Pedro Lemebel (1952–2015): Die Stute der Apokalypse

Nr. 5 –

Er war Poet, Schriftsteller, Aktionskünstler. Er war militanter Linker, und er war schwul. Pedro Lemebel war der Erste, der in Chile die Mauer aus Konventionen und Angst durchbrochen hat.

Pedro Lemebel war schrill, schräg, für Chile mit seinen bis heute stockkonservativen Rollenbildern schlicht ein Skandal. Er war Poet, Schriftsteller, Aktionskünstler, Bildhauer. Er war ein militanter Linker, der organisierten Linken aber war er suspekt. Und er war schwul, so schwul. Ein überkoketter knallbunter «travesti», der seine Neigung öffentlich auslebte, und das schon zu einer Zeit, in der Chile mit Waffengewalt in einen starren, mausgrauen Alltag gezwungen wurde.

Der weit bekanntere chilenische Literat Roberto Bolaño hat über ihn gesagt, er sei «der Fantasievollste, der Provokativste, der Mutigste». Am vergangenen Freitag ist Pedro Lemebel mit 62 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben.

Sein erster grosser Auftritt war 1986, bei einer illegalen Demonstration der Linken gegen das Pinochet-Regime. Da stöckelte er auf hochhackigen Schuhen daher, aufs Gesicht blutrot Hammer und Sichel geschminkt, und verlas ein Manifest: «Ich bin kein Schwuler, verkleidet als Poet. Ich brauche keine Verkleidung. Hier ist mein Gesicht. Ich rede, weil ich anders bin. Ich verteidige, was ich bin. (…) Redet mir nicht vom Proletariat. Arm sein und darüber hinaus noch schwul, das ist schlimmer. (…) Ich werde nicht anders werden für den Marxismus, der mich so oft geschnitten hat. Ich bin viel subversiver als ihr.»

Hart und zärtlich, schlicht und barock

Im selben Jahr fand das einzige Attentat auf Augusto Pinochet statt. Die Rakete, die den Diktator dann doch nicht tötete, hatte Lemebel in den Tagen davor in seiner Wohnung unter einer Flut von Blumenbuketts versteckt. Er verarbeitete diese Erfahrung in seinem einzigen Roman: «Tengo miedo torero» – Ich habe Angst, Torero (2002, auf Deutsch 2003 unter dem schwülstigen Titel «Träume aus Plüsch» erschienen). Darüber hinaus schrieb er Gedichte und mehrere Bände mit Reportagen: sehr subjektiv erzählte Geschichten, meist aus der Halbwelt von Santiago, in einem Stil, der hart ist und zärtlich zugleich, ganz schlicht und doch sehr barock. Und immer mit dem Blick von unten.

Pedro Lemebel kannte die Halbwelt sehr gut. Er wurde in einfachsten Verhältnissen als Sohn eines Bäckers in La Legua geboren, dem verrufensten Armenviertel von Santiago. Später wohnte er mit seiner Mutter in einer heruntergekommenen Anlage des sozialen Wohnungsbaus an einer viel befahrenen Durchgangsstrasse. Er studierte Kunst und arbeitete als Lehrer für Kunstgeschichte. Zwei Mal wurde er entlassen, weil man als Mann nicht geschminkt in den Unterricht kommt. Danach widmete er sich nur noch dem Schreiben, der Bildhauerei (Werke von ihm stehen in spanischen Museen) und der Aktionskunst. Zusammen mit seinem Freund, dem Dichter Francisco Casas, gründete er 1987 das Gespann «Die Stuten der Apokalypse».

Tanz auf Glasscherben

Das Duo war in Chile gefürchtet. Uneingeladen trat es bei feierlichen und staatstragenden Anlässen auf und stürmte die Bühne, meist in hochhackigen Schuhen und mit Federboa. Bei einer dieser Feierlichkeiten schaffte es Casas, den völlig perplexen Patricio Aylwin, damals christdemokratischer Kandidat und später Präsident von Chile, auf den Mund zu küssen. Bei einem Festakt zum Tag der «Entdeckung» Amerikas, der in Lateinamerika noch immer kolonialistisch als «Tag der Rasse» begangen wird, tanzten die beiden barfuss auf einem weissen, mit Glasscherben bestreuten Leintuch den Nationaltanz Cueca, so lange, bis das Tuch vom Blut rot eingefärbt war.

Seinen letzten Auftritt hatte Lemebel am 7. Januar bei einem Abend zu seinen Ehren im Kulturzentrum Gabriela Mistral in Santiago. Er wurde im Rollstuhl auf die Bühne geschoben, war nach vielen Operationen ohne Stimme. Aber er reckte noch immer die linke geballte Faust. Er lächelte, und er wirkte zufrieden. Er durfte das sein. Es gibt heute in Chile eine junge Generation, die sich nicht mehr vor grauen Mächten duckmäusert, die aufsteht und protestiert. Pedro Lemebel war der Erste, der für sie die Mauer aus Konventionen und Angst durchbrochen hat.