Olympische Spiele in Brasilien: In der Kloake der Korruption

Nr. 24 –

Ein paar wenige Baukonzerne bereichern sich an den Olympischen Sommerspielen von Rio de Janeiro. Es sind dieselben, die vorher den Wahlkampf des Bürgermeisters finanzierten.

Der Bürgermeister von Rio de Janeiro präsentiert sich gern als Macher, trägt lieber Jeans als Anzug, will Volksnähe demonstrieren. Eduardo Paes hat die Olympischen Spiele 2016 nach Rio geholt. Darauf ist er stolz. Sollten sie ein Erfolg werden, so hört man, habe er Ambitionen auf das Präsidentenamt in Brasilia. Entsprechend dünnhäutig reagiert der 45-Jährige auf Kritik. Als ihm kürzlich die Standardfrage nach Verzögerungen bei den Olympiabauten gestellt wurde, redete sich Paes in Rage. Wer Zweifel säe, sei ein Lügner, sagte er. Selbstverständlich werde alles pünktlich fertig sein. «Unsere Stadt», fügte der Bürgermeister hinzu, «wächst durch die Spiele zusammen; Rio wird lebenswerter und gerechter.»

Tatsächlich zweifelt niemand daran, dass das olympische Feuer am 5. August 2016 in Rio de Janeiro entzündet werden wird. Die Fussballweltmeisterschaft hat gezeigt, dass in Brasilien zwar alles länger dauert – was mit ausufernder Bürokratie, Korruption und fehlender Expertise zu tun hat. Aber es klappt letztendlich doch, weil die BrasilianerInnen MeisterInnen der Improvisation sind, auch wenn sich das oft in der Qualität der Ausführung niederschlägt.

Daran aber, dass die Olympischen Spiele das Leben der Mehrheit der Cariocas – so werden die BewohnerInnen Rios genannt – verbessern werden, dass die sozial und geografisch gespaltene Stadt zusammenwachsen wird, daran glauben nicht mehr viele. Wie schon die Fussballweltmeisterschaft wurden auch die Olympischen Spiele der Bevölkerung mit grossen Versprechen verkauft, die sich nun als leer erweisen. Es wird immer deutlicher, dass die Spiele genutzt werden, um mächtige Privatinteressen zu befriedigen. Die grössten Profiteure sind eine Handvoll Unternehmen, vorwiegend Konzerne der Immobilien- und Baubranche. Nicht zufällig gehören sie zu den grössten Financiers von Rios Politik, insbesondere der Wahlkampagnen von Bürgermeister Paes und seiner Partei, der rechten PMDB.

Aufwertung des privilegierten Viertels

Drei Jahre lang hat der Urbanist Renato Cosentino die Folgen der Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele untersucht. In einer Studie kommt er zu dem Ergebnis, dass insbesondere ein Stadtteil davon profitiert: «85 Prozent der Investitionen, die direkt für die Spiele nötig sind, fliessen nach Barra da Tijuca.» Dort wird das Herz der Spiele schlagen: ein im Südwesten der Stadt gelegenes, relativ junges Viertel, das auch «Miami von Rio» genannt wird. Überdurchschnittlich wohlhabende Menschen leben hier in oft identischen Apartmenttürmen, dazwischen stehen grosse Einkaufszentren, verlaufen mehrspurige Schnellstrassen. Die Immobilienpreise gehören zu den höchsten Lateinamerikas.

Mitten in diesem Viertel, auf einer Halbinsel in einer Lagune, entsteht derzeit der olympische Park. In der Nähe liegt das olympische Dorf für rund 11 000 AthletInnen. Auch das Medienzentrum wird hier eingerichtet. Für Stadtforscher Cosentino ist klar, dass damit ein bereits privilegiertes Viertel weiter aufgewertet wird. «Dabei leben in der Barra nur 300 000 Menschen», sagt er. «Der Grossraum Rio mit seinen zwölf Millionen Bewohnern erfährt hingegen nur geringe bis gar keine Verbesserungen.»

