Kommentar von Toni Keppeler: Europäische Politik jenseits der Schäubles ist möglich
Beim Streit ums Geld hat die griechische Regierung wieder Grundwerte der Demokratie in die Debatte gebracht. Das gibt Hoffnung.
Reden wir einmal nicht über fehlende Krawatten und lässig über der Hose getragene Hemden versus dezente Businesssuits und korrekt sitzende Binder. Reden wir über Gesichter, und schon sieht die Sache ganz anders aus. Man sehe sich die Fotos an, die in den vergangenen Tagen vom Spitzenduo der neuen griechischen Regierung bei Treffen mit viel mächtigeren europäischen PolitikerInnen entstanden sind: Ministerpräsident Alexis Tsipras lächelt, und sein Finanzminister Yanis Varoufakis lacht – während der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble oder Jeroen Dijsselbloem, der Chef der Eurogruppe, so sauertöpfisch dreinblicken, als seien sie und nicht die GriechInnen die bis über beide Ohren verschuldeten armen Schlucker.
Diese Bilder geben Hoffnung. Sie lassen das Ende einer Ära grauer neoliberaler Finanz- und Wirtschaftspolitik aufscheinen, die lange angeblich – so die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel – «alternativlos» war. Die Zeit, in der Männer wie Schäuble und Dijsselbloem einfach unangefochten recht hatten, läuft ab. Eben deshalb schlagen sie mit Zähnen und Klauen zurück. Man habe ihm eine «Pistole an den Kopf gesetzt», sagte Varoufakis nach den schnell gescheiterten Gesprächen der Finanzminister der Eurogruppe am Montag in Brüssel. Tsipras war schon vorher von Schäuble als «verantwortungslos» beschimpft worden.
Es gehört nicht viel ökonomischer Sachverstand dazu, das Absurde der angeblichen Hilfspakete zu begreifen, die der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Union (EU) in den vergangenen Jahren für Griechenland aufgelegt haben: Wir geben euch Geld, damit ihr eure Schulden bezahlen könnt, wenn ihr als Gegenleistung euer Land zu Tode spart. Die konservativen griechischen Regierungen der vergangenen Jahre haben das willig getan; mit dem Ergebnis, dass heute längst nicht nur Tsipras angesichts der Gesundheits- und Lebensmittelversorgung der immer mehr werdenden Armen von einer «humanitären Katastrophe» redet.
Nach den neusten Hochrechnungen hat Griechenland mit seinem zusammengestrichenen Staatshaushalt 2014 einen kleinen Überschuss erzielt – vor dem Bedienen der Schuldenlast. Der Staat kann sich so schmal, wie er heute ist, selbst finanzieren. Neue Kredite braucht er nur, um die Zinsen alter Kredite bezahlen zu können. Das Geld, das aus Brüssel oder Frankfurt als «Hilfe» nach Athen fliesst, kehrt von dort sofort zurück, hinterlässt aber eine noch höhere Schuldenlast, für deren Zinsen dann weitere Kredite nötig sein werden. Inzwischen haben sich so mehr als 320 Milliarden Euro aufgetürmt, und auch Schäuble ist klar, dass Griechenland diese Summe nie zurückbezahlen kann. Tsipras und Varoufakis tun nichts anderes, als nach einem Weg aus diesem absurden Kreislauf zu suchen.
Das tun längst auch andere: Der IWF wirbt seit Jahren für Mechanismen zur Streichung unbezahlbarer Staatsschulden, die Uno hat im vergangenen September eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die einen Rechtsrahmen für die Umstrukturierung von Schulden erarbeiten soll. Selbst die Unternehmensberatung McKinsey fordert in einer Studie die Möglichkeit eines teilweisen Schuldenerlasses für Länder wie Griechenland. Ein Kompromisspapier des EU-Kommissars für Wirtschaft und Währungsangelegenheiten, Pierre Moscovici, wurde am Montag kurz vor Verhandlungsbeginn vom Tisch gewischt. Er hatte vorgeschlagen, der neuen griechischen Regierung mit einem Übergangsprogramm vier Monate Zeit zu geben, um eigene Vorstellungen auszuarbeiten. Varoufakis wäre bereit gewesen, diesen Vorschlag zu unterzeichnen. Stattdessen gilt nun ein Ultimatum: Entweder verpflichtet sich Griechenland bis zum 20. Februar, die jetzt geltenden Kreditbedingungen samt allen sozialen Daumenschrauben zu akzeptieren, oder es gibt ab dem 1. März kein weiteres Geld mehr, und das Land schlittert in den Staatsbankrott.
«Unmöglich», sagte Varoufakis dazu und brachte Wesen ins Spiel, die sonst in solchen Verhandlungen aussen vor bleiben, nämlich die Betroffenen, die WählerInnen: «Wir sind dafür gewählt worden, dass wir dieses Programm und die damit verbundenen Sparmassnahmen zurückweisen.» Am Tag zuvor hatte er in einem Meinungsbeitrag in der «New York Times» fast schon pathetisch erklärt, warum er davon überzeugt ist richtigzuliegen: «Wir wissen das, weil wir in die Augen der Hungrigen in unseren Strassen sehen, weil wir über unsere geschundene Mittelschicht nachdenken und über die Interessen von hart arbeitenden Menschen in jedem europäischen Dorf und in jeder Stadt unserer Währungsunion.» Das hat mit Sozialismus nichts zu tun, sondern einfach nur mit Grundlagen der Demokratie: Menschen wählen RepräsentantInnen, damit diese Politik für sie machen und nicht für irgendwelche Finanzkreisläufe. Dass die neue griechische Regierung diese längst vergessene Dimension in die Debatten in Brüssel gebracht hat, allein das schon ist ein grosses Verdienst. Es macht Hoffnung darauf, dass europäische Politik jenseits der Schäubles und Dijsselbloems möglich ist.