Steuerhinterziehung: Heikle Datenlieferung nach Indien

Nr. 11 –

Die Schweiz leistete in mehreren Fällen Amtshilfe und übermittelte Daten an die indischen Steuerbehörden. Macht das Beispiel Schule, könnte demnächst auch Griechenland auf Schwarzgeld in der Schweiz zielen.

30 Milliarden Euro Schwarzgeld – so viel bunkern griechische SteuerbetrügerInnen angeblich in der Schweiz. Das berichtete Mitte Februar die «SonntagsZeitung» und berief sich dabei auf griechische Fahnder. Andere Schätzungen gehen noch höher. Als verlässlich gelten die Berechnungen des französischen Ökonomen Gabriel Zucman, der in seinem Buch «Steueroasen» eine umfassende Studie zum Ausmass der globalen Steuerhinterziehung vorgelegt hat. Zucman schätzt die griechischen Vermögen in der Schweiz auf 60 Milliarden Euro, allerdings ist unklar, wie viel davon unversteuert ist.

So oder so: Das krisengeplagte Griechenland könnte die Gelder gut brauchen. Die neue griechische Regierung unter Alexis Tsipras’ Syriza kündigte kürzlich an, sie werde härter gegen SteuerbetrügerInnen vorgehen.

Eine Grundlage dafür befindet sich seit 2012 in griechischen Händen: Eine Liste mit rund 2000 Namen mutmasslicher SteuerbetrügerInnen, die sogenannte Lagarde-Liste, die die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde ihrem griechischen Kollegen übergeben hat. Diese Liste basiert auf Bankdaten, die der französische Informatiker Hervé Falciani 2010 in der Genfer Filiale der Bank HSBC entwendet und an verschiedene Behörden weitergegeben hat.

Konflikt hinter den Kulissen

Die Schweizer Gesetzgebung macht es den GriechInnen allerdings äusserst schwer, an die gebunkerten Gelder heranzukommen. Denn bei Anfragen auf Basis gestohlener Bankdaten leistet die Schweiz grundsätzlich keine Amtshilfe.

Die Betonung liegt hier auf dem Wort «grundsätzlich». In der Praxis behandeln die Schweizer Behörden ausländische Anfragen für Amtshilfe wesentlich pragmatischer. Recherchen der WOZ zeigen, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) letztes Jahr in mehreren Fällen Amtshilfe an Indien leistete und Daten übermittelte. Dies, obwohl die Gesuche mindestens in einem Fall auch auf dem gestohlenen HSBC-Datensatz beruhten. Kommen nun die GriechInnen ebenfalls an das in der Schweiz gebunkerte Schwarzgeld?

Winter 2013: Die Bundesversammlung berät das Amtshilfegesetz in Steuersachen. Wichtiger Streitpunkt ist der Umgang mit Anfragen ausländischer Steuerbehörden auf Basis gestohlener Schweizer Bankdaten. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf wollte anfänglich die Bedingungen für Amtshilfe aufweichen. Nach harter Opposition der Bankenlobby im Vernehmlassungsverfahren kippt sie die Lockerung jedoch wieder aus der Vorlage.

Die Debatte in der Wintersession verläuft hitzig. Im Hintergrund schwelt ein sich zuspitzender Konflikt mit Indien. Die indischen Steuerbehörden waren 2011 ebenfalls in den Besitz der bei HSBC gestohlenen Daten gelangt und stellen nun zahlreiche Amtshilfegesuche, um mögliche SteuerbetrügerInnen zur Kasse zu bitten. Gleichzeitig verhandelt die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit Indien.

3000 Amtshilfegesuche sind insgesamt in den vergangenen drei Jahren beim Finanzdepartement eingegangen, rund 600 davon sind zu diesem Zeitpunkt blockiert, weil sie auf illegal beschafften Bankdaten basieren. Der grösste Teil dieser Gesuche stammt aus Indien, es handelt sich um knapp 500 Anfragen, wie Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf im Nationalrat verrät. Der Entscheid des Bundesrats im Herbst, bei gestohlenen Daten keine Amtshilfe zu leisten, hat bei der indischen Regierung Ärger ausgelöst. Im Hintergrund bemüht sie sich, doch noch an die geforderten Informationen zu gelangen.

Doch die Bundesversammlung entscheidet anders. Eine linke Minderheit versucht zwar, Eveline Widmer-Schlumpfs Vorschlag aus der Vernehmlassung erneut aufs Tapet zu bringen. Doch die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat klammert sich an ein letztes Stück Bankgeheimnis. Der Entscheid fällt eindeutig aus: Die Schweiz leistet bei illegal beschafften Informationen keine Amtshilfe.

Der Beschluss stösst Indien wie Griechenland vor den Kopf, zwei ungleiche Partner mit ähnlichen Anliegen, aber unterschiedlicher Wirkungsmacht, wie sich heute zeigt.

Die InderInnen schicken im Januar 2014 eine Delegation in die Schweiz, um hinter den Kulissen weiterhin eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Der Besuch wird offiziell bestätigt, über den Inhalt der Gespräche aber keine Auskunft erteilt. Gleichzeitig beginnt die Steuerverwaltung, eingegangene Gesuche aus Indien einzeln zu prüfen. Wie die ESTV dabei vorgeht, wie vielen Gesuchen sie letztlich stattgibt und wie viele sie ablehnt – dazu schweigt die Steuerverwaltung eisern. Alle Nachfragen laufen ins Leere. Die Geheimniskrämerei bei der obersten Steuerbehörde geht so weit, dass sie nicht einmal die Zahl blockierter Gesuche bestätigt, die ihre Vorsteherin, Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, ins Spiel gebracht hat: 476 Fälle. Kein Kommentar, heisst es auch hierzu.

