Brasilien: Wut gegen die Präsidentin von links und rechts

Nr. 11 –

Die brasilianische Arbeiterpartei ist nach mehr als einem Jahrzehnt an der Regierung in einer tiefen Krise. Sie hat sich erneut in einen Korruptionsskandal verstrickt. Und Präsidentin Dilma Rousseff betreibt eine Politik, die bei ihren WählerInnen nur noch Enttäuschung auslöst.

Dilma Rousseff hat vergangenen Sonntag per Fernsehansprache noch einmal alles versucht, um ihre Politik gegenüber der brasilianischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Direkt wollte sie das Publikum ansprechen, nicht durch den verzerrenden Filter der Massenmedien, denen sie zu Recht misstraut: Sie bat um Geduld bei der Überwindung der Wirtschaftskrise; sie versprach volle Aufklärung im Korruptionsskandal, der das Land seit Monaten beschäftigt und von Woche zu Woche grössere Ausmasse annimmt; und schliesslich warb sie um Verständnis für die neoliberalen Reformen, die ihr neuer Finanzminister Joaquim Levy plant, um den Staatshaushalt zu sanieren.

Dabei offenbarte vor allem die Notwendigkeit, sich derart erklären zu müssen, in welcher Krise Rousseff und ihre Regierung stecken. Nach der knappen Wiederwahl im vergangenen Oktober ist das Vertrauen der BrasilianerInnen in die Staatschefin und ihre Koalition auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Das hat auch damit zu tun, dass Rousseffs GegnerInnen aus der weissen Oberschicht im Süden des Landes immer aggressiver agieren, ja regelrecht Hass schüren. Während ihrer Rede wurden in den Reichenvierteln São Paulos und Rio de Janeiros Töpfe und Pfannen geschlagen, schimpften viele Menschen von ihren Balkons auf die «Kuh» und «Hurentochter», die endlich des Amtes enthoben werden solle. Auch Rufe nach einem Militärputsch wurden laut. Am kommenden Sonntag wollen diese Leute, die sich vor allem über das Internet organisieren und sich gegenseitig aufhetzen, in verschiedenen Städten Brasiliens für die Absetzung Dilmas demonstrieren.

Gewerkschaften demonstrieren auch

Die Präsidentin könnte diesen Demonstrationen der Elite gelassen entgegensehen, wenn sie sich nicht in den letzten Monaten von ihrer eigenen Wählerschaft entfremdet hätte. Es begann schon mit der Zusammenstellung ihres Kabinetts. Finanzminister Levy soll die Rolle zukommen, die Märkte im Moment einer stagnierenden Wirtschaft, galoppierender Inflation sowie explodierender Staatsschulden zu beruhigen. Der Exchef der Vermögensverwaltung bei der Grossbank Bradesco und Anhänger der neoliberalen Wirtschaftspolitik in der Tradition der Chicagoer Schule hat den BrasilianerInnen ein neoliberales Sparprogramm und die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts zulasten der Beschäftigten verordnet. Das hat die Gewerkschaften derart erzürnt, dass sie für diesen Freitag in São Paulo ebenfalls zu einer Grossdemonstration gegen die Regierung, deren Wiederwahl sie einst unterstützten, aufgerufen haben.

Weil spürbar ist, wie der Rückhalt für die unglücklich agierende und schlecht moderierende Präsidentin erodiert, machen sich in ihrer Regierungskoalition erste Auflösungserscheinungen bemerkbar. Deutlich wird dies am Verhalten von Rousseffs wichtigstem Koalitionspartner, der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB). Die grösste Partei Brasiliens (2,35 Millionen Mitglieder) agiert seit jeher opportunistisch. Nun blockiert sie wichtige Regierungsvorhaben und überlegt, die Zusammenarbeit mit Rousseffs Arbeiterpartei (PT) zu beenden, der sie den Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras gerne in die Schuhe schieben möchte.

Der Skandal erreichte vergangene Woche seinen vorläufigen dramatischen Höhepunkt: Der Oberste Gerichtshof veröffentlichte eine Liste mit den Namen von 47 PolitikerInnen, gegen die wegen des Bezugs von Geldern aus illegalen Petrobras-Kassen ermittelt werden soll. Unter ihnen befinden sich Eduardo Cunha, Präsident des Abgeordnetenhauses, sowie der Vorsitzende des Senats, Renan Calheiros, beide von der PMDB, die insgesamt 7 PolitikerInnen auf der Liste stellt. 8 gehören zur PT Rousseffs, darunter ihre ehemalige Kabinettschefin Gleisi Hoffmann, die heute als Senatorin amtet. Ganze 32 korruptionsverdächtige PolitikerInnen gehören Rousseffs kleinerem Koalitionspartner, der Fortschrittspartei (PP), an.

Tatenlose Linke

Dennoch verbinden viele BrasilianerInnen die Affäre vorrangig mit der Arbeiterpartei, der sie mittlerweile – es ist der zweite grosse Korruptionsskandal einer PT-Regierung seit 2003 – alles zutrauen. Zwar weiss man, dass das gesamte politische System von Korruption durchsetzt und dringendst reformbedürftig ist; doch die Enttäuschung über die PT, die einst angetreten war, um eine andere Politik zu machen, ist gerade unter Linken in blanke Wut umgeschlagen. Zu Recht, denn der Petrobras-Skandal verleiht nun gerade denjenigen Munition, die das Staatsunternehmen privatisieren wollen.

Mehr als Wut hat Brasiliens zersplitterte Linke jedoch nicht zu bieten. Es gibt zwar die kleine integre Partei Sozialismus und Freiheit (Psol), die in einigen Städten recht erfolgreich ist, aber eine starke linke Opposition sucht man vergeblich. Die Apathie ist an den Bustickets abzulesen: War der Auslöser für die Massendemonstrationen Mitte 2013 in Rio de Janeiro noch die Fahrpreiserhöhung von 2,75 auf 2,95 Reais, so kosten die Tickets heute 3,40 Reais (umgerechnet 1.09 Franken). Proteste gegen den späteren Preisanstieg hat es keine mehr gegeben.