«Müller contre Suisse»: Der «Phall Fribourg» und seine (Nicht-)Folgen

Nr. 23 –

Es brauchte den Fall eines Künstlers, dessen Bilder 1981 in einer Ausstellung in Fribourg wegen «Blasphemie» und «unzüchtiger Veröffentlichung» konfisziert wurden: Josef Felix Müller erreichte mit seinem Gang an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Recht auf Kunstfreiheit Eingang in die revidierte Bundesverfassung 1999 gefunden hat. – Teil 3 der Serie «Frau Huber geht nach Strassburg».

«Eigentlich fühlte sich das lange so an, als hätte es gar nicht viel mit mir zu tun», erzählt Josef Felix Müller heute. Wie hätte er damals auch erahnen können, dass er als knapp 26-jähriger, im katholischen St. Galler Rheintal aufgewachsener Jungkünstler mit einer seiner ersten Ausstellungen gleich einen internationalen Skandal auslösen würde – geschweige denn die juristische Verankerung der Kunstfreiheit?

Vielleicht von Anfang an: 1981 feierte der Kanton Freiburg sein 500-jähriges Bestehen. Als Gegenstück zu den eher pompös-steifen offiziellen Veranstaltungen beschlossen ein paar Kulturschaffende aus der Region, im ehemaligen Priesterseminar Derrière-les-Remparts eine Ausstellung unter dem Titel «Fri-Art» zu veranstalten.

Dazu eingeladen wurde auch der damals noch eher unbekannte Maler und Skulpturenmacher Josef Felix Müller, der in den Vorbereitungen zur Ausstellung drei Tage und Nächte im Gebäude verbrachte. «Das Gebäude war natürlich aus der Weihe entlassen worden, aber in allen Gängen sah man noch die Schatten der ehemals aufgehängten Kreuze und Heiligenbilder. Das war in einer Zeit, als das erste Mal öffentlich über Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche diskutiert wurde – und gerade in diesem Gebäude wurde man an jeder Ecke mit der Frage konfrontiert: Was ist hier wohl so passiert?»

Die Räume, die sich Müller aussuchen durfte, waren zwei ehemalige Schlafräume, die via eine versteckte Tür im Wandschrank miteinander verbunden waren. Hier nistete sich Müller ein, sog tagsüber die Atmosphäre der herumwuselnden KünstlerInnen ein – und nachts, wenn es ruhig war, zog er sich zurück, um zu malen.

Im Schatten des Katholizismus

Müller war erst zwei Jahre zuvor Vater geworden – ein Ereignis, das ihn zutiefst geprägt hatte. «Ich beschäftigte mich mit Fragen von Geschlechterrollen und Machtausübung, mit verschworenen Männerbünden wie Armee und Kirche, damit, wie Sexualität gezeigt und wo sie zum Verschwinden gebracht wird.»

Aus dieser Auseinandersetzung entstanden drei Werke unter dem Titel «Drei Nächte – drei Bilder», die von sexueller Energie geprägt waren. Das bekannteste davon zeigt eine Gruppe von Menschen in andächtiger und unterwürfiger Haltung, die gemeinsam einen Männerkörper mit erigiertem Penis halten, während daneben im Bild ein weiterer Mann von einem anderen oral befriedigt wird – die Körperhaltung der Figuren erinnert stark an Darstellungen der Abnahme Jesu vom Kreuz.

«Ich kannte die Organisatoren der Ausstellung kaum. Ich hängte meine Bilder auf – und ging nach Hause. Für mich war die Geschichte damit eigentlich erledigt. Drei Tag später kam das erste Telefon.» Müllers Bilder gaben schon zu reden, bevor die Ausstellung überhaupt eröffnet wurde: Da die «Fri-Art» im katholischen Städtchen auf rege Aufmerksamkeit stiess, kamen immer wieder BesucherInnen ins Haus, um den KünstlerInnen bei den Aufbauarbeiten über die Schulter zu schauen.