Der Standortentscheid gefällt Rios Immobilienbranche. Da ist zum einen der Carvalho-Hosken-Konzern. Für seine Beteiligung an den olympischen Bauarbeiten erhält er verschiedene Ausgleichsleistungen, etwa Bauland und Steuerbefreiungen. «Diese Geschenke sind viel mehr wert als die geleisteten Arbeiten», sagt der Urbanist Cosentino. «Die Stadt wird finanziell erheblich geschädigt.» Tatsächlich vermarktet Carvalho Hosken bereits jetzt die Apartments im olympischen Dorf für die Zeit nach den Spielen: 31 Hochhäuser mit je 17 Stockwerken, beste Lage. Nach den Spielen wird Carvalho Hosken auch im olympischen Park Wohnviertel und Hotels errichten dürfen. Um das Bild einer heilen Olympiawelt nicht zu stören, wurden Hunderte FavelabewohnerInnen umgesiedelt. So befriedigt die Stadtregierung die Interessen eines Konzerns, der die Wahl des Bürgermeisters mitfinanziert hat. Zur Wahlkampagne von Eduardo Paes und seiner Partei steuerte Carvalho Hosken 2012 umgerechnet 250 000 Franken bei.

Ein besonders krasses Beispiel für Korruption sei der Golfplatz, sagt der Anwalt Jean Carlos Novaes, der Unregelmässigkeiten rund um den Nobelrasen untersucht hat. Zusammen mit dem Biologen Marcello Mello fährt er in einem kleinen Motorboot über die Lagune von Marapendi. Sie ist Teil eines Naturschutzgebiets im Süden der Barra da Tijuca. Mittendrin wird zurzeit der eine Million Quadratmeter grosse Golfplatz erstellt. Das Grün mit achtzehn Löchern wurde ohne ein eigentlich vorgeschriebenes Umweltgutachten und ohne öffentliche Anhörung beschlossen. «Das ist typisch», sagt Novaes. Und der Biologe Mello ergänzt: «Es wurden grosse Flächen atlantischen Waldes vernichtet. Der steht eigentlich unter dem Schutz des Bundes und der Unesco. Ein Umweltverbrechen. Aber niemand wird belangt.» Dabei gibt es in Rio de Janeiro bereits zwei Golfplätze, die olympischen Ansprüchen genügt hätten. Aber keiner der beiden wurde je geprüft. Und wie zufällig besitzt der Präsident der brasilianischen Golfföderation bereits eine Luxusimmobilie mit Blick auf den neuen Platz.

Eigentumsbeleg vom toten Beamten

Anwalt Novaes und Biologe Mello schlüpfen durch ein Loch im Zaun, laufen geduckt durch ein schmales Stück tropischen Waldes und treten auf eine riesige gerodete Fläche, auf der teilweise schon Golfrasen verlegt wurde. An einem Ende des Platzes ragen Apartmenttürme auf. Sie wurden von dem Unternehmen RJZ Cyrela gebaut, das 200 000 Franken für den Wahlkampf von Paes und seiner Partei gespendet hat. Verkaufsslogan: «Die Sonne geht für alle auf. Aber nicht mit dieser Aussicht.» Zuvor hatte Cyrela die Fläche von dem berüchtigten Immobilienunternehmer Pasquale Mauro erworben, der das Golfterrain für sich beansprucht. Doch das ist höchst umstritten. Mauro ist einer der grössten «grileiros» von Rio. So bezeichnet man in Brasilien die Fälscher von Landtiteln. Das Dokument, das ihn als Eigentümer des Golfterrains ausweist, stammt aus dem Jahr 1968. Der Beamte, der es angeblich unterschrieben hat, ist schon 1964 verstorben.

55 Tonnen tote Fische

Konstruiert wird der Golfplatz von dem Unternehmen Fiori, das zum Imperium von Pasquale Mauro gehört. Umgerechnet zwanzig Millionen Franken soll der Platz kosten – eine stattliche Summe für Rasen, Sand und Löcher. «Entschädigt» wird Mauro mit der Lizenz, nach den Spielen 23 Luxuswohnblocks neben den Platz bauen zu dürfen. Der Bürgermeister selbst erwirkte, dass sie 22 Stockwerke statt, wie in dieser Gegend vorgeschrieben, nur 6 Etagen hoch sein dürfen. Ihr Wert wird auf mindestens 330 Millionen Franken geschätzt. Ausserdem wurde darauf verzichtet, rückwirkend von Pasquale Mauro Grundsteuer für das Gelände zu verlangen.

