Brasilien: Schmierentheater um Erdölkonzern

Nr. 48 –

Der Korruptionsskandal um Petrobras hat auch sein Gutes: Zum ersten Mal ermittelt die Justiz frei von politischer Einflussnahme.

Im Tagesrhythmus gibt es neue Enthüllungen, zuletzt etwa die Nachricht, Staatsanwälte aus Brasília würden Bankkonten in der Schweiz untersuchen, vor allem bei der Credit Suisse. Unter anderem soll dort Paulo Roberto Costa, ehemals Direktor des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras, 27 Millionen US-Dollar gebunkert haben. Schmiergelder, vermuten die ErmittlerInnen. Wenn das stimmt, wäre Costas Konto Teil eines weitverzweigten Systems von illegalen Geldflüssen rund um das grösste staatliche Unternehmen Lateinamerikas. Seit März schon schwelt der Korruptionsskandal um Petrobras und rückt immer näher an die eben wiedergewählte Präsidentin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei: Sie war zwischen 2003 und 2010 Aufsichtsratsvorsitzende des Erdölunternehmens, in den ersten Jahren noch als Energieministerin, und hätte eigentlich wissen müssen, was dort passiert.

Petrobras ist nicht irgendein Konzern, sondern so etwas wie eine Ikone des brasilianischen Nationalbewusstseins. 1953 gegründet, beschäftigt die Firma rund 90 000 Angestellte, raffiniert 98 Prozent des in Brasilien konsumierten Benzins und unterhält Beziehungen zu etwa 20 000 Partnerunternehmen. Sie ist verantwortlich für zehn Prozent aller in Brasilien getätigten Investitionen. Obschon die Firma offen ist für Fremdkapital, ist der brasilianische Staat nach wie vor grösster Anteilseigner und kontrolliert das Unternehmen. Der Korruptionsskandal geht also letztlich zulasten der brasilianischen SteuerzahlerInnen.

«Sie wussten alles»

Das spätestens seit 1999 praktizierte Schema war im Grund einfach: Wer einen der lukrativen Bau- oder Zulieferaufträge von Petrobras wollte, musste dafür bezahlen. Es gab feste Prozentsätze, die als Schmiergeld auf die Auftragssumme geschlagen wurden. Die so überhöhten Abschlüsse sollen sich auf insgesamt umgerechnet rund 23 Milliarden Franken addieren. Im Lauf des Jahrs hat die Bundespolizei deshalb bereits Dutzende Personen verhaftet. Darunter finden sich die Spitzen neun grosser Baukonzerne, die unter anderem die umfangreichsten Infrastrukturprojekte des Lands abwickeln – zum Beispiel die Bauten für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro.

Ins Rollen gebracht hatte die Untersuchung der Devisenhändler Alberto Youssef, der die Herkunft illegaler Gelder verschleiern sollte. Als das rechtskonservative Nachrichtenmagazin «Veja» kurz vor der Stichwahl um die Präsidentschaft Exstaatschef Lula da Silva und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff mit dem angeblichen Youssef-Zitat «Sie wussten alles» auf die Titelseite brachte, wurde dies aber zu Recht als plumper Manipulationsversuch verstanden.

Trotzdem ist Rousseffs Arbeiterpartei (PT) tief in das Schmiergeldsystem verstrickt. Von jedem Vertrag flossen drei Prozent in die Kassen der PT. Weitere drei Prozent gingen an Brasiliens grösste Partei, die konservative PMDB, wichtigster Koalitionspartner der PT. Der kleinere rechtskonservative Koalitionspartner PP erhielt immerhin noch ein Prozent.

Mit dem Rücken zur Wand hat die Präsidentin nun volle Aufklärung versprochen. Rousseff hatte sich in den ersten beiden Jahren ihrer ersten Amtszeit einen Namen als Sauberfrau gemacht und etliche Minister wegen Korruption entlassen. Dann erlahmte ihr Engagement. Trotzdem: Noch nie wurde gegen so viele PolitikerInnen wegen Korruption ermittelt wie heute. Zudem gibt es seit 2010 das Gesetz «Saubere Akte», nach dem KandidatInnen für öffentliche Ämter gesperrt werden, wenn die Justiz gegen sie ermittelt.

«Alle wussten es»

Das eigentlich Neue am aktuellen Skandal ist deshalb, mit welcher Freiheit die Bundespolizei agieren kann – nämlich ohne politische Einflussnahme. Niemand bezweifelt, dass in Brasilien seit Jahrzehnten auf allen wirtschaftlichen wie politischen Ebenen Korruption herrscht. Der einflussreiche Unternehmer Ricardo Semler hat dies in der Zeitung «Folha de S. Paulo» so beschrieben: Es gebe keinen einzigen Manager, der nichts von der seit vierzig Jahren herrschenden Korruption bei Petrobras wusste. Dutzende weitere Staatsfirmen würden ähnliche Schmiergeldschemata benutzen. PolitikerInnen und Parteien liessen sich mieten und kaufen, auch diejenigen, die nun «Foul» schrien.

So eröffnet der Petrobras-Skandal endlich die Möglichkeit, gegen die kriminelle Verzahnung von Wirtschaft und Politik vorzugehen. Als möglicher erster Schritt wird derzeit über eine Obergrenze für Spenden aus der Wirtschaft an Parteien und EinzelpolitikerInnen diskutiert. Die Opposition und die tonangebenden konservativen Medien jedoch haben daran kein grosses Interesse: Sie wollen den Skandal einzig der PT anlasten.