Ein Besucher enervierte sich dabei so sehr über Müllers Werke, dass er diese von den Wänden riss und darauf herumtrampelte. Zudem wurde die Staatsanwaltschaft aktiv – angeblich aufgrund des Hinweises eines Vaters, dessen minderjährige Tochter über die ausgestellten Bilder schockiert gewesen sei. Da die Person bis heute anonym blieb, ist unklar, ob es sich dabei um dieselbe Person handelte, die die Bilder beschädigte, ob es sich um ein Regierungsmitglied handelte – oder ob die Behörden den Vater einfach als Vorwand erfunden hatten, um von sich aus aktiv zu werden.

Jedenfalls tauchte am Morgen des 4. September 1981, wenige Stunden vor dem Beginn der Vernissage, die Freiburger Staatsanwaltschaft mit neun Mann inklusive Gerichtspräsident Pierre-Emmanuel Esseiva vor Ort auf und liess die Bilder konfiszieren. Und eröffnete bald darauf ein Strafverfahren gegen Müller sowie die neun OrganisatorInnen: wegen «Blasphemie» sowie «unzüchtiger Veröffentlichung».

Für Josef Felix Müller tat sich eine Welt auf, die er bis dahin nur erahnt hatte. Er musste in St. Gallen im Amtshaus antraben, wo er von der Staatsanwaltschaft einvernommen wurde. «Das war ein rechter Schock. Ich war vorher noch nie in Konflikt mit den Behörden gewesen, und plötzlich fand ich mich in dieser Situation wieder – einer Art Gewissensprüfung, fast beichtartig. Das Beschämendste fand ich, dass man mir unterstellte, ich hätte bewusst eine Provokation gesucht. Ich hatte die Bilder ja nicht als Ulk gemeint – das waren Themen, mit denen ich mich intensiv befasste. Und dann kommt plötzlich der Staatsanwalt und sagt mir, dass ich das nicht darf.»

«Widernatürliche sexuelle Praktiken»

Wie er später der «Berner Zeitung» sagte, störte sich Müller insbesondere daran, dass die Behörden nicht den geringsten Versuch unternahmen, die dargestellte Sexualität symbolisch oder metaphorisch zu betrachten, was für ihn konsequenterweise bedeuten müsste, dass er «eigentlich nur noch Landschaftsbilder oder Clowns malen» dürfe.

Ein Jahr später wurden Müller und die OrganisatorInnen vom Gericht des Saanebezirks zu einer Busse von je 300 Franken verurteilt. Der Straftatbestand der Blasphemie war in der Zwischenzeit fallen gelassen worden, wohl nicht zuletzt wegen Aussagen Müllers, der in den Befragungen immer betonte, er sei streng katholisch erzogen worden. Der Tatbestand der Pornografie jedoch blieb bestehen. Schlimmer wog, dass die Staatsanwaltschaft die Bilder konfisziert behielt. Sie wurden in einem Keller gelagert und waren nur bei «ausserordentlichem wissenschaftlichem Interesse» einsehbar.

Der Künstler selber hätte es damit am liebsten auf sich beruhen lassen – die mediale Berichterstattung über den «Phall Fribourg» brachte ihn in die für ihn unangenehme Situation, dass er plötzlich als «Skandalkünstler» herumgereicht wurde. «Mir war damals nicht ganz klar, wie schwer die Verurteilung für einen Teil der Organisatoren wog. Da waren Lehrerinnen darunter, Bankangestellte, Architekten und Museumskuratorinnen, für die eine Verurteilung ein enormes Stigma bedeutete. Mir war der ganze Rummel eher ein bisschen peinlich.» Auf ihr Anraten zog er den Prozess weiter, erst vor das Appellationsgericht, dann vor Bundesgericht. Vor dieser Instanz übernahm der Rechtsanwalt Martin Schubarth den Fall, der kurz zuvor in einem ähnlichen Fall nach über zwanzig Jahren die Herausgabe eines konfiszierten Bildes des Basler Kunstmalers Kurt Fahrner erreicht hatte.

