Chile: Kurvenlauf ins Grab

Nr. 49 –

Auch wenn der ehemalige Diktator Pinochet dem Tod von der Schippe springt - vor Gericht kommt er wohl nie.

Stirbt Augusto Pinochet tatsächlich friedlich im Bett? Die letzte Ölung hat man ihm nicht verweigert. War-um auch? Selbst ein weltliches Gericht hat ihn bisher nicht schuldig gesprochen, obwohl gegen ihn drei Verfahren wegen Mordes, Entführung, Folter und Unterschlagung laufen. Doch der ehemalige Diktator Pinochet sass bisher auf keiner Anklagebank. Oft wurde er kurz vor wichtigen juristischen Entscheidungen ins Krankenhaus eingeliefert. Später erschien er dann wieder wohlauf in der Öffentlichkeit. Es war immer auch eine Verhöhnung der Opfer seiner Diktatur.

Ende November legte er sogar noch drauf: Pinochet feierte seinen 91. Geburtstag wie üblich vor den Fernsehkameras. Seine Frau Lucia Hiriart verlas ein Schreiben ihres Mannes. Er übernehme die «politische Verantwortung» für die Taten während seiner Diktatur und danke der Armee ausdrücklich für ihren «Mut und ihre Entschlossenheit» beim Putsch 1973 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. Am Ende erhob sich Pinochet aus seinem Rollstuhl.

Am 27. November wurde er erneut unter Hausarrest gestellt und das vierte Verfahren gegen ihn eröffnet. Dabei geht es um 75 RegimegegnerInnen, die 1973 bereits inhaftiert waren und unmittelbar nach dem Putsch ermordet wurden. Am 3. Dezember musste sich Pinochet nach einem Herzinfarkt dann einer Bypass-Operation unterziehen. «Pinochet hat die Angewohnheit, bei jeder wichtigen Entscheidung krank zu werden», sagt Hiram Villagra, der im Fall der 75 als Ankläger auftritt. Ist es auch diesmal nur eine Verteidigungsstrategie?

Noch heute ist ein 1978 von der Pinochet-Regierung erlassenes Amnestiegesetz weitgehend unverändert in Kraft. Es schützt die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen in der Zeit zwischen 1973 und 1978 vor strafrechtlicher Verfolgung. Nach Angaben von Amnesty International entgingen so über 1500 TäterInnen in Chile der Verurteilung. Die Menschenrechtsbewegung in Chile hatte lange einen schweren Stand, denn grosse Teile der Mittelschicht hatten von Pinochets neoliberaler Wirtschaft profitiert. Das würgte die Fragen nach den menschlichen und moralischen Folgen ab. Als Pinochet 1988 bei einer Volksabstimmung über die Verlängerung seiner Herrschaft entscheiden liess, soll er wirklich an einen leichten Sieg geglaubt haben, deshalb liess das Militär die Wahlen zu. Eine knappe Mehrheit von 53 Prozent erteilte ihm dann allerdings eine Absage. Dieses Ergebnis dokumentierte die Spaltung der chilenischen Gesellschaft, in der die eine Hälfte die andere lange Zeit zum Schweigen zwang.

Erst als Pinochet im Oktober 1998 in London verhaftet und unter Hausarrest gestellt wurde, entstanden Risse in der Mauer des Schweigens. Schon damals bemühten Pinochets Verteidiger seinen schlechten Gesundheitszustand. Nach gut 500 Tagen liess ihn die Regierung in London aus «humanitären» Gründen laufen. Auf dem Rollfeld in Santiago de Chile sprang Pinochet dann aus seinem Rollstuhl und seinen AnhängerInnen entgegen. 2005 wählten die ChilenInnen die Sozialistin Michelle Bachelet, selbst ein Folteropfer der Diktatur, ins Präsidentenamt. Aber auch Bachelet betonte, dass ihre Regierung für die Einheit aller ChilenInnen stehe. Dies klingt wie ein Weiter-so-mit-der-Vergangenheit: Bachelets Regierung hat das Amnestiegesetz bisher nicht angetastet. In Chile herrscht nach wie vor grosse Angst, eine Aufarbeitung der Vergangenheit könnte wieder zu Mord und Repression führen - oder einfach das bequeme Mittelschichtleben stören.

Anders ist die Situation in Argentinien. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 2003 hat Präsident Néstor Kirchner sich der Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur angenommen, wohl auch um Rückhalt bei den sozialen Organisationen zu bekommen. Bereits im August 2003 annullierte der Senat die Amnestieregelungen, die 1986 auf Druck der Militärs entstanden waren. Diese Regelungen hatten ihnen weitgehende Straflosigkeit zugesichert für ihre Verbrechen zwischen 1976 bis 1983; damals waren rund 30000 Menschen ermordet worden oder verschwunden. Im Vergleich dazu dauerte die Diktatur in Chile wesentlich länger (von 1973 bis 1990) und war mit 3500 Toten und Verschwundenen und etwa 28 000 Folteropfern «weniger» blutig.

Zwar gab es auch in Argentinien lange ein Stillhalteabkommen zwischen den PolitikerInnen und den Verantwortlichen der Diktatur. Aber im Unterschied zu Chile hielt eine starke Menschenrechtsbewegung das Thema immer in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt dank der Demonstrationen der Mütter der Plaza de Mayo, die bereits seit 1977 nach dem Schicksal ihrer verschwundenen Angehörigen fragen.

Doch auf beiden Seiten der Anden tickt die biologische Uhr. Im Juni 2005 hatte sich der frühere argentinische General Guillermo Suárez Mason mit einem Herzinfarkt einer drohenden Verurteilung entzogen. Zwar hat es in Argentinien seit der Aufhebung der Amnestiegesetze erst eine Verurteilung gegeben. Aber die Chancen, dass weitere folgen, stehen besser als in Chile. Dort wird das juristische Geplänkel um Pinochet weitergehen, bis er irgendwann ohne Verurteilung im Bett sterben wird. Die letzte Ölung hat er ja schon.