gelegen, die mit möglichst aller staatlichen Regulierung – Tarifen, Kontrollen, Steuern – aufräumen möchten.

Start-ups, InvestorInnen, Marketingleute und andere Auguren pfeifen von den Dächern, dass die Sharing Economy uns von den Gebresten des alten Kapitalismus heilen würde. «Als Peers bauen wir eine Ökonomie mit Menschlichkeit im Zentrum und Gemeinschaftlichkeit im Kern», tönt es aus dem Off eines Promotionsvideos der Bewegung «peers.org» auf Youtube.

Mit Atkins Brandingphilosophie im Ohr sollten wir allerdings hellhörig gegenüber solchen kommunitaristischen Flötentönen bleiben. Auch die Kehrseite des Kapitalismus – plakatiere man ihn nun auch als mitfühlend – ist der gleiche Kapitalismus, einfach von hinten.