Hatten sich die AnwältInnen in der Vorinstanz noch hauptsächlich mit Verfahrensdetails zu wehren versucht, argumentierte Schubarth mit der Meinungsfreiheit. Zwar war diese noch nicht als explizites Grundrecht mit einem Artikel in der damaligen Bundesverfassung verankert, seit den sechziger Jahren in der Rechtsprechung aber grundsätzlich akzeptiert (vgl. «Die Kunstfreiheit in der Bundesverfassung» im Anschluss an diesen Text). Schubarth argumentierte, dass vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit (und daraus abgeleitet der Freiheit der Kunst) der Staat grösste Zurückhaltung an den Tag legen müsse, «ansonsten, wie der Fall Müller zeigt, eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Sexualität nicht mehr möglich ist».

Das Bundesgericht liess die Argumentation nicht gelten. Die Gemälde stellten «ausschweifende und widernatürliche sexuelle Praktiken zur Schau», die «den Anstand von Personen mit normalem Empfindungsvermögen» zu verletzen vermöchten, schrieb es in seinem Urteil 1983. Und fügte wie als Beweis hinzu: «Man findet, zum Beispiel, acht erigierte männliche Glieder auf einem der Bilder.» Schubarth empfahl daraufhin, den Fall ad acta zu legen. Er schrieb in einem Brief an Müller, dass er nicht glaube, dass eine Beschwerde an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) viel Erfolg verspreche.

Für Müller hatte sich die Situation in der Zwischenzeit jedoch verändert: «Ich hatte ja keine kunsthistorische Vorbildung. Aber in den Diskussionen um meinen Fall begegneten mir plötzlich Themen, Autoren, Diskussionen – ich machte quasi ein autodidaktisches Studium in Kunstgeschichte mit.» Seine Kampfeslust war geweckt – und zusammen mit den anderen Verurteilten zog er den Fall 1983 an den Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiter. Die rechtliche Vertretung übernahm Paul Rechsteiner, der damalige St. Galler SP-Gemeinderat und persönliche Freund Müllers, da Schubarth in der Zwischenzeit zum Bundesrichter gewählt worden war.

Kein europäischer Moralbegriff

In Strassburg gelang der Coup. Das damalige Verfahren sah für Individualbeschwerden einen zweistufigen Prozess vor: Beschwerden konnten nur ans Gericht gelangen, wenn sie zuvor von der Europäischen Kommission für Menschenrechte überwiesen worden waren. «Das war schon sehr überraschend», meint Rechsteiner heute. «Beim Augenschein merkte man, dass die Bilder den Richtern schon als ‹ziemlich dicke Post› erschienen.» So entschieden sie denn auch, dass die Verurteilung zu einer Busse rechtens gewesen sei. Dies mit der Argumentation – die der EGMR in vergleichbaren Fällen bis heute aufrechterhält –, dass es nicht möglich sei, «der rechtlichen und sozialen Ordnung der verschiedenen Vertragsstaaten einen einheitlichen europäischen Moralbegriff zu entnehmen». Und: dass «die staatlichen Behörden grundsätzlich besser in der Lage [sind] als der internationale Richter, sich zum genauen Inhalt [der] Anforderungen zu äussern», die einen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen rechtfertigen, um damit ebenjene Moral zu schützen.