Im Frühling 2014 behaupten indische Medien plötzlich, dass die Schweiz rund 100 Datensätze nach Indien übermittelt habe und den mutmasslichen indischen SteuerbetrügerInnen nun Strafuntersuchungen drohen. Die Nachricht sorgt für Unruhe. Zwei Monate später sieht sich der indische Finanzminister gezwungen, die Meldungen zu dementieren. Die Sache droht im Sande zu verlaufen.

Aber eine unglückliche Fügung will es, dass nun doch einige Fälle ans Licht kommen.

Sechs Gesuche, ein grosses Problem

476 Gesuche richteten die indischen Behörden laut Eveline Widmer-Schlumpf bis im Oktober 2013 an die Schweiz. Im Normalfall wird über die Einzelfälle nichts bekannt. Die Verfahren sind vertraulich.

Aber dann reicht Indien ein halbes Dutzend Anfragen ein, die die Eidgenössische Steuerverwaltung vor ein Problem stellen. Ein Gesuch erfolgt am 21. Oktober 2013, fünf weitere folgen am 15. September 2014. In zwei Fällen geht es um indische Staatsbürger, um R. S. aus Neu-Delhi und Y. B. aus Mumbai, in den anderen Fällen um verschiedene Unternehmen, die ihren Sitz unter anderem in Steueroasen wie Jersey oder den British Virgin Islands haben.

Die Steuerverwaltung überprüft die Gesuche und versucht, die Betroffenen über die Bank zu kontaktieren, so wie es das Gesetz vorsieht. Offenbar liegen aber nur falsche oder veraltete Adressen vor. Das zwingt die ESTV zu einem heiklen Schritt: Sie geht an die Öffentlichkeit und fordert die Betroffenen in einer Mitteilung im Bundesblatt auf, «innerhalb von zehn Tagen (…) ihre aktuelle Adresse in der Schweiz mitzuteilen oder eine zur Zustellung bevollmächtigte Person in der Schweiz zu bezeichnen».

Die öffentlichen Aufrufe erfolgen im März beziehungsweise im November 2014. Als sich nach der gesetzlichen Frist niemand meldet, erlässt die Steuerverwaltung eine Schlussverfügung: Am 29. April 2014 leistet die Schweiz Amtshilfe im Fall R. S., am 16. Dezember 2014 im Fall von Y. B. und vier Unternehmen.

Irritation im Parlament

Gehen die sechs Fälle auf den gestohlenen Datensatz der HSBC zurück? Mindestens in einem Fall gibt es eine Überschneidung: Y. B., ein bekannter indischer Industriemogul, taucht in den unter dem Titel «Swissleaks» publizierten HSBC-Daten auf. Die Steuerverwaltung sagt dazu, dass sie keine Einzelfälle kommentiere.

Das Vorgehen der Behörden sorgt für Irritation unter WirtschaftspolitikerInnen. Andrea Caroni, FDP-Nationalrat und Mitglied der Wirtschaftskommission, erwartet zwar, dass keine Amtshilfe geleistet wurde, wenn die Gesuche auf gestohlenen Daten basieren. «Wenn die Amtshilfe jedoch allein auf diesem Datensatz beruht, dann wäre das sicher nicht im Sinn des Gesetzes.» SVP-Nationalrat Thomas Aeschi will Klarheit und hat deshalb eine Anfrage bei der Verwaltung eingereicht. Er sagt: «Ich wäre überrascht, wenn man den Willen des Parlaments missachtet hätte.»

Linke Stimmen werten die Datenlieferung nach Indien anders. Der Zürcher AL-Politiker Niklaus Scherr, der sich im Zusammenhang mit der Pauschalsteuerinitiative intensiv mit ausländischen SteuervermeiderInnen auseinandergesetzt hat, sieht eine Chance, dass die Schweiz nun auch Griechenland Amtshilfe leistet. Und SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer will in der kommenden Fragestunde vom Montag vom Finanzdepartement mehr über die heikle Datenlieferung wissen. Zudem möchte sie Auskunft darüber, wie viele griechische Amtshilfegesuche aufgrund gestohlener Bankdaten eingegangen sind. Sie erwartet, dass die Schweiz Griechenland gleich behandelt wie Indien.

Die Steuerverwaltung sieht in der Datenlieferung kein Problem. Man habe die Fälle einzeln geprüft: «Über die genauen Umstände erteilen wir keine Auskunft.» Ganz allgemein hält ein Sprecher jedoch fest: «Wir haben nie apodiktisch gesagt: Die Schweiz leistet bei gestohlenen Daten unter keinen Umständen Amtshilfe. Wenn ein Land glaubhaft darlegt, dass die Anfrage nicht auf gestohlenen Daten beruht, und der Name trotzdem auf einer Liste gestohlener Bankdaten steht, würde die Person sonst faktisch Immunität geniessen. Das ist nicht so.» Stattdessen prüfe man bei der ESTV jedes Gesuch einzeln.

Restriktive Info-Politik

«Kein Kommentar»: Das ist in der Regel die Antwort, die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) erhält, wer nach Details zu Amtshilfeverfahren fragt. Zwar führt die ESTV detaillierte Statistiken, die darüber Auskunft geben, welche Staaten wie viele Amtshilfegesuche eingereicht haben. Doch sie hält sie geheim.

Ein Journalist des «Blicks» hat aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes Einsicht in die Statistiken der Steuerverwaltung gefordert. Der zuständige eidgenössische Datenschutzbeauftragte gab dem Journalisten recht. Doch die ESTV weigert sich, die Statistiken herauszugeben, und hat den Entscheid an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen. Dort ist der Fall seit letztem Sommer hängig.