Während in Rio viel Mühe darauf verwendet wird, eine kleine Klientel zufriedenzustellen, geschieht dort, wo es um öffentliche Interessen geht, nur wenig. Bestes Beispiel: die Säuberungen der Lagune Rodrigo de Freitas und der Guanabara-Bucht. In der Lagune wird olympisch gerudert, in der Bucht gesegelt. Beide Gewässer sind fünfzehn Monate vor den Spielen heillos verseucht: Erst Mitte April trieben 55 Tonnen tote Fische in der Lagune. Die Bucht ist eine Kloake, weil die Abwässer von mehreren Millionen Haushalten sowie grosser Industrieanlagen hineinfliessen, die meisten davon ungeklärt. Im Wasser treiben Exkremente, Reifen, Möbel, Tonnen von Plastik und manchmal sogar Mordopfer. Bei ersten Probefahrten zeigten sich internationale Segelcrews schockiert.

Seit zwanzig Jahren kämpft der Biologe Mario Moscatelli für die Rettung der Bucht. «Die Spiele wären ein Chance gewesen», meint er. Nun empfiehlt er den SeglerInnen die Hepatitis-A-Impfung. Rio de Janeiros Gouverneur Fernando Pezão hat bereits eingeräumt, dass die Bucht nicht wie versprochen gesäubert werden könne. Man habe keine Mittel. Nun versuchen kleine Schiffe, zumindest den gröbsten Müll aus dem 380 Quadratkilometer grossen Gewässer zu fischen. Mehr sei nicht möglich. Wo keine Profitinteressen existieren, gibt es auch keinen politischen Willen, etwas zu tun.

Skandal um den Erdölkonzern Petrobras : Die Präsidentin wird immer schwächer

Glaubt man den Massenmedien Brasiliens, dann steht das Land kurz vor dem Untergang. Und das schon seit letztem Oktober, als Präsidentin Dilma Rousseff knapp wiedergewählt wurde. Damals hatten die konservativen Medien, allen voran Marktführer Globo TV, gegen sie Stimmung gemacht. Nun lässt man ZuschauerInnen wie LeserInnen täglich wissen, wie katastrophal es um die Wirtschaft, ja um das gesamte Land bestellt sei und wer die Schuld daran trage: die Präsidentin und ihre Arbeiterpartei (PT). Es wirkt wie das Nachtreten schlechter VerliererInnen. Doch Brasilien steckt tatsächlich in einer Wirtschaftskrise, unter der am stärksten die Armen leiden. Die Regierung Rousseff hat kein Geld mehr und muss sparen: Sozialprogramme werden gekürzt, ArbeiterInnenrechte beschnitten – Massnahmen, die Rousseff vor der Wahl ausgeschlossen hatte.

Und dann ist da der Korruptionsskandal um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras. Milliarden Dollars wurden in private Taschen und Parteikassen (auch die der PT) umgeleitet, während Rousseff Aufsichtsratschefin war. In bürgerlichen und elitären Kreisen tut man nun so, als sei Korruption eine Erfindung der Arbeiterpartei.

Die Schwäche der Präsidentin hat zu einer Machtverschiebung zugunsten des Kongresses mit seinen 28 Parteien (!) geführt. Dort ist Rousseff auf die Gunst ihrer Koalitionspartnerin, der Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB), angewiesen: ein opportunistischer Wahlverein, dessen Mitglieder in verschiedene Skandale verstrickt sind.

Besonders Parlamentspräsident Eduardo Cunha (PMDB) führt sich nun auf wie der neue starke Mann. Ohne ihn gehe nichts mehr, lässt er verlauten. Aufhebung des Abtreibungsverbots? Nur über seine Leiche! Mehr Rechte für Homosexuelle? Niemals! Stattdessen: weniger Beschränkungen für Waffenbesitz, Ausweitung von Leiharbeit, Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche, Reduzierung der Indianerreservate. Cunha, ein evangelikaler Christ, gibt sich als Saubermann und wird von den Medien gefeiert. Dabei steht auch sein Name auf der langen Liste von PolitikerInnen, die in den Petrobras-Skandal verwickelt sind.

Philipp Lichterbeck