Inländisches Bankgeheimnis: Bald schlägt die letzte Stunde

Nr. 25 –

Die Schweiz hat ihr Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland aufgegeben, nun wird im Hintergrund die Abschaffung des inländischen Bankgeheimnisses vorbereitet. Ein Systemwechsel würde Milliarden von zusätzlichen Steuereinnahmen in die Staatskassen spülen.

Seit Monaten schon wird in der Schweiz vom Tod des Bankgeheimnisses geredet. Es stimmt, andere Staaten sollen voraussichtlich ab Anfang 2017 Bankdaten über ihre Steuerpflichtigen erhalten, die hier Vermögen bunkern – der Bundesrat hat erst kürzlich einer entsprechenden Deklaration der OECD-Staaten zugestimmt. Doch der Schweizer Fiskus, der wird auch künftig keine Einsicht in die hiesigen Konten seiner Steuerpflichtigen erhalten. Das Bankgeheimnis lebt.

Dabei sind es Zehn-, vielleicht gar Hunderttausende, die ihr Geld vor dem Schweizer Fiskus verstecken und die Gesellschaft damit um Milliarden prellen.

Vor über fünfzig Jahren, 1962, erstellte der Bundesrat erstmals eine Schätzung darüber, wie viel Geld die öffentliche Hand jedes Jahr durch Steuerhinterziehung verliert. In einem dicken Bericht über die «Bekämpfung der Steuerdefraudation», die er als Antwort auf eine Motion des damaligen SP-Nationalrats Mathias Eggenberger anfertigte, schätzte er die Steuerausfälle auf 268 bis 346 Millionen Franken. Dies entsprach dazumal vier bis fünf Prozent der gesamten Staatseinnahmen.

«Ohne Zweifel», kommentierte der Bundesrat im Bericht, «wird die Steuerdefraudation durch das Bankgeheimnis wesentlich begünstigt.» Und weiter: «Die Aufhebung dieses Geheimnisses könnte an sich eines der Mittel darstellen, um das Übel an seiner Wurzel zu fassen.» Die Antwort der Bankiervereinigung folgte prompt: In einem Telegramm zeigte sich diese «bestürzt» über die Bemerkungen, die dem Ausland neue Munition gegen den Schweizer Bankenplatz lieferten. Der Bundesrat wurde zudem zu einem umgehenden Krisentreffen aufgefordert.

Das war gleichzeitig auch das letzte Mal, dass der Bundesrat eine Schätzung über Schwarzgelder erstellte.

Zahnlose Steueramnestie

Es gibt jedoch inoffizielle Zahlen. Die NZZ schätzt den Ausfall (anhand von nicht zurückgeforderten Verrechnungssteuern) für 2010 auf fünf bis acht Milliarden Franken. SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen beruft sich ihrerseits auf die Ökonomen Lars Feld und Bruno Frei, die das gesamtwirtschaftlich berechnete Einkommen mit den versteuerten Einkünften abgleichen und zum Schluss kommen, dass für die Jahre 1985, 1990 und 1995 im Schnitt 23,5 Prozent der Einkommen nicht versteuert wurden. Für 2010, so rechnet Kiener Nellen vor, entspräche dies gut 93 Milliarden Franken. Das ergibt, mit einem Steuersatz von zwanzig Prozent gerechnet, einen Steuerausfall von jährlich 18,6 Milliarden Franken.

Mit dem Geld, rund zehn Prozent der öffentlichen Ausgaben, liessen sich fast zwei Drittel der Schweizer Bildungskosten finanzieren.

In der Hoffnung, an versteckte Vermögen zu gelangen, hat der Bundesrat 2010 eine Steueramnestie eingeführt. Seither können SteuersünderInnen Selbstanzeige erstatten, ohne bestraft zu werden – sie haben lediglich einen Teil der Steuern nachzuzahlen. Der Bund hat bis Ende 2013 rund 12 500  abgeschlossene Fälle registriert, keine Zahlen liefert er jedoch zur Höhe des Vermögens, das damit ans Licht kam.