Anders beurteilte die Kommission jedoch die Frage der Konfiszierung: Bei einem recht eindeutigen Resultat mit elf zu drei Stimmen wertete die Kommission diesen Vorgang als unverhältnismässigen Eingriff in die von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Meinungsfreiheit – insbesondere, weil man die Öffentlichkeit auch mit milderen Massnahmen hätte schützen können, etwa mit einer Altersgrenze für den Zutritt zur Ausstellung. Der Entscheid war ein Paukenschlag. Nicht nur garantierte die Entscheidung der Kommission damit zum ersten Mal die Kunstfreiheit (die in der EMRK bislang nicht explizit erwähnt war) als konkrete Äusserung der Meinungsfreiheit, sondern sie brachte damit auch die Schweiz das dritte Mal innert dreier Jahre in Gefahr, in Bezug auf Grundrechte verurteilt zu werden.

Kein Wunder also, setzte sich das Bundesamt für Justiz mit Müller und Rechsteiner in Verbindung, um einen möglichen Vergleich zu erreichen, was jedoch an der Uneinigkeit der Kläger scheiterte. Dafür rettete sich die Freiburger Delegation mit einem Trick: Fünf Tage vor der Verhandlung eröffnete das Bezirksgericht Saane Müller in einem Brief, dass er jederzeit die Rückgabe seiner Bilder beantragen könne. Dass dies ebenfalls auf Intervention des Bundes zustande kam, darf zumindest als Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Mit der Rückgabe der Bilder erledigte sich auch der Hauptstreitpunkt: Nachdem die Kommission bereits die Busse als rechtskonform erachtet hatte, kam nun in Anbetracht der neuen Rechtslage das Gericht bei sechs zu einer Stimme zum Schluss, dass es sich bei der Konfiskation nicht um eine unzulässige Massnahme gehandelt habe, da diese offensichtlich «nicht unbeschränkt, sondern lediglich von unbestimmter Dauer war».

Obwohl der Prozess im Mai 1988 nicht mit einer Verurteilung der Schweiz endete, schrieb das Urteil Rechtsgeschichte. Es war das erste Urteil des EGMR, in dem die Freiheit der Kunst unter dem Übertitel der Meinungsfreiheit explizit geschützt wurde – als solches wird es bis heute als Referenz in Literatur und Rechtsprechung angegeben.

Um die übergeordnete Beurteilung von Kunst drücken sich die Gerichte jedoch bis heute. Mit derselben Argumentation wie im Fall Müller, also dass es keinen einheitlichen europäischen Moralbegriff gebe, wurde zum Beispiel 1994 eine Konfiskation des österreichischen Films «Liebeskonzil», einer bitterbösen antikatholischen Satire, als rechtens beurteilt. Und auch die Schweizer Behörden delegieren die inhaltliche Beurteilung mit derselben Argumentation an die lokalen Instanzen. So hielt das Bundesgericht 1994 im Fall von vorübergehend konfiszierten Bildern des Künstlers HR Giger, die in einem St. Galler Kulturrestaurant an den Wänden gehangen hatten, fest: Ungeachtet des Umstands, dass Pornografie im Strafgesetzbuch für das gesamte Gebiet der Eidgenossenschaft geregelt sei, könnten von Kanton zu Kanton unterschiedliche Vorstellungen darüber gelten, was als Anstand zu gelten habe.

Josef Felix Müller, inzwischen 61 Jahre alt und international erfolgreicher Künstler, sagt: «Es überrascht mich immer wieder, dass dieses Urteil 36 Jahre nach dem Vorfall immer noch in Publikationen und Diskussionen erwähnt wird. Anscheinend hat das Thema der Kunstfreiheit nur wenig an Aktualität eingebüsst.» Das «schärfste» der drei Bilder von damals – jenes, das an die Abnahme Jesu vom Kreuz denken lässt – wird ab Samstag, 10. Juni, in der Ausstellung «Ian Anüll. Peinture en promo» im Haus für Kunst in Altdorf zu sehen sein. «Ob es immer noch für Aufruhr sorgen wird, weiss ich natürlich nicht», sagt Müller.

Kornel Stadlers Illustrationen basieren auf Fotos, die die Protagonist­Innen zu der Zeit zeigen, in der ihr Beschwerdefall akut war. Dazu integriert Stadler Reminiszenzen rund um den Fall.

