En passant: Im kapitalistischen China
«Unsere Nudeln sind süss und gar nicht scharf.» So steht es mit blinkenden chinesischen Schriftzeichen auf dem Werbeschild der kleinen Garküche. Ungläubige Blicke bei der Reisegruppe aus der Volksrepublik China. Gao Dui aus Beichuan in der Provinz Sichuan (nach der der Szechuan-Pfeffer benannt ist) schüttelt den Kopf. «Uns wäre es lieber anders herum», sagt er stellvertretend für alle. Das ist dann aber auch so ziemlich das Einzige, was den knapp dreissig FestländerInnen an der Republik China auf Taiwan überhaupt nicht gefällt.
In der nordtaiwanesischen Hafenstadt ist der Containerumschlag wegen der Konkurrenz aus Singapur und Schanghai überschaubar geworden. «Wenn das bei uns wäre, hätte die Regierung schön längst …» Li Jiaqin, der in Beijing arbeitet, fehlen die Worte: «Das Ganze hier, bei der Lage, eine halbe Stunde von Taipeh, das wäre schon längst an einen Bauherrn verkauft worden. Dann gäbe es hier den ganzen Hang entlang Luxusvillen, unten Einkaufszentren, da vorne einen Jachthafen.» Als Li dann auch noch erfährt, dass das gesamte Hafengelände sowieso schon der Regierung gehört und vor einem Verkauf noch nicht mal enteignet werden müsste, kriegt er sich gar nicht mehr ein.
Auch Huang Xiaohua aus Guangzhou kann es kaum fassen: «Wie kann etwas so Schönes keinen Eintritt kosten?», wundert sie sich, als sie auf ihrem Weg an das Ufer des zentraltaiwanesischen Sonne-und-Mond-Sees an keiner Ticketverkaufsstelle vorbeikommt. Letzten Monat war sie während einer Dienstreise auf der zur Volksrepublik gehörenden Insel Hainan; da kostete noch der Besuch eines 23 Kilometer vom Badeparadies Sanya entfernt am Strand liegenden Stücks Felsen – mit Zaun drum herum und Parkplatz davor – hundert Yuan Eintritt, umgerechnet fünfzehn Franken. Huang hatte sich geärgert («Die haben das ja noch nicht mal bebaut!») und war draussen geblieben.
Als Wei Dajun aus Kunming dann am Schluss noch eine herzliche Einladung zum Gegenbesuch «in unserem Land» ausspricht, da muss Gao Dui sogar über die eigenen Landsleute den Kopf schütteln. «Wie klingt das denn?», fragt er. «Kann er nicht einfach ‹Ich hoffe, ihr kommt uns auch mal besuchen› sagen?» Seine erste WeChat-Nachricht, die er nach seinem Grenzübertritt vom «kapitalistischen» ins «sozialistische» China verschickt, ist dann allerdings doch: «Bin jetzt in Shenzhen, fertig geduscht, geh’ gleich was Scharfes essen.»
Wolf Kantelhardt schreibt regelmässig für die WOZ aus China.