Das Wirtschaftsmagazin «Punkt» hat recherchiert. Seine Zahlen legten den Schluss nahe, dass es sich nicht um wirklich grosse Vermögenswerte handelt: In vierzehn Kantonen, die Zahlen angeben, kamen insgesamt 8,6 Milliarden Franken zum Vorschein – schweizweit dürfte es rund das Doppelte sein. Aus einem solchen Vermögen resultiert ein Einkommen (Zins) von ein paar Hundert Millionen Franken, das einen vergleichsweise kleinen Betrag an die Staatskasse abwirft.

Damit mehr Schwarzgeld entdeckt wird, will Kiener Nellen diesen Freitag einen Vorstoss im Parlament einreichen, der verlangt, die Steueramnestie mit einem Ultimatum zu versehen. Eine Befristung auf zum Beispiel 2018, so heisst es in der parlamentarischen Initiative, würde dem Anreiz, Steuern zu hinterziehen, ein Ende setzen. «Viele, die Vermögen verstecken, warten ab, was passiert», sagt Kiener Nellen. «Eine Befristung brächte sie in Zugzwang.»

Breite Front für Abschaffung

Doch auch ohne Ultimatum dürfte der Druck auf SteuerhinterzieherInnen bald steigen. 2015 könnte das Ende des Bankgeheimnisses im Inland besiegelt sein.

Die Linke, die bereits 1984 mit ihrer Bankeninitiative gegen das Bankgeheimnis kämpfte, begrüsst immer neue Verbündete. Mit der zunehmenden internationalen Zusammenarbeit in Steuerfragen – eine Folge der Bankenkrise 2008 – hat sich hierzulande nicht nur der Zeitgeist gewandelt. Der automatische Informationsaustausch wirft auch neue Fragen auf: Wie jedes Land soll gemäss OECD-Beschluss auch die Schweiz Bankdaten aus dem Ausland erhalten, wenn Steuerpflichtige dort Geld haben. Sollen die Steuerbehörden der Kantone die Daten dann einsehen dürfen?

«Ja», sagt Peter Hegglin, Präsident der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz und Zuger Finanzdirektor (CVP). «Diese Daten müssen wir verwenden können.» Hegglin verlangt zudem, dass die Kantone Bankdaten, die sie ans Ausland liefern und auch für sie wichtige Informationen enthalten, verwenden dürfen. Obwohl die Finanzdirektoren zum inländischen Bankgeheimnis noch keine Stellung bezogen haben, sei es schliesslich allgemein bekannt, dass viele Kantone mit dem Systemwechsel liebäugeln, weil dieser zusätzliche Einkünfte brächte.

Es fragt sich: Kann die Schweiz im Inneren am Bankgeheimnis festhalten, wenn sie über Steuerpflichtige mit ausländischen Konten sämtliche Daten erhält? Und kann man dem hiesigen Fiskus Bankdaten vorenthalten, die man anderen Staaten automatisch mitteilt? Kaum. Diese Meinung gewinnt langsam auch in der bürgerlichen Mitte an Boden. Für die CVP steht das Bankgeheimnis lediglich «momentan» nicht zur Diskussion. BDP-Parteipräsident Martin Landolt, der eine automatische Lieferung von Bankdaten an die Steuerbehörden fordert, glaubt, dass sich die CVP noch bewegen wird. Vielleicht auch die FDP. Der Nationalrat der BDP, der Partei von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, plädiert für Nüchternheit: «Auch künftig wird niemand Einsicht in Bankkonten haben. Die Steuerbehörden sollen von den Banken ausschliesslich die für sie relevanten Daten erhalten.»

