Fussball und andere Randsportarten: Hypehype in Sumoland

Nr. 12 –

Etrit Hasler findet übertriebene Begeisterung gefährlich

Ich wurde schon von vielen «begeisterungsfähig» genannt. Okay, das ist eine Untertreibung. Wenn ich etwas toll finde, sehe ich aus wie ein Eichhörnchen auf ADHS und klatsche dabei aufgeregter in die Hände als ein Teenager, der gerade eine Castingshow gewonnen hat. Als Auslöser dafür reicht schon, dass ich ein neues Dartbrett kaufe oder dass Nine Inch Nails eine neue Platte machen.

Nun, das sorgt zwar dafür, dass mein Leben selten langweilig ist, es sorgt aber auch für herbe Enttäuschungen. Zum Beispiel bei Filmen, bei deren Ankündigung man völlig aus dem Häuschen ist («David Fincher macht einen neuen Film, und Trent Reznor macht den Soundtrack?!? – Das KANN gar nicht schlecht sein!!!»), wobei der Film selber diesen Ansprüchen gar nicht genügen kann («Welches war noch mal der Kreis der Hölle, der für Gewalt gegen die Kunst reserviert war?» – «Keine Ahnung. ‹Gone Girl›?»).

Das funktioniert im Sport genauso. Wer gleich schon zu Beginn seiner Karriere als grosser Champion oder als Supertalent dargestellt wird, scheitert fast zwangsläufig am Ruf, der ihm vorauseilt – und sei es nur in den Augen der Fans. Der Schweizer Fussballspieler Moreno Costanzo, zum Beispiel. Oder Rivaldo, falls Sie sich an den noch erinnern.

Die japanische Sumowelt erlebt derzeit vielleicht gerade so einen Fall. Brodik «The Bull» Henderson, ein zwanzigjähriger kanadischer Exfootballer, hat einen Vertrag für die japanische Profiliga unterschrieben – er wird damit zum ersten kanadischen Sumotori seit John «Earthquake» Tenta (rest in peace, alter Bär). Dieser hatte vor dreissig Jahren in den unteren Ligen diverse Rekorde aufgestellt, bevor er die Sumowelt überstürzt hinter sich liess und eine Karriere als Wrestler startete. Henderson hat die japanische Sumoszene in Aufregung versetzt: Er ist riesig (1,96 Meter), schwer (153 Kilogramm) und trotzdem schnell genug für den Ring.

So weit, so gut. Das Problem ist jedoch der Hype um seine Person. Der gläubige Christ spammt derzeit fröhlich die sozialen Medien voll mit all den Artikeln, Ankündigungen und Comics, die über seine Person veröffentlicht werden. Und man wird das Gefühl nicht los, dass er noch nicht ganz erkannt hat, dass der Unterschied zwischen US-Amateursumo und japanischem Profisumo in etwa so gross ist wie der zwischen dem FC Buochs und Chelsea. Sein bisher härtester Gegner war ein ehemaliger Profiringer, der es in Japan jedoch nie über das Mittelmass der dritten Liga hinaus geschafft hatte.

Dazu kommen die strengen Sitten in den Sumoschulen: Die Hierarchien sind steil, die unteren Ringer arbeiten faktisch als Hausdiener der höherrangigen – und dies (als «gajin», also als Ausländer, sowieso) bei gleichzeitiger konstanter Beobachtung durch die Medien. Genau daran war vor dreissig Jahren auch John Tenta schlussendlich gescheitert, dem das strenge Regime und die fremden Bräuche irgendwann zu viel wurden.

Was nicht heissen soll, dass Henderson keine Chance hat, in der Profiliga zu bestehen. Der letzte Weisse, der die oberste Liga erreichte, war Pavel Bojar, in Japan bekannt als Takanoyama, ein ehemaliger Judoka und Sumoamateur aus Tschechien. Bojar machte eigentlich alles richtig – er gab sich fast unterwürfig bescheiden, arbeitete fast zehn Jahre hart in den unteren Ligen, doch mit seinem Fliegengewicht (98 Kilo) schaffte er es nie bis nach ganz oben. Bojar entzog sich dem Hype um seine Person bis zuletzt – sein Karriereende letzten Juli ging klammheimlich über die Bühne. Ein fast japanischer Abgang.

Wie sich sein junger Nachfolger Henderson schlagen wird, steht noch in den Sternen, seinen ersten Kampf wird er erst im Mai bestreiten. Bis dahin lernt er Japanisch, trainiert und putzt seine Sumoschule – was er alles ausführlich auf Facebook kommentiert. Und somit seinen eigenen Hype anheizt. Wenn das mal gut geht.

Etrit Haslers Begeisterungsfähigkeit zeigt 
sich nicht zuletzt daran, dass er regelmässig 
ab sieben Uhr morgens dicken Männern in Unterhosen beim Ringen zusieht.

Unter dem Titel «Fussball und andere Randsportarten» hat die WOZ die besten Kolumnen von Etrit Hasler und Pedro Lenz 
als Buch herausgegeben. Es ist unter 
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