Quellen:

Matthias Thomi: «Künstler mit nonkonformistischem Gedankengut provozieren die Schweiz. Zu den Skandalen um Kurt Fahrner und Josef Felix Müller im 20. Jahrhundert»; Masterarbeit, eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg, Prof. Damir Skenderovic, Institut für Zeitgeschichte.

Andreas Kley: «Kultur, Kunst und Bundesverfassung. Kraut und Unkraut in schweizerischen Kulturlandschaften». In: Sandra Hotz / Ulrich Zelger (Hrsg.), «Kultur und Kunst, Analysen und Perspektiven von Assistierenden des Rechtswissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich», Zürich / St. Gallen 2011.

Erst seit 1999 ein Grundrecht : Die Kunstfreiheit in der Bundesverfassung

Bis zum Urteil «Müller u. a. gegen die Schweiz» vom 24. Mai 1988 war die Kunstfreiheit nicht als explizites Recht durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) abgedeckt. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen Müller entschied, erwähnte er fast beiläufig in der Begründung, dass die Kunstfreiheit als Ausdruck der in Artikel 10 garantierten Meinungsäusserungsfreiheit gelte, und verwies auf Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Uno-Pakt II).

In der Schweiz führte der Prozess dazu, dass bei der Revision der Bundesverfassung 1999 nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Kunstfreiheit (Art. 21) in den neu aufgenommenen Katalog an Grundrechten Eingang fand. Doch obwohl das Bundesamt für Justiz am Prozess Müller beratend beteiligt war, findet sich in der Vorlage zur Verfassungsreform keine Erwähnung des Falls. «Das ist tatsächlich etwas überraschend», meint Andreas Kley, Verfassungsrechtler an der Uni Zürich. «Man kann über die Gründe nur mutmassen, aber vielleicht wollte man dem Fall nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenken.»

Ebenfalls wurde bei der Gesamtrevision des Sexualstrafrechts ein Absatz in den Pornografieartikel aufgenommen, der besagt, dass Gegenstände oder Vorführungen nicht pornografisch seien, «wenn sie einen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben». Auch dieser Absatz dürfte auf die Auseinandersetzungen um den Fall Müller zurückzuführen zu sein – in der ursprünglichen Vorlage 1985 war der Passus jedenfalls noch nicht enthalten, er wurde erst 1992 vom Ständerat ins Gesetz aufgenommen. Der Praxiskommentar von Trechsel/Pieth erwähnt, die Bestimmung «soll Kulturskandale verhüten, mit denen die Justiz sich lächerlich zu machen droht».

Die Rechtsprechung hat sich in den Jahren seither jedoch nur wenig verändert – die konkrete Beurteilung von Kunst wird den lokalen Behörden überlassen. Noch häufiger wird jedoch der künstlerische Aspekt eines Werks wenig oder gar nicht gewürdigt, wie etwa im Fall des «Pappteller-Urteils», bei dem es um eine künstlerische Intervention zur Art Basel 2014 ging, die von der Kantonspolizei als unbewilligte Kundgebung behandelt und aufgelöst worden war.

«Die Schweiz hinkt hier gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht oder dem EGMR eindeutig noch hinterher», meint Vanessa Rüegger, assoziierte Professorin für Öffentliches Recht an der Fern-Uni Schweiz, die derzeit zur Kunstfreiheit habilitiert. «Niemand bestreitet die Kunstfreiheit im Grundsatz, aber wenn sie konkret zur Anwendung kommen soll, dann wissen die Behörden häufig nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. Klar ist ja, dass Kunst die normativen Grenzen innerhalb der Gesellschaft ausloten, problematisieren und auch überschreiten soll. Das Rüstzeug, um eine konkrete Überschreitung zu prüfen, fehlt dann aber häufig.»

Etrit Hasler