Auch in der Verwaltung scheint sich diese Meinung allmählich durchzusetzen. Ein vertraulicher Entwurf der Finanzplatz-Expertenkommission unter Professor Aymo Brunetti, der kürzlich publik wurde, sieht für das Inland einen freiwilligen Informationsaustausch vor. Künftig sollen Steuerpflichtige wählen können, ob sie wie bisher besteuert werden wollen oder ob ihre Einkünfte dem Fiskus automatisch gemeldet werden sollen, was unter anderem das Ausfüllen der Steuererklärung erleichtern würde. Dieser neue Pragmatismus widerspiegelt auch die Haltung der Banken, die ihre Totalopposition aufgegeben haben. Angesichts des internationalen Informationsaustauschs ist es bis zum Fall des inländischen Bankgeheimnisses für sie nur noch ein kleiner Schritt.

Grosse Debatte steht erst bevor

Im Lager der BefürworterInnen versucht man jedoch, sich noch etwas bedeckt zu halten. Zuerst soll der Bundesrat den automatischen Informationsaustausch mit dem Ausland ins Trockene bringen, erst dann soll die grosse Debatte um die Abschaffung des inländischen Bankgeheimnisses beginnen.

Diese wird sich wohl an der Revision des Steuerstrafrechts entzünden. Nach der letztjährigen Vernehmlassung soll Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf laut ihrem Departement dem Bundesrat in Kürze eine Auswertung vorlegen, nächstes Jahr kommt das Geschäft dann in die Kommissionen. Der Vernehmlassungsentwurf sieht vor, dass die Kantone bei Verdacht auf Steuerhinterziehung künftig von Banken Auskünfte einfordern können. Es ist damit zu rechnen, dass in diesem Zusammenhang aus dem Parlament die Forderung nach einer endgültigen Abschaffung des Bankgeheimnisses laut werden wird.

Das Oppositionslager wird von SVP-Nationalrat Thomas Matter angeführt. Matter: «Auf allen Ebenen wird derzeit versucht, das Bankgeheimnis abzuschaffen.» Mit seiner Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre», die das Bankgeheimnis in der Verfassung verankern soll, möchte er die Bürgerlichen auf Linie bringen. SVP und FDP stehen hinter der Initiative, die CVP lehnt sie ab; allerdings sitzen mit Gerhard Pfister und Ruth Humbel zwei ihrer ParlamentarierInnen im Komitee. Laut Matter soll die Initiative noch diesen Sommer eingereicht werden, womit auch sie voraussichtlich 2015 in die Diskussion kommt.

Am Ende werden also die StimmbürgerInnen entscheiden. Die Bankeninitiative wurde 1984 mit 73 Prozent Nein-Stimmen versenkt, eine Umfrage des SRF von 2013 hat jedoch ein knappes Ja für die Abschaffung des Bankgeheimnisses ergeben. Matter ist Realist: «Entweder es wird gefestigt – oder begraben.»

Kampf an der Urne

Der Zürcher SVP-Mann Thomas Matter, erst kürzlich für Christoph Blocher in den Nationalrat nachgerückt, will noch diesen Sommer seine Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» einreichen, mit der er das Bankgeheimnis im Inland in der Verfassung verankern will. Nun, da der Bundesrat sich gegenüber der OECD zum automatischen Informationsaustausch von Bankdaten verpflichtet hat, so die InitiantInnen, gehe es mit der Initiative darum, das Bankgeheimnis im Innern des Landes zu retten.

Banken, so der Initiativtext, sollen gegenüber Steuerbehörden nur «innerhalb eines Strafverfahrens» Auskunft über Personen «mit Sitz in der Schweiz» geben dürfen – und nur dann, wenn ein «begründeter Verdacht» besteht. Dass die Banken den Schweizer Steuerbehörden gewisse Daten automatisch liefern, wie dies mittlerweile von links bis in die bürgerliche Mitte hinein gefordert wird, würde damit ausgeschlossen. Gemäss Matter befinden sich die Unterschriften derzeit im Beglaubigungsverfahren.